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Syrien droht Luftkrieg

USA bereiten Berichten aus Israel zufolge Angriffe auf Damaskus vor. Verbündete Golfstaaten liefern Waffen an Aufständische. Washingtons Putschdiplomat Feltman berät UN-Chef

Von Karin Leukefeld *

Die USA planen offenbar einen Angriff auf Einrichtungen der syrischen Regierung. Das berichtete der Nachrichtensender Russia Today am Montag unter Bezugnahme auf einen Bericht des israelischen Informationsportals DEBKA, das dem israelischen Geheimdienst nahesteht. US-Präsident Barack Obama habe die Marine und Luftwaffe seines Landes aufgefordert, rasch Pläne zum Sturz seines syrischen Amtskollegen Baschar Al-Assad vorzulegen. Mit gezielten Luftschlägen gegen militärische Kommandozentralen solle die Regierungskontrolle über das Militär geschwächt werden. Um die Angriffe völkerrechtlich abzusichern, würden die USA sich im UN-Sicherheitsrat für eine Flugverbotszone einsetzen.

Erst vor wenigen Wochen hatte der republikanische US-Senator Lindsey Graham eine Flugverbotszone gefordert. Der Sturz von Assad in Sy­rien sei »wichtiger für die amerikanischen Interessen« als der Sturz von Muammar Al-Ghaddafi in Libyen, so Graham, der zur Zeit den Vorsitz des Streitkräftekomitees im US-Senat innehat. Der Sprecher des Weißen Hauses Jay Carney sagte, ein militärisches Eingreifen sei »immer eine Option«.

Um den Sturz Assads voranzutreiben, würden die USA »syrische Rebellen militärisch ausrüsten«, heißt es weiter bei DEBKA. Der republikanische Senator und frühere Präsidentschaftskandidat John McCain bestätigte in einem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtensender CNN am vergangenen Sonntag, daß die »Golfstaaten, die Saudis« Waffen an die Aufständischen in Syrien lieferten. Darüber sei er »froh«, sagte McCain, der Rußland für Waffenlieferungen an Damaskus angriff. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte vor wenigen Tagen erklärt, Moskau liefere im Rahmen vertraglicher Abkommen Luftabwehrsysteme und Munition für die syrischen Streitkräfte, die nur gegen den Angriff einer ordentlichen Armee und deren Kampfjets oder Waffen von Nutzen seien.

Rußland und China lehnen eine ausländische Intervention in Syrien weiter ab und fordern den Westen auf, sich für eine politische Lösung in Syrien einzusetzen. Die diplomatische und finanzielle Unterstützung einiger Staaten ermutige die bewaffneten Aufständischen zu kämpfen anstatt zu verhandeln. Am Wochenende hatte Lawrow eine internationale Friedenskonferenz zu Syrien vorgeschlagen.

Das US-Außenministerium hat derweil UN-Generalsekretär Ban Ki Moon seinen langjährigen Nahostdiplomaten Jeffrey Feltman an die Seite gestellt. Ban Ki Moon ernannte ihn am Wochenende zu seinem »höchsten politischen Berater«. Der frühere US-Botschafter in Israel und Libanon hatte unmittelbar nach Beginn der Unruhen in Syrien im März 2011 erklärt, Syrien werde »das Nordkorea im Mittleren Osten« und vollkommen isoliert werden. US-Außenministerin Hillary Clinton machte Feltman zur Kontaktperson zum Syrischen Nationalrat. Mit dem ehemaligen saudischen Geheimdienstchef Prinz Bandar Bin Sultan soll Feltman bereits 2008 einen umfassenden Plan für den Sturz der syrischen Führung eingeleitet haben.

In dem neuen UN-Bericht über »Kinder in bewaffneten Konflikten« wird unter 52 Staaten und Kriegsparteien erstmals auch Syrien aufgelistet. Mit neu entstandenen Krisenherden 2011 hätten die Konflikte in Libyen und Syrien unter Kindern eine hohe Opferzahl gefordert, erklärte die UN-Beauftragte Radhika Coomaraswamy am Montag. In Syrien würden »Mädchen und Jungen eingesperrt, gefoltert und getötet«. Streitkräfte der syrischen Armee hätten »regelmäßig Schulen beschossen und überfallen«. Im Kampf gegen Aufständische seien Kinder als »menschliche Schutzschilde« eingesetzt worden, heißt es in dem Report unter Berufung auf Augenzeugenberichte. »Freie Syrische Armee« und andere bewaffnete Anti-Assad-Gruppen werden beschuldigt, Kinder für ihren Kampf zu rekrutieren.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 13. Juni 2012


Russland lädt zu Syrien-Konferenz ein

Anti-Assad-Opposition empört / UN-Bericht: Damaskus missbraucht Kinder als Schutzschilde **

Während Russland zu einer internationalen Konferenz über die Lage in Syrien einlädt, kommen aus dem arabischen Land neue Gräuelmeldungen.

