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Der Bedarf steigt - die Hilfe sinkt

Organisationen der Vereinten Nationen reduzieren Hilfsprogramme für Syrien und ziehen Personal ab

Von Karin Leukefeld

Die internationale Gemeinschaft reduziert weiter ihre Unterstützung für die syrische Bevölkerung. Auch die Hilfe für die Inlandsflüchtlinge wird eingeschränkt. Offiziell heißt es, daß Geberländer nicht genügend spendeten, es fehlten 20 Millionen US-Dollar.

Organisationen der Vereinten Nationen haben seit Monaten ihre Programme in Syrien heruntergefahren. Internationales Personal der UN-Kinderhilfsorganisation (UNICEF) und des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) wurden abgezogen. In Syrien tätige Journalisten, die Auskunft über die laufende Arbeit erhalten wollten, wurden auf Büros in Amman oder Beirut verwiesen. Programme für ausländische Flüchtlinge, Iraker und Afrikaner aus Sudan und Somalia, wurden eingestellt. Es gab keine Hilfe mehr für traumatisierte irakische Kinder und ihre Familien, Fortbildungskurse für irakische Frauen und Mädchen liefen aus. Auch soziale Dienste für behinderte Flüchtlinge, die gemeinsam mit syrischen Organisationen durchgeführt worden waren, wurden eingestellt. Betroffen ist beispielsweise die Hilfsorganisation Terre des Hommes, die sowohl irakischen als auch syrischen behinderten Kindern hilft. Reduziert wurde auch die Hilfe für die Palästinenser in Syrien, die als anerkannte Flüchtlinge Anspruch auf eine Vielzahl von Hilfe haben, die durch das UN-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtligen (UNRWA) durchgeführt wird.

UNICEF hatte zuletzt Familien unterstützt und bei der Wiederherstellung beschädigter Wasser- und Abwassersysteme geholfen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) lieferte Medikamente und medizinisches Material an Krankenhäuser und private Kliniken. UNHCR hatte Mitte November - vor Beginn des Winters - warme Kleidung und Decken an 1,2 Millionen Inlandsvertriebene verteilt. Zusätzlich hatte UNHCR 465.000 in den Nachbarländern registrierten Flüchtlingen geholfen.

Nun hat die Vertretung der Vereinten Nationen in Genf erklärt, man werde die Hilfsoperationen in Syrien „aussetzen“ und „nicht erforderliches Personal“ aus dem Land abziehen. Ein Viertel der verbliebenen 100 ausländischen UN-Mitarbeiter in Syrien könnten noch in dieser Woche abgezogen werden, hieß es in Genf. Grund sei eine Zunahme von Angriffen auf humanitäre Hilfskonvois und der Diebstahl von Fahrzeugen mit Hilfsgütern. Am vergangenen Wochenende war ein Fahrzeug von Soldaten der UN-Beobachtungsmission auf dem Golan (UNDOF) auf dem Weg zum Flughafen von Damaskus angegriffen worden, vier österreichische Soldaten wurden dabei verletzt. Zu den Angreifern machte die UNO keine Angaben. Berichten von Hilfsorganisationen zufolge sind es kriminelle Gruppen oder Gruppen der Aufständischen, die die internationalen Organisationen angreifen, ihre Fahrzeuge und die Hilfsgüter stehlen. Die syrische Regierung hat mit den internationalen Organisationen, die in Syrien arbeiten, Vereinbarungen über die Kooperation mit dem Syrischen Arabischen Halbmond (SARC) getroffen. Unbestätigten Berichten zufolge sollen die UN-Mitarbeiter sich nach Jordanien zurückziehen. Syrische Mitarbeiter bleiben im Land.

Die Lage in Damaskus habe sich erheblich verändert, erklärte der leitende UNO-Sicherheitsberater Sabir Mughal in Genf. Zivilisten seien einem wachsenden Risiko ausgesetzt, weil die Kämpfe zwischen den Parteien zunähmen. Allein in unmittelbarer Nähe der UNO-Beobachtermission in Damaskus, war es seit Juli drei Mal zu Bombenanschlägen und Kämpfen gekommen. Seit Beginn der Unruhen in Syrien im März 2011 sind nach UNO-Angaben acht Mitarbeiter getötet worden. Der Syrische Arabische Rote Halbmond verlor in der gleichen Zeit sieben seiner Freiwilligen.

Vor wenigen Tagen erklärte nun auch das Welternährungsprogramm, WFP, das gemeinsam mit dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond Nahrungsmittel an 1,5 Millionen Inlandsvertriebene verteilt, seine Hilfsleistungen zu reduzieren. Grund sei, dass die Geberländer nicht genügend Geld gespendet hätten, es fehlten 20 Millionen US-Dollar.

Die einzige internationale Organisation, die in den letzten Monaten ihre Hilfe für die syrische Bevölkerung im Land auch personell ausgeweitet hat, ist das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, IKRK. Die Mitarbeiter würden „wie gewöhnlich“ arbeiten, erklärte IKRK-Sprecher Alexis Heeb in Genf. Die Organisation ist auch im Bereich der Wasserversorgung sehr aktiv.

Die meisten westlichen Botschaften hatten schon zum Jahreswechsel 2011/2012 die Botschafter zurückgezogen und ihre Vertretungen in Damaskus geschlossen. Die Bundesregierung richtete im Auswärtigen Amt eine „Task Force Syrien“ ein. Syrer, die aus verschiedenen Gründen ein Visum zu beantragen versuchten, mussten seit Januar nach Ankara, Beirut oder Amman reisen. Für Familienbesuche oder zur Fortbildung werden so gut wie keine Visa für Deutschland mehr erteilt. Ausgewählte politische Flüchtlinge hingegen werden bevorzugt aufgenommen.

Die Vertretung der Europäischen Union in Damaskus reagierte seit Monaten nicht mehr auf journalistische Anfragen. Stellungnahmen zu Syrien wurden ausschließlich aus Brüssel vorgenommen. Nun soll auch aus diesem Büro das letzte ausländische Personal abgezogen werden, hieß es in Brüssel.

Der Vorsitzende der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, George Jabbour, bedauerte in Damaskus die Entscheidungen zum Rückzug internationaler Organisationen. Die Abwesenheit diplomatischer Vertretungen mache es schwer für die syrische Führung aber auch für seine Organisation und für die innersyrische Opposition, im Westen überhaupt noch Gehör zu finden. Die internationalen Organisationen folgten dem diplomatischen Ansatz der Westmächte, sagte Jabbour. Die angekündigte Verkleinerung der UNO- und EU-Missionen in Damaskus sei für die Syrer „eine traurige und schlechte Nachricht“.


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