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"Gewalt ist notwendig"

"Freunde Syriens" haben weitere Waffenlieferungen an Aufständische beschlossen. New York Times berichtet über Netzwerk. Indirekt ist auch die Bundeswehr beteiligt

Von Karin Leukefeld *

Den Aufständischen der »Freien Syrischen Armee« (FSA) wurden ihren Angaben zufolge Kriegsgerät geliefert, das den »Verlauf der Kämpfe verändern« könnten. »Wir haben zahlreiche neue Arten von Waffen erhalten, darunter auch solche, um die wir gebeten haben«, sagte der FSA-Sprecher Louay Mukdad am Freitag der Nachrichtenagentur AFP. Sie würden derzeit an die Kämpfer an der Front verteilt. Angaben zu deren genauer Art machte Mukdad nicht, es handele sich um »Verteidigungswaffen«. In die Hände radikaler Islamisten könnten sie nicht geraten, so der Sprecher weiter. Man werde außerdem dafür sorgen, daß die Waffen nach dem Ende des Konflikts wieder eingesammelt würden.

Ebenfalls am Freitag berichtete die New York Times (NYT), daß die Aufständischen in Syrien schon lange Munition und auch schwere Waffen aus Libyen erhielten. Zu dem Beitrag, der von einem Reporterteam in Syrien, in der Türkei, in Washington und im libyschen Tripolis recherchiert worden war, wurde ein Foto von libyschen Munitionskisten im nordwestsyrischen Idlib veröffentlicht. Inhalt seien Geschosse für rückstoßfreie Gewehre, die Kisten sind mit einem Dreieck markiert, das auf eine Waffenlieferung an den früheren libyschen Regierungschef Muammar Al-Ghaddafi hinweise, so die Reporter. Ein weiteres Foto zeigt einen Aufständischen in Libyen im Jahr 2011, wie er Munitionskisten, die für die Versorgung der damaligen libyschen Streitkräfte vorgesehen waren, aus einer Lagerhalle in der Nähe der Hauptstadt Tripolis davonschleppt. Die Mehrheit der libyschen Waffen sind russischen Ursprungs.

Die Dokumentation der New York Times bestätigt die Existenz des Transportwegs für Waffen und Kämpfer aus Libyen zu den Aufständischen in Syrien, über den bereits zuvor vielfach berichtet worden war. So hatte bereits eine Journalistin der renommierten Irish Times im Frühjahr 2012 libysche Kämpfer aus der Türkei nach Syrien begleitet.

Das New York Times-Reporterteam wertete über einen längeren Zeitraum Flugkontrolldaten und Interviews mit Aufständischen, Schmugglern und Beamten in verschiedenen Ländern aus. Daraus ergebe sich das Bild einer »komplexen Operation, an der verschiedene Staaten aktiv beteiligt sind und die zum größten Teil von Katar finanziert« wird, heißt es in dem Bericht. Dabei würden – mit Unterstützung libyscher Milizionäre – Waffen von Libyen an die Kämpfer in Syrien geliefert. Einer der Gesprächspartner war der von Tripolis neu entsandte Botschafter in Uganda, Fawzi Bukatef, der 2011 eine Allianz von Milizen gegen Ghaddafi kommandiert hatte. Die Waffenlieferungen seien Ausdruck des »Enthusiasmus des libyschen Volkes«, sagte Bukatef.

Die Transporte können offenbar problemlos verschiedene Grenzen und auch die Marineeinheiten der UN-Interimstruppen (UNIFIL) zum Aufspüren von Waffenlieferungen an die Hisbollah in den Libanon passieren. An dem Einsatz im Mittelmeer ist auch die Bundeswehr beteiligt. Der Transport wird demnach per Schiff oder über die katarische Luftwaffe durchgeführt. Die New York Times berichtet von mindestens drei Flügen eines C-17-Transportflugzeugs aus Katar in diesem Jahr. Zwei (15. Januar und 1. März) starteten vom Mitiga-Airport (Tripolis), ein weiterer Flug am 16. April von Bengasi. Die Maschinen flogen mit ihrer militärischen Fracht zunächst zum Al-Udeid-Luftwaffenstützpunkt in Katar. Von dem wurden die Waffen – ergänzt durch weitere Militärgüter – nach Ankara gebracht. Dortige Empfänger waren Geheimdienste und/oder Führer der oppositionellen Nationalen Syrischen Koalition, die die Waffen nach Syrien transportierten. Dort wurden sie verteilt, um häufig weiter an Meistbietende verkauft zu werden, darunter auch Gruppen, die sich Al-Qaida zugehörig fühlen. Inzwischen seien auch Antipanzerraketen geliefert worden, so die New York Times. Außerdem Munition für die rückstoßfreien Geschütze M40, hergestellt in Belgien, und lasergeführte Anitipanzerraketen vom Typ »Konkurs«, produziert in Rußland.

