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Naher Osten: Holt Damaskus an Bord!

Israel und Syrien gehen auf Tuchfühlung: Beide Seiten denken laut über einen gemeinsamen Frieden nach. Gut so, denn in Damaskus liegt der Schlüssel zur Lösung des Nahostkonflikts.

Von Yves Wegelin, Damaskus *

«Frieden mit Israel? Niemals!», faucht der Taxifahrer, während er mit einer Hand wild um sich fuchtelt und mit der anderen seinen Wagen durch das Verkehrschaos der Damaszener Innenstadt lenkt. Für den - wie er stolz betont - einstigen Privatchauffeur von Rifaat al-Assad, dem Bruder des ehemaligen syrischen Präsidenten Hafez al-Assad, ist der Fall klar: «Mit Israel kann man nicht verhandeln.»

Von einer solch kompromisslosen Haltung ist die syrische Regierung längst abgerückt: Bereits Anfang der neunziger Jahre liess sich Hafez al-Assad erstmals mit Israel auf Friedensgespräche ein - die jedoch 2000 auf Eis gelegt wurden (siehe weiter unten: «Friedensgespräche - von Madrid bis Genf»). Doch nun haben beide Regierungsspitzen kürzlich erklärt, unter türkischer Vermittlung indirekte Gespräche über die Aufnahme von Friedensverhandlungen zu führen - auch diese Woche wurde in Ankara wieder heftig gefeilscht.

«Wir wollen den Golan»

Gestritten wird seit Jahrzehnten um die Golanhöhen. Israel hat das Gebirgsplateau im Sechstagekrieg 1967 von Syrien erobert und 1981 annektiert - was jedoch international nie anerkannt wurde. Seit über dreissig Jahren überwacht eine Uno-Beobachtertruppe (Undop) den 1974 geschlossenen Waffenstillstand.

«Wir wollen nur unser Land zurück», erklärt Kuneitras PR-Direktor Muhammad Ali den syrischen Standpunkt. Kuneitra, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, liegt gleich an der Waffenstillstandsgrenze, innerhalb der entmilitarisierten und von der Undop kontrollierten Zone. Die Stadt ist eine Ruine - das Spital ist zerbombt, die einstigen Wohnhäuser unter ihren Betondächern begraben; auf dem minenübersäten Gelände wuchern Büsche und Gestrüpp. Mehrmals wurde seit 1967 um das ursprünglich osmanische Städtchen gekämpft. Kurz bevor die israelischen Truppen 1974 abzogen, zerstörten sie den Ort mit Bulldozern endgültig. Dies wurde damals von der Uno scharf kritisiert. In den Augen der SyrerInnen symbolisiert Kuneitra bis heute das von ihnen empfundene historische Unrecht.

Die USA blocken ab

Auf der anderen Seite eines kilometerlangen Stacheldrahtzauns, hinter den vereinzelten israelischen Grenzposten, erstreckt sich das rund 1200 Quadratkilometer grosse Gebirgsplateau - von Israel besetztes Land. Rund 20 000 Israelis haben sich hier auf 32 Siedlungen verteilt niedergelassen. Im nördlichen Golan, am Fusse des Bergs Hermon, leben etwa gleich viele syrische Drus­Innen. Über 100 000 BewohnerInnen waren infolge des Sechstagekriegs ins übrige Syrien geflohen.

Nach dem Scheitern der Friedensgespräche Anfang 2000 war das Verhältnis zwischen Syrien und Israel sowie den USA auf einen Tiefpunkt gefallen. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Einmarsch in den Irak begann die US-Regierung unter George Bush Syrien in die Isolation zu treiben. Ihr Vorwurf: Mit der politischen und militärischen Unterstützung der anti-israelischen Hisbollah im Libanon und der palästinensischen Hamas, deren Politbüro in Damaskus liegt, fördere Syrien den Terrorismus. Zudem schleuse das syrische Regime feindliche Kämpfer in den Irak. Auch Israel wandte sich von Syrien ab: Für den seit 2001 regierenden israelischen Premierminis­ter Ariel Scharon kam eine Rückgabe des Golan nicht in Frage.

