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Hollande will "provisorische Regierung" – aber welche?

Assad-Gegner offerieren nach Angebot aus Paris gleich mehrere Optionen

Von Karin Leukefeld *

Der Aufruf des französischen Präsidenten François Hollande an die syrische Opposi¬tion, eine »provisorische Regierung« zu bilden, ist in den USA auf Skepsis gestoßen. Hollande, der seit seinem Amtsantritt im Mai von Kriegsbefürwortern um den Publizisten Bernard-Henri Lévy zu einem militärischen Eingreifen in Syrien gedrängt wird, war vor wenigen Tagen mit Vertretern des Syrischen Nationalrates (SNR) im Èlysée-Palast zusammengetroffen. Am Montag erklärte er schließlich, sollte eine provisorische Regierung zustandekommen, werde Paris diese anerkennen. Eine solche »Regierung« müsse »inklusiv und repräsentativ« sein, so Hollande. »Inklusiv« meint in diesem Fall, daß alle Religions- und ethnischen Gruppen sowie Frauen in den politischen Prozeß in Syrien einbezogen werden sollen. Er werde »mit unseren arabischen Partnern« daran arbeiten, daß schnell eine solche »Regierung« gebildet werde, erklärte der französische Staatschef weiter.

Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland bezeichnete Hollandes Ankündigung als »verfrüht«, da die syrische Opposition zu zersplittert sei. Der Vorsitzende des SNR, Abdelbaset Sieda, wiederum wies diese Feststellung gegenüber der Nachrichtenagentur AP zurück. Die Kommentare aus Washington zeigten, daß die »internationale Gemeinschaft nicht bereit« sei, starke Entscheidungen zu Syrien zu treffen.

Von vielen Seiten werden derzeit Pläne laut, wer Syrien nach dem angestrebten »Sturz« von Präsident Baschar Al-Assad führen soll. Im Vorfeld der nächsten Konferenz der »Freunde Syriens«, die sich im September in Marokko mit »Zukunftsplänen« befassen wollen, fördert die Bundesregierung zusammen mit der US-Administration einen Kreis syrischer Oppositioneller. Am Dienstag stellten sie in Berlin ihren Plan für den »Tag danach« vor (siehe oben). Mohammad Ballout, Korrespondent der libanesischen Tageszeitung As-Safir in Paris, berichtet derweil, daß westliche Staaten eine klare Stärkung der »Freien Syrischen Armee« (FSA) betreiben. Das solle auch im Syrischen Nationalrat sichtbar werden. Fraglich sei indes, wieviel Einfluß dieser bei den militärischen Strukturen habe. Der SNR-Vorsitzende Abdulbase Sieda behauptete gegenüber As-Safir, der Rat habe »genug Autorität über die syrischen Militärräte, um sie in eine Übergangsregierung« einzubeziehen. Zudem plane der SNR den Umzug nach Syrien, »sobald die Sicherheitslage es zuläßt«.

Ballout verweist auf andere Gruppen, die sich ebenfalls berufen sehen, die Macht in Syrien zu übernehmen. Der dem saudischen Königshaus nahe stehende Mohammad Nawfal Dawalibi hatte bereits im April in Paris die Gründung einer syrischen Exilregierung bekannt gegeben. Der ehemalige syrische Richter und Menschenrechtsanwalt Haithem Maleh erklärte Ende Juli in Kairo, er sei von einer Syrischen Nationalen Koalition beauftragt, eine Übergangsregierung zu bilden. Burhan Ghalioun, ehemaliger SNR-Präsient, will die unabhängigen Oppositionellen vom Syrischen Demokratischen Forum, Michel Kilo und Aref Dalila, gewinnen, um mit diesen und anderen ein Komitee zu bilden, das den Übergangsprozeß leiten soll. Und die ehemalige SNR-Sprecherin Basma Kadamani plant gemeinsam mit dem syrischen Industriellen und ehemaligen Abgeordneten Riad Seif ebenfalls eine Übergangsregierung, die wiederum von Seif geleitet werden soll. Eine weitere wurde von der »Freien Syrischen Armee« vorgeschlagen. Diese soll von einem Oberst Kassim Saadeddin geleitet werden.

Die Türkei instrumentalisiert derweil die syrischen Flüchtlinge, um die anderen NATO-Staaten zur militärischen Absicherung einer Flugverbotszone im Norden des Nachbarlands zu drängen. Die Regierung in Ankara wolle ihre »menschliche Pflicht« erfüllen, sagte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu. Die große Zahl der Flüchtlinge werde aber zur Belastung, daher habe man die Grenze für Menschen aus Syrien schließen müssen. Schätzungsweise 80000 Flüchtlinge haben in der Türkei Zuflucht vor den Kämpfen in Syrien gesucht. Das Flüchtlingslager Reyhanli nahe der Grenze ist ausschließlich für Mitglieder der »Freien Syrischen Armee« und deren Angehörige reserviert. Die Türkei unterstützt Waffenlieferungen und Ausbildung der bewaffneten Aufständischen, die sie ungehindert die Grenze nach Syrien passieren läßt.

Davutoglus französischer Amtskollege Laurent Fabius erklärte am Montag, eine Flugverbotszone in Syrien sei unvermeidbar, wenn der Flüchtlingsstrom in Richtung Türkei anhalte.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. August 2012


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