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Umkämpftes Syrien

Brutale Auseinandersetzungen und idyllische Landschaften - ein zweigeteiltes Land

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die Arabische Liga hat so harte Sanktionen gegen Syrien ausgesprochen wie noch nie. Doch die Auseinandersetzungen gehen weiter. In Homs sollen in der Nacht zu Dienstag 34 Oppositionelle von Regierungstruppen getötet worden sein. Im ländlichen Raum ist es noch friedlich - eine Reise in den Nordwesten des Landes.

»Ein europäischer Pass, aha. Willkommen! Und wo ist Ihr Einreisestempel?« Der Polizeibeamte am Busbahnhof in Harasta blättert interessiert durch die Papiere. Seine Englischkenntnisse sind ausreichend, um mit Ausländern zu kommunizieren, die von Damaskus mit einem der Reisebusse in den Norden Syriens fahren wollen. Nach Aleppo oder Deir Ezzor, nach Homs oder Latakia. »Palmyra VIP! Going now«, ruft ein junger Mann und blickt dem Polizeibeamten neugierig über die Schulter. Palmyra, die aramäische Oasenstadt, war einst Treffpunkt von Seidenkarawanen aus Asien und Gewürzhändlern von der arabischen Halbinsel. Von dort strebten sie zum Mittelmeer, um ihre Waren an Europa zu verkaufen. Heute liegt Palmyra verlassen. In diesem Herbst gibt es keine Touristen mehr, die die historischen Schätze des Landes erkunden wollen. Enttäuscht zieht der Mann weiter. Auswärtiges Amt empfiehlt dringend die Ausreise

Schon im Frühjahr hatten die europäischen Staaten eindringlich vor Reisen nach Syrien gewarnt. Wenige Wochen, nachdem die Proteste in Dara begannen und sich - weitgehend friedlich - ausweiteten, wurde die Lage in Syrien vom Auswärtigen Amt in Berlin als gefährlicher eingestuft als in Afghanistan und Irak. Mitarbeiter deutscher Entwicklungsdienste, die bei der Modernisierung der Wasserversorgung, des Finanzwesens und der Stadtentwicklung halfen, wurden abgezogen. Auch die Zusammenarbeit im Bildungsbereich wurde eingestellt. Das Goethe-Institut schloss, Familienangehörige von Botschaftsmitarbeitern sollten nach Hause fahren. Nach dem Abzug des schweizerischen und des US-amerikanischen Botschafters sind nun auch die Gesandten Berlins und Paris' »zu Konsultationen« zurückgerufen worden. Auch viele arabische Botschaften in Damaskus stehen leer. Das Land wird isoliert.

Acht Millionen Touristen - die meisten aus Europa - hatten Syrien im letzten Jahr besucht, für das Jahr 2011 erwartete man einen Anstieg von 30 Prozent. Die Hotels waren bis Ende Dezember fast ausgebucht. Viele von ihnen hatten in den Aus- und Umbau investiert, neues Personal eingestellt und ausgebildet. Nun haben Reiseveranstalter storniert und auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes ist in großen Buchstaben zu lesen: »Deutschen in Syrien wird dringend die sofortige Ausreise empfohlen, solange dies mit kommerziellen Flügen noch möglich und sicher ist.«

Die Fahrt von Damaskus in Richtung Norden verläuft ruhig. Rechts und links der Strecke gibt es weite Wiederaufforstungsgebiete. Die Dürre der letzten sechs sechs Jahre hat die Sandstürme aus dem Osten bis in die Hauptstadt Damaskus geweht. Der Grüngürtel soll nun den Vormarsch der Wüste aufhalten.

Ein Militärkonvoi mit fünf Lastwagen fährt in die Gegenrichtung, unter den Planen lugen Soldaten hervor. Der Wind peitscht ihnen den Sand ins Gesicht, rasch ziehen sie sich wieder ins Wageninnere zurück. Möglicherweise kommen sie aus dem Einsatz in Homs, murmelt ein Mitfahrer. Jeder Syrer weiß, dass in verschiedenen Stadtvierteln von Homs seit Monaten ein mörderischer Kampf tobt. Bewaffnete Aufständische, die nach Angaben von Oppositionellen Deserteure der syrischen Armee sein sollen, werden mit Geld und Waffen aus dem nahe gelegenen Libanon versorgt. Auch die Türkei trägt ihren Teil bei.

Region um Homs mit leidvoller Geschichte

In einem Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen Grenze beherbergt sie den syrischen Oberst und Führer der syrischen Muslimbrüder, Riad Asaad. Er bezeichnet sich als Anführer der »Freien Syrischen Armee« und will Präsident Baschar al-Assad stürzen. Am liebsten mit Hilfe der NATO, so wie in Libyen. »Und was kommt dann?« fragt der Mitfahrer und versinkt wieder über seinem Buch.