Der junge Bashar al-Assad, der 2000 nach dem Tod seines Vaters Hafez das Zepter übernahm, signalisierte ab 2003 mehrmals sein Interesse, neue Gespräche aufzunehmen - ohne Erfolg. Syriens Regierung sei nicht an einem Frieden interessiert, hiess es vonseiten der USA und Israels. Der junge Assad habe nur ein Ziel: seine politische Isolation zu durchbrechen. Nun haben Israel und die USA ihre Haltung offenbar überdacht - doch das Misstrauen bleibt.

«Dies zeigt, wie wenig die Amerikaner diesen Teil der Welt verstehen», kritisiert der syrische Politologe Sami Moubayed solche Unterstellungen. «Die Syrer wollen die Golanhöhen zurück.» Doch dass sich Syrien durch die Aufnahme von Gesprächen auch aus dem Abseits zu manövrieren versucht, ist nur schwer von der Hand zu weisen. Dies­ gesteht auch Moubayed ein: «Zugegeben, heute existiert ein dringenderes Bedürfnis nach einem Frieden, um dadurch die Isolation zu beenden.»

Syriens Störpotenzial

Denn die Last der Isolation wiegt schwer. Der Iran ist mittlerweile Syriens einziger Verbündeter. Vor allem die Wirtschaft nimmt grossen Schaden, wie der syrische Wirtschaftsberater Samir Seifan zu bedenken gibt. Das negative Image Syriens schrecke internationale InvestorInnen ab. «Der Konflikt mit dem Westen spielt dabei eine sehr negative Rolle.» Hinzu kommt der politische Druck vonseiten des geplanten Uno-Tribunals zur Aufdeckung des Mordes an Rafiq al-Hariri, dem ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten: Damaskus steht unter Verdacht, in das Attentat verwickelt zu sein.

Doch was auch immer Syriens Absichten sein mögen: Die Aufnahme von Gesprächen kann der Stabilität im Nahen Osten und damit auch Israels Inter­essen nur nützen. Denn gerade Syriens Störpotenzial in der Region macht seine politische Einbindung unumgänglich - davon sind nach der militärischen Schlappe Israels gegen die von Syrien unterstützte Hisbollah im Libanonkrieg 2006 auch immer mehr westliche ­Regierungen überzeugt. Zudem dürfte dieser Gedanke auch den israelischen Premierminister Ehud Olmert beeinflusst haben, als er in die Gespräche einwilligte.

Teheran ist nicht erfreut

Ein syrisch-israelisches Abkommen wäre ein erster Schritt von der Gewalt hin zur Politik. Ibrahim Hamidi, Syrien-Korrespondent der arabischen Zeitung «Al-Hayat», glaubt, dass sich die Hisbollah infolge der Verhandlungen verstärkt in die libanesische Politik einfügen würde. «Und die Hamas würde dazu gedrängt, moderater zu werden.» Nicht, dass die beiden Gruppen wie Marionetten den Befehlen aus der syrischen Regierungszentrale gehorchen würden. Doch im Falle einer israelisch-syrischen Annäherung wären auch sie gezwungen, ihr Verhalten den neuen politischen Allianzen anzupassen. Ein Abkommen zwischen Israel und Syrien würde damit auch eine Lösung des Palästinakonflikts näher rücken lassen. Denn dieser ist nicht zuletzt ein Stellvertreterkrieg zwischen den beiden verfeindeten Lagern.

Teheran ist seinerseits über Syriens Wink mit dem Olivenzweig wenig erfreut. Der israelische Versuch, einen Keil zwischen Damaskus und Teheran zu schieben, um den Iran weiter zu isolieren, ist offensichtlich. Doch ob dies gelingen wird, ist ungewiss. Obwohl zwischen dem grundsätzlich säkularen syrischen Bath-Regime und dem islamistischen Mullah-Regime in Teheran eine reine Zweckallianz besteht, bleibt der Iran vorderhand Syriens einziger Verbündeter - den setzt man nicht so leicht aufs Spiel. So begab sich Syriens Aussenminister kurz nach der Bekanntgabe der Sondierungsgespräche mit Israel demonstrativ nach Teheran, um über die gemeinsamen Sicherheitsinteressen zu beraten - Syrien übt sich im Spagat. Sollten sich die USA allerdings dazu überwinden, mit dem Iran Gespräche über dessen Nuklearprogramm aufzunehmen, könnte sich Syrien als nützliche Brücke erweisen.