Die New York Times hatte bereits Ende März 2013 mehrmonatige Recherchen über Waffenlieferungen an die Aufständischen in Syrien veröffentlicht. Danach hatten Flugzeuge der Luftstreitkräfte aus Katar, Saudi-Arabien und Jordanien seit Anfang 2012 rund 3500 Tonnen Kriegsgerät geliefert. Auch aus dem zukünftigen EU-Mitglied Kroatien kamen reichlich Waffen. Die guten Kontakte Katars zu den libyschen Milizen und damit auch zu den Aufständischen in Syrien gehen auf das Jahr 2011 zurück. Damals unterstützte Katar die Kämpfer in Bengasi mit Waffen. Für diesen Verstoß gegen die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates mußte das Emirat sich nie verantworten.

In Katar fand am Wochenende ein Treffen der Außenminister der Kerngruppe der »Freunde Syriens« statt, für Deutschland nahm Außenminister Guido Westerwelle teil. Als Ergebnis wurde offiziell verkündet, was unter den Augen der NATO und mit Hilfe westlicher und arabischer Geheimdienste seit Anfang 2012 bereits geschieht.

Die Unterstützung für die Aufständischen in Syrien werde vergrößert, hieß es in einer Erklärung. Deutschland werde »humanitäre und logistische Hilfe« leisten, weil Waffenlieferungen nach deutschem Recht verboten seien, sagte Westerwelle nach dem Treffen. Auch schußsichere Westen sollen geliefert werden. Die USA haben die weitere Bewaffnung der Kämpfer angekündigt. Katars Außenminister und Ministerpräsident, Scheich Hamad bin Jassim Al-Thani sagte, Gewalt wäre notwendig, »um Gerechtigkeit zu erreichen. Waffenlieferungen sind die einzige Möglichkeit, um Frieden in Syrien zu erreichen.«

Die Waffen sollten ausschließlich an den Hohen Militärrat der »Freien Syrischen Armee« geliefert werden. Das Gremium war im Herbst 2012 unter Aufsicht der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Saudi-Arabiens in der türkischen Stadt Adana gegründet worden. Die Autorität des Militärrates unter den mehr als 1000 bewaffneten Gruppen in Syrien ist fraglich.

* Aus: junge Welt, Montag, 24. Juni 2013


Geheime Beschlüsse in Katar

»Freunde Syriens« vereinbaren rasche Militärhilfe für Rebellen

Von Roland Etzel **


Mehr und bessere Waffen für syrischen Regierungsgegner – das ist die Botschaft von der Konferenz ihrer Unterstützer in Doha. Das Training mit panzerbrechenden Waffen hat auf US-Stützpunkten in Jordanien und der Türkei längst begonnen.

Die »Freunde Syriens« – das sollte man nicht wörtlich nehmen. Hinter dem wolkigen Begriff verbirgt sich das Zweckbündnis interessierter Mitglieder der NATO mit den Monarchien der Arabischen Halbinsel zum Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad. Auf internationalem Parkett stehen »die Freunde« dabei in Konflikt mit den Ständigen UN-Sicherheitsratsmitgliedern China und Russland, im Nahen Osten mit der Regionalmacht Iran. Wer von all den Genannten dem syrischen Volk nun tatsächlich einen Freundschaftsdienst erweist, steht auf einem anderen Blatt.