Im Syrien-Konflikt hat Russland zu einer internationalen Konferenz in Moskau eingeladen. Auch Iran als enger Verbündeter von Präsident Baschar al-Assad müsse teilnehmen, forderte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag. Das Treffen, für das zunächst kein Datum genannt wurde, solle auf Grundlage »konkreter klarer Prinzipien« stattfinden, sagte Lawrow nach Angaben der Agentur Interfax. Jetzt müssten auch die USA zu einer Lösung des blutigen Konflikts beitragen.

Iran hält eine Einmischung von außen für schädlich. »Die einzige Möglichkeit, die Krise in Syrien zu beenden, ist ein innerer Dialog zwischen der Regierung und der Opposition«, sagte Außenamtssprecher Ramin Mehmanparast am Dienstag in Teheran.

Angesichts der Zurückhaltung Russlands in der Syrien-Krise hat der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNC) für diesen Mittwoch zu Protesten vor den russischen Botschaften in aller Welt aufgerufen. »Syrer und Freunde des syrischen Volks« sollten ab 15 Uhr MESZ vor den diplomatischen Vertretungen demonstrieren, um »ihren großen Ärger über die offizielle Haltung Russlands deutlich zu machen«, hieß es am Dienstag in einer Mitteilung des SNC. Kritisiert wurde darin, dass Russland »das kriminelle Regime« von Präsident Assad weiter unterstütze.

Unterdessen wurde unter Berufung auf UN-Angaben gemeldet, dass syrische Regierungssoldaten 8- bis 13-Jährige als menschliche Schutzschilde benutzen würden. Kinder würden verstümmelt und getötet, gefoltert und sexuell missbraucht, wird in einem in der Nacht zum Dienstag in New York veröffentlichten UN-Bericht dargelegt. Täter seien Soldaten des Assad-Regimes, Angehörige von Geheimdiensten und der regimetreuen Schabiha-Miliz. Die Kinder würden gewaltsam aus Schulen und Wohnungen geholt und von Regierungstruppen als Schutzschilde eingesetzt, heißt es. Militärs postierten sie etwa direkt an Fenstern von Bussen, die mit Soldaten zu Einsätzen in Dörfern und Städten unterwegs seien. Schulen würden regelmäßig angegriffen, als Militärbasen und Gefängnisse genutzt. Als Gefangene würden Mädchen und Jungen geschlagen, ausgepeitscht und Elektroschocks ausgesetzt.

Ihr Team sei mit »schrecklichen« Schilderungen über gefolterte und massakrierte Kinder aus Syrien zurückgekehrt, sagte die UN-Sondergesandte für Kinder in bewaffneten Konflikten, Radhika Coomaraswamy, dem Sender BBC. Danach erzählten Kinder, sie hätten sich auf Panzer setzen müssen, damit diese nicht von Aufständischen angegriffen würden.

Vor der Gewalt in Syrien sind am Dienstag 369 weitere Menschen in die Türkei geflüchtet. Darunter seien zehn Verletzte, die in Krankenhäusern behandelt würden, berichtete Anadolu. Bei den Menschen handele es sich vor allem um Frauen und Kinder, die in Flüchtlingslagern untergebracht werden. Nach Angaben des türkischen Außenministeriums halten sich derzeit mehr als 27 000 Syrer als Flüchtlinge in der Türkei auf.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 13. Juni 2012




Auszug aus dem Bericht des UN-Generalsekretärs:

Syrian Arab Republic

119. The United Nations has received reports of grave violations against children in the Syrian Arab Republic since March 2011 and throughout the reporting period, continuing into 2012. In response to the need for United Nations verified information, my Special Representative for Children and Armed Conflict sent a technical mission to the region to conduct interviews with victims and witnesses in refugee camps, villages and hospitals in the region in March 2012. In almost all recorded cases, children were among the victims of military operations by Government forces, including the Syrian Armed Forces, the intelligence forces and the Shabbiha militia, in their ongoing conflict with the opposition, including the Free Syrian Army (FSA). Children as young as 9 years of age were victims of killing and maiming, arbitrary arrest, detention, torture and ill-treatment, including sexual violence, and use as human shields. Schools have been regularly raided and used as military bases and detention centres. Information obtained by the technical mission is in line with the findings of the independent international commission of inquiry on the Syrian Arab Republic.