Israels Regierung will sich jedoch nicht auf Hoffnungen verlassen müssen: Sie verlangt von Syrien bereits im Vorfeld der Verhandlungen, seine Beziehungen zur Hisbollah, der Hamas und dem Iran abzubrechen. Unter westlichen DiplomatInnen ist man sich in Damaskus aber einig: Syrien wird solche Vorbedingungen niemals akzeptieren. Offenbar hat dies nun auch die israelische Seite eingesehen: Hinter den Kulissen wurde die Forderung bereits fallen gelassen, wie Ibrahim Hamidi aus sicherer Quelle weiss. Für den syrischen Journalisten ist klar: Die Verlagerung von Syriens Allianzen werde die «Frucht und nicht die Bedingung eines Friedensabkommens sein».

«Von Rot auf Orange»

Doch wie stehen die Chancen auf Frieden? Ohne Einwilligung der US-Regierung wird Israel niemals ein Abkommen mit Syrien unterzeichnen. Und genau sie hat sich in den vergangenen Jahren jeglichen israelisch-syrischen Kontakten in den Weg gestellt hat. Auch in Israel stehen die Zeichen nicht besonders gut. Laut aktuellen Umfragen sind zwischen 65 und 70 Prozent der Israelis gegen die Rückgabe des Golan. Zudem ist Premierminister Olmert nicht zuletzt wegen einer Korruptionsaffäre innenpolitisch stark angeschlagen.

Trotz allem ist die jüngste Friedensoffensive keine Totgeburt. Westliche Diplomaten zeigen sich positiv überrascht über die aktuelle Dynamik - die Gespräche wirkten seriös. Zudem deutet das Ende Mai überraschend zustande gekommene Doha-Abkommen, das der Wahl eines neuen libanesischen Präsidenten den Weg ebnete, auf eine Entspannung zwischen den Fronten im Nahen Osten hin - wie auch die in dieser Woche beschlossene Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel. Und die USA hätten «die Ampel von Rot auf Orange geschaltet», glaubt Hamidi. Allerdings ist ein Durchbruch frühestens 2009 zu erwarten - wenn der jetzige US-Präsident seinen Sessel geräumt haben wird.

Friedensgespräche - von Madrid bis Genf

Die Madrider Konferenz von 1991 setzte den Auftakt der Friedensgespräche zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, inklusive Syrien. Eine erste israelisch-syrische Verhandlungsrunde endete 1996. Trotz erheblicher Fortschritte kam kein Abkommen zustande. Eine zweite Verhandlungsrunde scheiterte im März 2000, kurz vor dem Tod des syrischen Präsidenten Hafez al-Assad. Unter der Schirmherrschaft des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton hatten sich beide Seiten weitgehend geeinigt: So willigte Israel grundsätzlich ein, sich aus dem Golan zurückzuziehen. Im Gegenzug erklärte sich Syrien bereit, mit Israel friedliche nachbarschaftliche ­Beziehungen aufzunehmen. Zudem sollte Israel auf dem Berg Hermon im Norden des Golan eine Frühwarnstation aufbauen dürfen. Bereits mehrmals war Israel vom militärstrategisch wichtigen Gebirgsplateau aus angegriffen worden.

Doch der Teufel lag im Detail: Der definitive Handschlag scheiterte am exakten Grenzverlauf. Während Syrien den Rückzug auf die Grenze des 4. Juni 1967 forderte, bestand Israels damaliger Ministerpräsident Ehud Barak zusätzlich auf einen wenige hundert Meter breiten Landstrich östlich des Sees Genezareth und des Jordans - beides wichtige Wasserquellen für Israel. Zu gross waren Baraks Befürchtungen, Syrien könnte das Wasser absichtlich kontaminieren oder abschöpfen. Im März 2000 lud Clinton den syrischen Präsidenten nach Genf ein, um ihm Baraks Angebot zu unterbreiten - al-Assad lehnte ab.



* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 19. Juni 2008


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