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Terror per Ultimatum

Terror per Ultimatum. USA wollen Sicherheitsrat umgehen

Von Karin Leukefeld *

Nachdem führende Staaten des Kreises »Freunde Syriens« in Absprache miteinander syrische Botschafter ausgewiesen haben, hat die »Freie Syrischen Armee« (FSA) der Führung in Damaskus ein Ultimatum gestellt. Bis Freitag mittag solle Präsident Baschar Al-Assad den Friedensplan des Sondervermittlers Kofi Annan umsetzen und die Gewalt im Land beenden, sagte Kassim Saadeddine in einer über Video verbreiteten Erklärung. Wenn die Regierung sich nicht an die Frist halte, fühle sich auch die FSA-Führung an »keine Zusage« aus dem Plan mehr gebunden und werde militärisch eskalieren. Allein: Seit Beginn des Waffenstillstandes am 12. April sollen bewaffnete Gruppen nach offiziellen Angaben mehr als 3500 Angriffe durchgeführt haben. Der im türkischen Grenzgebiet ansässige Riad Asaad, der ebenfalls eine Führungsposition in der FSA beansprucht, sagte dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira, man habe kein Ultimatum gesetzt. Vielmehr erwarte man von Kofi Annan, daß er »das Scheitern seines Planes« verkünde.

UN-Botschafterin Susan Rice forderte am Mittwoch, den Druck auf Damaskus weiter zu erhöhen. Sollte sich Syrien weiterhin nicht an den Annan-Plan halten, müsse man überlegen, wie die »internationale Gemeinschaft außerhalb des Annan-Plans und unter Umgehung des UN-Sicherheitsrates tätig werden« könne. Der syrische UN-Botschafter Baschar Al-Jaafari bekräftigte, daß der Annan-Plan nicht allein von der syrischen Regierung umgesetzt werden könne. Es erfordere den politischen Willen von allen, die die Gewalt in Syrien anheizten und Waffen und Geld für die »Terroristen« ins Land schleusten und ihnen Rückzug böten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel will beim Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Berlin am heutigen Freitag mit diesem »über die Katastrophe in Syrien sprechen«. In der Frage der Wahrung der Menschenrechte sehe sie »Gemeinsamkeiten« mit Rußland, sagte die Kanzlerin. Von Berlin aus wird Putin nach Paris weiterreisen.

Ein Sprecher Putins erklärte, Moskau werde auch unter dem wachsenden Druck der anderen Sicherheitsratsmitglieder seine Position nicht ändern. »Unsere Einstellung zu Sanktionen ist offen gesagt weiterhin negativ«, sagte der russische UN-Botschafter, Witali Tschurkin. Moskau verwahre sich gegen Forderungen nach einer kritischeren Haltung gegenüber Damaskus. Unter Druck aus dem Ausland könne es keine Gespräche über Rußlands Einstellung in der Syrien-Frage geben, sagte Putin-Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch laut Nachrichtenagentur ITAR-Tass. Auch Peking forderte, dem Annan-Plan müsse mehr Zeit gegeben werden.

In Damaskus wurden am Donnerstag 500 Gefangene freigelassen, die im Zusammenhang mit den Unruhen festgenommen worden waren. Ein für Donnerstag erwarteter Bericht einer Regierungskommission, die die Morde in Hula vom vergangenen Freitag untersuchen sollte, lag bis Redaktionsschluß nicht vor.

Die US-Senatoren John McCain und Joseph Lieberman forderten unterdessen, die Vereinigten Staaten sollte die syrische Opposition mit Waffen unterstützen. Das dem israelischen Geheimdienst zuzuordnende Internetportal Debkafile berichtete unter Berufung auf »unsere militärischen Quellen … daß syrische Rebellen inzwischen deutsche Maschinengewehre der Marke Heckler und Koch, MG4 für ihre Angriffe auf syrische militärische Ziele« einsetzten. Auf jW-Nachfrage hieß es im Bundeswirtschaftsministerium, man werde die Meldung prüfen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 1. Juni 2012


Die Schuldfrage

Von Roland Etzel **

Andere hätten längst aufgegeben. Wenn man von keiner der Konfliktseiten die nötige Unterstützung erhält, wie es aktuell bei der Syrien-Mission der Fall ist, kann auch der beste UN-Vermittler keinen Erfolg vorweisen. Zumindest keinen kurzfristigen.

Kofi Annan aus Ghana ist der beste. Weil er Geduld hat, Diplomatie und Diskretion alter Schule pflegt, billiges Lob und schnellen Ruhm offenbar entbehren kann - was ginge auch über den Friedensnobelpreis, den er schon hat? -, und nicht zuletzt weil er wenig Anstalten macht, sich der letzten Supermacht so anzudienen wie sein aktueller Nachfolger. Jene, die USA, hat ihn zwar vor Monaten mit für diese Mission nominiert, findet aber anscheinend immer weniger Freude an der Art, wie Annan den heiklen Job annimmt.

Annan hat sich stets sehr zurückgehalten bei Schuldzuweisungen, auch in bezug auf das jüngste verheerende Massaker in der Stadt Hula. Nicht selten haben derartige Bluttaten in der jüngeren Geschichte willkommene Vorwände für ausländische Interventionen geliefert. Dass sich hinterher manches ganz anders darstellte - wie zum Beispiel 1999 in Racak (Kosovo), als Kriegsgründe gegen Serbien gesucht wurden -, wer fragte noch danach? US-Außenministerin Clinton jedenfalls scheint bei Annan nicht länger tolerieren zu wollen, dass er seine Vermittlungsmission so ernst nimmt. Sie verlangt jetzt klare Schuldzuweisungen und hat mit ihren antirussischen Ausfällen den Ton schon mal vorgegeben.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 1. Juni 2012 (Kommentar)


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