Am Wochenende trafen sich einmal mehr die Gegner Assads in der katarischen Hauptstadt Doha, um Maßnahmen zur Stärkung ihrer militärisch wankenden Protegés zu beschließen. So deutlich wollten sie es allerdings einmal mehr nicht sagen. In der Abschlusserklärung heißt es laut AFP, mit den nun auch öffentlich deklarierten Waffenlieferungen solle es den Aufständischen ermöglicht werden, den »brutalen Angriffen des Regimes« und seinen Verbündeten« die Stirn zu bieten und das syrische Volk zu schützen. Dabei solle jedes Land selbst entscheiden, welche Ausrüstung es beisteuere. In der Erklärung wird zugleich der sofortige Abzug von libanesischen Hisbollah-Milizionären und iranischen Kämpfern aus Syrien gefordert. Die schon länger in Syrien befindlichen dschihadistischen/salafistischen Kämpfer, die längst die Führung in der bewaffneten syrischen Opposition übernommen haben, wurden mit keinem Wort erwähnt.

Völlige Einigkeit herrschte allerdings nicht. Der für Deutschland teilnehmende Außenminister Guido Westerwelle versprach zwar Hilfe, allerdings wolle Berlin auch weiter keiner Seite Kriegswaffen liefern. Der Gastgeber, Katars Regierungschef Scheich Hamad Ben Dschassim al-Thani, sprach in diesem Zusammenhang von »geheimen Beschlüssen« zur Unterstützung der Assad-Gegner. Bis auf zwei Länder seien sich alle »Freunde Syriens« darüber einig gewesen, wie den Rebellen »durch den Militärrat« der Freien Syrischen Armee Hilfe geleistet werden könne. Welche Länder anderer Meinung waren, verschwieg er.

US-Außenminister John Kerry sagte laut AFP, angesichts des Vormarschs der syrischen Regierungstruppen benötigten die Rebellen Unterstützung mit starkenWaffen. Das »Ungleichgewicht« zugunsten der Assad-Truppen müsse beendet werden. Hilfe für die Aufständischen sei auch deshalb erforderlich, damit diese gestärkt an den von Russland und den USA vorgeschlagenen Friedensverhandlungen in Genf teilnehmen könnten. Washington trete für eine vom Assad- und vom Rebellenlager »im gegenseitigen Einverständnis getragene »Übergangsregierung« ein.

Die »Los Angeles Times« berichtete unterdessen unter Berufung auf nicht genannte US-Beamte und Rebellenführer, der Auslandsgeheimdienst CIA und Eliteeinheiten trainierten seit Monaten heimlich syrische Rebellen. Diese würden in US-Stützpunkten in Jordanien und der Türkei unter anderem an panzerbrechenden Waffen und Luftabwehrraketen ausgebildet.

** Aus: neues deutschland, Montag, 24. Juni 2013


Die Freunde rüsten auf

Von Roland Etzel ***

Das Kongresszentrum von Doha erlebte am Wochenende eine Fortsetzung der Farce »Wir schützen das syrische Volk«. Gastgeber war der Hauptsponsor der »Freunde Syriens«, der Emir von Katar, und gekommen waren alle, die den regierungsfeindlichen Kräften in Syrien mehr und bessere Waffen liefern wollen, damit sie den Krieg gegen Assads Truppen doch noch gewinnen; dabei waren auch jene, die vor dieser offenen Militarisierung des Konflikts, aus welchen Gründen auch immer, zurückschrecken, aber irgendwie doch dabei sein wollen.

Zu letzteren gehört Deutschland. Außenminister Westerwelle hält zwar auch nach dem Umfaller von Obama in Sachen Syrien-Zurückhaltung noch immer Kurs auf einen möglichst unblutigen Regimewechsel in Damaskus. Da sich Berlin aber bei dieser Art Kriegsminimierungspolitik vom deutschen Boulevard vor sich her treiben lässt, werden die Begründungen des FDP-Manns für die Verweigerung der offenen Aufrüstung immer windelweicher.

Kollegen von ihm sind noch weniger pingelig und verweigern gänzlich die Erinnerung an ihr Geschwätz von gestern. So hat US-Außenminister Kerry in Doha jetzt aufgehört, die Lieferung von Waffen an Syriens Rebellen mit dem Einsatz von Giftgas durch Damaskus zu begründen. Vor einer Friedenskonferenz, so Kerry jetzt, müsse das Ungleichgewicht zugunsten der Assad-Truppen beendet werden. Das ist eine Spur ehrlicher. Die Konferenz rückt damit aber keinen Millimeter näher.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 24. Juni 2013


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