120. Interviews with former members of the Syrian Armed Forces and the intelligence forces indicated that civilians, including children, were targeted by Government forces if they were residing in villages where members of FSA or other armed opposition groups were believed to be present or where deserters were hiding, or if they were seen fleeing the country seeking refuge. In one instance, a former member of the Syrian Armed Forces stated that, during protests in Tall Kalakh in December 2011, he was given an order by his commander to shoot without distinction, although the soldiers were aware that there were women and children among the protesters. During the armed break-up of the demonstrations, the witness saw three girls between approximately 10 and 13 years of age who had been killed by the Syrian Armed Forces. In another similar incident in Aleppo in the fourth quarter of 2011, a former member of the intelligence forces witnessed the killing of five children in a secondary school during demonstrations.

121. The grave violations continued into 2012 and although this is beyond the reporting period, the gravity of the incidents requires their inclusion in the report. Witness accounts described a particularly grave incident in the village of Ayn l’Arouz in the Jabal Azzawiyah in Idlib province. On 9 March 2012, Syrian Armed Forces, together with the intelligence forces and the Shabbiha militia, surrounded the village for an attack that lasted over a period of four days. Government forces entered the village on the first day and killed 11 civilians, including three boys aged between 15 and 17 years. Thirty-four persons, including two boys aged 14 and 16 years, and one 9-year-old girl, were arrested for interrogation about the suspected presence of deserters. Eventually, the village was reportedly left burned and 4 out of the 34 detainees were shot and burned, including the two boys aged 14 and 16 years.

122. There is no evidence of Government forces formally conscripting or enlisting children under the age of 18 years. However, the Syrian Armed Forces and its associated Shabbiha militia used children as young as 8 years on at least three separate occasions within the reporting period. In the incident mentioned above in the village of Ayn l’Arouz in March 2012, a witness stated that several dozen children, boys and girls ranging between the ages of 8 and 13 years, were forcibly taken from their homes. These children were subsequently reportedly used by soldiers and militia members as human shields, placing them in front of the windows of buses carrying military personnel into the raid on the village.

123. The United Nations collected dozens of accounts of eyewitnesses of both children as young as 14 years of age who were tortured while in detention, as well as former members of the Syrian Armed Forces who themselves were forced to torture or witness torture. The Shabbiha militia was also involved in the detention and torture of children, especially during military operations and often in makeshift detention cells in schools. Most child victims of torture described being beaten, blindfolded, subjected to stress positions, whipped with heavy electrical cables, scarred by cigarette burns and, in one recorded case, subjected to electrical shock to the genitals. At least one witness said that he had seen a young boy of approximately 15 years of age succumb to his repeated beatings. Children were detained and tortured because their siblings or parents were assumed to be members of the opposition or FSA, or they themselves were suspected of being associated with FSA. On one occasion, in May 2011, a 15-year-old boy was taken into custody by intelligence forces in the municipal building in Jisr Ash-Shughur and repeatedly beaten with heavy electrical cables during interrogation. The boy stated that there were at least 20 other children his age or younger held in detention.

124. The United Nations has received some credible allegations of the recruitment and use of children by armed opposition, including FSA and other armed groups, although FSA has a stated policy of not recruiting any child under 17 years of age. Various sources reported on young children association with FSA carrying guns and wearing camouflage uniforms. My Special Representative for Children and Armed Conflict reminded all parties of their obligations under human rights and international humanitarian law.

125. The United Nations recorded multiple accounts of the use of schools by Government forces, including the Syrian Armed Forces, the intelligence forces and the Shabbiha militia as military staging grounds, temporary bases, detention centres, sniper posts and centres for torture and the interrogation of adults and children. Several witnesses stated that the intelligence forces and the Shabbiha militia had gun emplacements installed on the roofs of schools while students were attending. Accounts also indicated that, on a number of occasions, children were killed or injured by Government forces during military operations on school grounds, and schools were looted and burned as retribution by Government forces in response to student protests.

126. Reports also pointed out that, during the reporting period, hospitals were struck by heavy artillery by Government forces. Aside from the conduct of military operations that prevent civilians from accessing hospitals, reports also indicated that injured persons, including children and their families, were afraid to seek medical treatment out of fear of reprisals by the Government for suspected association with the opposition. Similarly, reports were also received of medical workers being intimidated and threatened by Government forces for having provided or being suspected of providing medical assistance to members of the opposition.

United Nations: Children and armed conflict. Report of the Secretary-General, 26 April 2012 (A/66/782, S/2012/261), S. 22-24; hier geht es zum ganzen Bericht [pdf, externer Link]




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