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So verloren wie einst Arafat

Unterliegt Syriens Führung einem Hang zur Selbstzerstörung?

Von Lutz Herden

Syrien hat alle Chancen, als "Schurkenstaat" Nordkorea, Iran oder Kuba endgültig den Rang abzulaufen. Der Report des UN-Ermittlers Detlev Mehlis über das Attentat auf Libanons Ex-Premier Rafik Hariri am 14. Februar 2005 hat die Erwartungen erfüllt, die besonders von der US-Regierung in ihn gesetzt wurden. Die Beweiskraft der Vorwürfe an Damaskus ist zwar umstritten. Aber die Dinge im Nahen Osten blicken oft so zurück, wie man sie im Westen sehen will. Saddams Massenvernichtungswaffen taten es und rechtfertigten einen Krieg mit Zehntausenden von Toten. Die Entrechtung der Palästinenser tut es und wird dabei zur rohen Gewalt von Terroristen. Andere Beispiele derartiger Spiegelungen ließen sich finden.

Es gäbe "Gründe zu der Annahme", schreibt Mehlis, dass die Ermordung Hariris "nicht ohne die Zustimmung hochrangiger syrischer Geheimdienstverantwortlicher ausgeführt ... werden konnte". Wer die Logik bemüht, muss daraus folgern, die syrische Führung unterlag offenbar in einem Anflug von masochistischem Verlangen dem Hang zur Selbstzerstörung. Sie liebt das Gefühl, wenn der Knüppel den eigenen Kopf trifft. Sie hat die Demütigungen vergangener Jahre (und Jahrzehnte) noch nicht zur Genüge auskosten können. Also ließ sie Hariri töten, um Wirtschaftssanktionen ausgesetzt und in der arabischen Welt noch isolierter zu sein. Sie findet Gefallen daran, sich den Amerikanern als abgebrühter Schurkenstaat zu präsentieren, damit das Feindbild ohne Risse über die Runden kommt.

Als Rafik Hariri ums Leben kam, stand längst außer Zweifel, dass die Tage der letzten syrischen Soldaten im Libanon gezählt waren. Es gab die UN-Resolution 1559 (2004) mit ihrer ultimativen Abzugsforderung, und es gab den heißen Wunsch der Bush-Regierung, angesichts des Verhängnisses im Irak zu Hause einen auswärtigen Erfolg vorzuweisen und dehalb dem syrischen Konquistador die libanesische Eroberung zu entreißen. Folglich hatte Präsident al-Assad ein Einsehen, befahl das Attentat auf Hariri, um die Ereignisse - zum eigenen Nachteil zwar, aber als Gunstbeweis gegenüber dem Weißen Haus - zu beschleunigen. Schurkenstaaten haben eben Präsidenten, die ihren eigenen Interessen zuwider handeln. Sie sind ihren Feinden gefällig, wenn sich die Chance dazu bietet. Das Stigma des "Schurken" braucht das Irrationale, das Unberechenbare.

Zur Erinnerung und um den Tatsachen die Ehre zu geben: Bereits am 2. Mai 2003 - unmittelbar nach dem Ende des Irak-Feldzuges - hatte der damalige US-Außenminister Colin Powell die Regierung in Damaskus mit dem Ansinnen konfrontiert, sich auf die "neue strategische Lage" einzustellen. Seine Botschaft: Wir sind in Bagdad und damit der neue Nachbar Syriens und fähig und willens, euch alles aus der Hand zu schlagen, was ihr noch gebrauchen könntet, eine Regionalordnung nach unserem Gutdünken zu stören. Auf dem Rückweg aus Syrien sprach Powell in Beirut mit Präsident Lahoud, Ministerpräsident Hariri und Parlamentspräsident Berri, um danach zu erklären, er blicke einem "freien und prosperierenden Libanon entgegen" - frei von allen fremden Truppen.

Syriens Außenminister Charea teilte parallel dazu mit, man werde dem amerikanischen Wunsch nachkommen, die Büros der Hamas, des Islamischen Jihad, der Volksfront zur Befreiung Palästinas und des palästinensischen Ablegers der Baath-Partei in Damaskus zu schließen, man werde keinen Einfluss auf Iraks Nachkriegsordnung nehmen, man werde keinem Emigranten des Saddam-Clans Asyl gewähren, man denke im Libanon "an einen Truppenabzug auf lange Frist".

Ging einer Gruppe "hochrangiger syrischer Geheimdienstverantwortlicher" - oder wem auch immer in Damaskus oder Beirut - der gebeugte Kopf gegenüber Bush zu weit? Wollten sie Präsident Assad mit dem Hariri-Attentat zu mehr Standfestigkeit und zum Handeln treiben? Nur wohin, in welche Richtung? Mit welcher Macht, welchen Instrumenten? Welchem Rückhalt in der arabischen Welt? Syrien erscheint heute kaum weniger ausgegrenzt als die PLO zuletzt unter Yassir Arafat. Als Bashar al-Assad im Juni 2000 die Nachfolge seines verstorbenen Vaters antrat, war er um einen Neuanfang in den Beziehungen mit Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien und anderen Staaten des Golfkooperationsrates bemüht. Was da auf den Weg gebracht wurde, war mit dem Irak-Krieg schlagartig obsolet. Wer von den "arabischen Brüdern" jetzt noch an Damaskus festhielt, riskierte Ärger mit den USA.

Syrien wurde im Frühjahr 2003 ein weiteres Mal zum Frontstaat, ob es wollte oder nicht - mit einer 600 Kilometer langen Landgrenze zum Irak, wegen der Jahrhunderte alten Beziehungen zu den irakischen Schiiten, wegen der in Syrien lebenden 250.000 Kurden, wegen der gemeinsamen Nutzung der Wasserkraft des Euphrat, wegen panarabischer Ambitionen, die einst in Damaskus wie in Bagdad staatstragende - und schwer verfeindete - Baath-Parteien hervorbrachten. Syrien hätte sich aus der Welt schaffen müssen, um nicht in das Irak-Desaster verwickelt zu werden.

Dabei war das Land als Frontstaat eigentlich längst ausgelastet. Syrien ist seit 38 Jahren territorial amputiert. Ein Opfer der israelischen Okkupation der Golan-Höhen. Auch dazu gibt es Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates, die Resolutionen 242 von 1967 und 338 von 1973 verlangen die bedingungslose Rückgabe dieser besetzten Gebiete und den Abzug der israelischen Armee. Aber niemand kann, und kaum jemand will sie noch durchsetzen. Das Recht des Schwachen hat bestenfalls noch musealen Wert, es geht zu den Akten, vergessen und verdrängt. Niemand fragt mehr danach, bis auf Syrien, und dem wird das gerade abgewöhnt.

* Aus: Freitag 43, 28. Oktober 2005


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