Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Preisliste für Abtrünnige

Die Flucht des syrischen Premiers Hidschab weist auf Druck der Golfmonarchien hin

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Nach nur zwei Monaten im Amt hat sich der syrische Ministerpräsident Riad Hidschab nach Jordanien abgesetzt. Das staatliche Syrische Fernsehen - das kurz zuvor Ziel eines Anschlags geworden war - teilte am Montag mit, Präsident Assad habe Hidschab entlassen und dessen Stellvertreter Omar Ghalawandschi zum Übergangspremier ernannt.

Ein Mann, der sich als Sprecher von Hidschab ausgab, meldete sich im arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira Arabisch zu Wort und erklärte, Hidschab sei mit seiner Familie sowie mit den Familien von acht Brüdern und zwei Schwestern in Amman angekommen. Angeblich habe die »Freie Syrische Armee« die Flucht des Konvois aus Damaskus gesichert. Der Mann verlas in dem Fernsehsender, der wie eine Art Pressestelle für die »Freie Syrische Armee« fungiert, eine angebliche Erklärung des ehemaligen Ministerpräsidenten. Darin hieß es, Hidschab setze sich vom »mörderischen und terroristischen Regime« ab und sei »von heute an ein Soldat dieser gesegneten Revolution«. Hidschab befinde sich an einem »sicheren Ort«, bestätigten Behörden in Amman.

Hidschab, früherer Landwirtschaftsminister und ehemaliger Gouverneur von Lattakia, gehört zu einem großen Stamm in Deir Ezzor, im Osten Syriens. Seit Beginn der Unruhen in Syrien im März 2011 ist es in der Region Deir Ezzor zu Auseinandersetzungen zwischen Stämmen gekommen, die Präsident Baschar al-Assad unterstützen und solchen, die ihn bekämpfen. Assad-feindliche Stämme haben seit Ende 2011 Waffen und Al-Qaida-Kämpfer aus Irak nach Syrien geschmuggelt.

Ein Gesprächspartner in Damaskus sagte, möglicherweise sei Hidschab mit seiner Familie bedroht worden, sollte er sich nicht von Präsident Assad absetzen. Die Golfmonarchien sollen nach Angaben arabischer Medien und ausländischer Beobachter in Damaskus vor allem sunnitische Muslime in Ministerien und staatlichen Institutionen, Diplomaten und Militärs massiv unter Druck setzen, ihre Posten zu verlassen.

Wer dem Druck nachgebe, werde »gemäß einer Preisliste« finanziell, mit Kost und Logis und der Aussicht auf einen Job in der »Nach-Assad«-Ära belohnt. Wer sich weigere, müsse mit Entführung und Mord rechnen.

Ein Ziel dieser Kampagne sind auch die syrischen Medien, die sowohl von der Europäischen Union auf die Sanktionsliste gesetzt wurden als auch von der syrischen Opposition und islamistischen Gruppen bedroht werden. Am Montagmorgen verwüstete ein Sprengsatz die dritte Etage im Gebäude der staatlichen syrischen Fernseh- und Rundfunkstation in Damaskus. Drei Menschen wurden durch die Explosion verletzt, die gesamte Etage wurde schwer verwüstet. Unklar ist indes, wie der Sprengsatz in das gewöhnlich gut gesicherte Gebäude gelangen konnte.

Bassma Kodmani, Sprecherin des Syrischen Nationalrates (SNR), der syrischen Auslandsopposition, forderte am Montag im französischen Radiosender Europa 1 bessere Waffen für die Kämpfer in Syrien. Katar und Saudi-Arabien rüsteten die Gruppen »mit leichten und konventionellen Waffen« aus. Auch Libyen liefere einiges, »was von seiner eigenen Schlacht übrig geblieben ist«, sagte Kodmani. Um das Regime von Präsident Assad stürzen zu können, müssten die Kämpfer aber insgesamt besser ausgerüstet werden.