Wenige Kilometer vor Homs biegt der Bus auf die Umgehungsautobahn in Richtung Westen ab. Durch die »Pforte von Homs«, wie die strategisch wichtige Ebene genannt wird, geht es zur Mittelmeerküste. Südlich liegt Libanon, wo die schneebedeckten Höhen in der Sonne glänzen. Nördlich liegen hinter dem »Tal der Christen« die »Berge der Alawiten«, die sich bis in das heute zur Türkei gehörende Antakya ziehen.

Diese Gegend hat viel Leid gesehen in ihrer Geschichte. Daran erinnert der Krak de Chevalier, die mächtige Kreuzritterburg, die die Araber Hosn al Aqrad nennen: die Burg der Kurden. Kurden waren Anfang des elften Jahrhunderts hier angesiedelt worden, konnten dem Ansturm der Kreuzritter aber nicht standhalten. Lange lebten die Menschen unter der Knute der christlichen Gotteskrieger.

Auch die Neuzeit hat hier blutige Spuren hinterlassen. Ein bewaffneter Aufstand der Muslimbruderschaft gegen das Regime von Hafez al-Assad (1979-1982) wurde in Hama von der syrischen Arme niedergeschlagen und endete mit Tausenden Toten. Weitere verschwanden in Gefängnissen, viele gingen ins Exil nach Europa und Saudi Arabien. Die Muslimbruderschaft wurde verboten.

Dass die Menschen das nicht vergessen haben, zeigt gerade der neue Aufstand zwischen Homs und Jisr as-Shoughour, nahe der türkischen Grenze. Präsident Assad hat aus einem großen Fehler seines Vaters nicht gelernt. Berater, wie der Ökonom Samir Aita, wiesen immer wieder daraufhin, dass Aufarbeitung und Wiedergutmachung eine wichtige Voraussetzung für das syrische Reformprogramm seien. Heute sind die Fronten verhärtet.

An den Straßen nach Homs sind Kontrollpunkte der Armee zu sehen. Kleinere Militärlager zeugen von einer unruhigen Lage. »1300 Soldaten und Polizisten sind von den Aufständischen getötet worden«, meldet der ansonsten schweigsame Mitfahrer sich wieder zu Wort.

Aufständischen werden brutale Morde vorgeworfen

In Syrien hört man von verstümmelten Leichen, mit abgehackten Köpfen, Armen und Beinen. In der Nähe von Hama haben Aufständische getötete Polizisten über ein Brückengeländer in den Orontes geworfen. Die Szene wurde mit einem Handy gefilmt und ins Internet gestellt.

Armeekräfte, die nur für die Landesverteidigung ausgebildet sind, stehen einem Sammelsurium bewaffneter Gruppen gegenüber: Deserteure, Beduinen, Schmuggler, Söldner, Salafisten und Männer, die für getötete Angehörige Rache nehmen wollen. Längst hat der Konflikt die politische Ebene verlassen. Es gibt Entführungen und Vergewaltigungen, private und geschäftliche Fehden werden ausgetragen, Gewalt bestimmt das Geschehen.

Nach vier Stunden erreicht der Bus die syrische Hafenstadt Latakia. Der Bahnhof wirkt verwaist. Nach einer Reihe von Anschlägen auf die Bahnlinie im Sommer hat die staatliche Bahngesellschaft den Personenverkehr eingestellt. Es geht weiter in die Berge. Bei einer Rast über dem Tischreen See, der Latakia und die Umgebung mit Wasser versorgt, schweift der Blick über Orangen- und Olivenhaine, Felder mit Weintrauben und Kiefernwälder. Ein paar Männer spielen Mankala. Das vermutlich aus Nordafrika stammende Spiel ist weit verbreitet in der syrischen Küstenregion.

Die Ruhe trügt, die Menschen sind besorgt. Bei einem Abendessen mit in Syrien lebenden Westeuropäern und einheimischen Intellektuellen gibt es kein anderes Thema als die Unruhen. Im Sommer habe sie die Berichterstattung über Latakia im ausländischen Fernsehen verfolgt, erzählt eine Britin. Damals gab es Kämpfe in einem Vorort und BBC berichtete, die Marine bombardiere die Stadt. Das sei nicht wahr gewesen und so beschloss sie, bei dem Sender anzurufen. Die Mitarbeiter revidierten die Meldung jedoch nicht und fragten, wie viel das Assad-Regime ihr bezahle, um »Falschmeldungen« zu verbreiten. »Daraufhin habe ich nicht mehr angerufen.«

Geht es nach den Menschen hier, sollte Assad eine Chance haben, sein Reformprogramm umzusetzen. Man unterscheidet zwischen ihm und »dem Regime«, dem man viele Fehler vorwirft. »Die, die ihre Hände hier im Spiel haben, sind weder an unserer Meinung noch an einer politischen Veränderung in Syrien interessiert«, resümiert ein pensionierter Universitätsprofessor. Die USA und Europa würden nur an Israel denken. Saudi Arabien und Katar stünden an ihrer Seite und die Türkei träume »von einem neuen Osmanischen Reich unter Führung der Muslimbrüder.«

* Aus: neues deutschland, 7. Dezember 2011


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