Bei einem Außenministertreffen des Golfkooperationsrates in Dschidda, Saudi Arabien, rief der saudische Außenminister Prinz Saud al-Faisal am Wochenende die Golfstaaten auf, ihre Ressourcen zu mobilisieren und dem syrischen Volk zu helfen »sich zu verteidigen«. In den Golfstaaten ist das eine Umschreibung für Waffenlieferungen an die Aufständischen in Syrien.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 7. August 2012


<

Krieg gegen Medien

Von Karin Leukefeld, Damaskus **

Ein Anschlag auf den staatlichen syrischen Radio- und Fernsehsender in Damaskus hat am Montag morgen eine Etage in dem Gebäude weitgehend zerstört. Der Sprengsatz explodierte kurz nach neun Uhr Ortszeit, dem offiziellen Arbeitsbeginn während des Fastenmonats Ramadan. Zerstört wurden Büroräume, das Videoarchiv, Montage- und Cutterplätze. Aufnahmen, die kurz nach dem Anschlag von Kameraleuten des Senders gedreht wurden, zeigten abgerissene Deckenteile, eingestürzte Mauern und herunterhängende Stromkabel. Mitarbeiter halfen mit Staub und Putz bedeckten Kollegen aus den zerstörten Räumen. Nach bisherigen Angaben wurden drei Menschen verletzt. Das Hochhaus am Umayyaden-Platz wies äußerlich keine Beschädigungen auf. Der Sender nahm nach wenigen Stunden sein Programm wieder auf. Unklar ist, wie der Sprengsatz in das hoch gesicherte Gebäude gelangen konnte.

Informationsminister Omran Al-Subi machte Katar, Saudi-Arabien und Israel für den Anschlag verantwortlich. »Nichts kann die Stimme Syriens und des syrischen Volkes zum Verstummen bringen«, sagte er. Die islamistische Al-Nusra-Front hatte nach dem Mord an einem prominenten Moderator des Senders gedroht, Mitarbeiter der syrischen Medien weiter gezielt anzugreifen.

Die von der Bundesregierung finanzierte Deutsche Welle hatte das syrische Fernsehen in den vergangenen Jahren mit Ausbildungsprogrammen für Techniker und Journalisten unterstützt. Nach Beginn der Unruhen im März 2011 wurden alle bilateralen Austauschprogramme eingestellt.

Ebenfalls am Montag hat Präsident Baschar Al-Assad den Regierungschef, Ministerpräsident Riad ­Hid­schab, entlassen. Kurz darauf meldete sich ein angeblicher Sprecher des Ministerpräsidenten im arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira zu Wort und erklärte, Hijab befinde sich »mit acht Brüdern und zwei Schwestern«, deren Familien sowie mit Frau und Kindern »an einem sicheren Ort in Jordanien«. Er habe sich »als Soldat der gesegneten Revolution« angeschlossen. Angeblich habe die »Freie Syrische Armee« den Abzug des Clans aus Damaskus gesichert. Jordanische Behörden bestätigten die Anwesenheit Hid­schabs im Land. Assad ernannte Hid­schabs Stellvertreter, Omar Galawandschi, zum Übergangsministerpräsidenten.

Der Syrische Nationalrat (SNR) teilte am Montag mit, zwei Minister und drei Brigadegeneräle seien ebenfalls nach Jordanien geflohen, was von unabhängiger Seite nicht bestätigt wurde. Finanzminister Mohammed Al-Dschulajlati, der sich laut Opposition ebenfalls abgesetzt haben soll, wies die Angabe gegenüber dem syrischen Fernsehen zurück.

Arabische Medien und ausländische Beobachter berichten von Preislisten, mit denen die Golfstaaten Überläufer aus Damaskus finanziell belohnen. Je höher der Rang eines Überläufers, desto höher das Preisgeld, sagte eine Quelle der Autorin in Damaskus.

Die SNR-Sprecherin Bassma Kodmani forderte am Montag im französischen Radiosender Europa 1, die Kämpfer in Syrien besser auszurüsten. Katar und Saudi-Arabien lieferten den Gruppen »leichte und konventionelle Waffen«, Libyen sende, »was von seiner eigenen Schlacht übriggeblieben ist«, sagte Kodmani dem Sender. Der saudische Außenminister Prinz Saud Al-Faisal rief am Sonntag die Golfstaaten ebenfalls auf, die Aufständischen in Syrien zu bewaffnen. Bei einem Außenministertreffen des Golfkooperationsrates in Jiddah, Saudi-Arabien, sagte er, die Golfstaaten sollten dem syrischen Volk helfen »sich zu verteidigen«.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 7. August 2012


Zurück zur Syrien-Seite

Zur Medien-Seite

Zurück zur Homepage