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"Freie Syrische Armee" in Auflösung

Aufständische gegen Präsident Assad zersplittern in immer mehr Fraktionen

Von Karin Leukefeld *

Der »Syrische Nationalrat« (SNR) will nicht an Gesprächen über eine politische Lösung in Syrien in Genf teilnehmen. Das erklärte der Vorsitzende der Gruppe, George Sabra, am Wochenende im Gespräch mit der französischen Nachrichtenagentur AFP. Man sei nicht bereit, an der Konferenz teilzunehmen, da diese lediglich »das Scheitern internationaler Politik kaschieren« solle. Bezug nehmend auf die UN-Sicherheitsratsresolution zur Abschaffung der syrischen Chemiewaffen warf Sabra der Weltgemeinschaft vor, diese würde sich nur auf »die mörderischen Waffen konzentrieren«, aber »den Mörder ungestraft« lassen und »die Opfer vergessen«. Sabra zeigte sich überzeugt, daß der syrische Präsident Baschar Al-Assad für den Angriff mit chemischen Substanzen am 21. August 2013 in der Nähe von Damaskus verantwortlich ist. Dessen Regierung hat die Anschuldigung stets zurückgewiesen und macht ihrerseits bewaffnete Aufständische für das Massaker verantwortlich.

Bislang ist der SNR mit 20 Mitgliedern die stärkste Fraktion in der von den USA, der EU und anderen Staaten anerkannte und finanzierte »Nationalen Koalition« der Aufständischen. Sollte diese Allianz an den Gesprächen in Genf teilnehmen, werde man das Bündnis verlassen, warnte Sabra. Der Vorsitzende der Koalition, Ahmed Jarba, hatte am Rande der UN-Vollversammlung in New York die Teilnahme seiner Gruppe an den Genf-II-Gesprächen zugesagt. Die Zusammenstellung einer entsprechenden Delegation soll in den nächsten Tagen beraten werden. Die Konferenz ist für Mitte November avisiert.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow äußerte derweil Zweifel, ob es den Unterstützerstaaten der syrischen Opposition gelingen wird, diese zur Teilnahme an den Gesprächen zu bewegen. Da vermutlich keine geeinte Delegation der verschiedenen Gruppen zustande kommen wird, gehen Beobachter davon aus, daß die Opposition mit drei oder vier Delegationen nach Genf kommen wird.

Die Dschihadisten und Kampfverbände der Salafisten, die sich kürzlich zu einer Allianz für die Einführung eines islamischen Kalifats in Irak und Syrien zusammengeschlossen haben, lehnen die Gespräche ganz ab. Im Norden Syriens liefern sie sich derzeit mörderische Kämpfe mit kurdischen Selbstverteidigungskräften und versprengten Gruppen der »Freien Syrischen Armee« (FSA). Diese zeigt arabischen Quellen zufolge deutliche Auflösungserscheinungen. Seit Monaten ziehen sich immer mehr FSA-Kämpfer in die Türkei zurück. Der britische Journalist Robert Fisk berichtete kürzlich im Independent von einer Abordnung der FSA, die in Damaskus geheime Gespräche mit der syrischen Armeeführung geführt haben soll. Am vergangenen Donnerstag wurde bekannt, daß etwa 400 Kämpfer einer FSA-Brigade südlich von Damaskus ihren Kampf gegen die syrische Armee eingestellt haben.

Dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond (SARC) ist es am Wochenende nach unzähligen vergeblichen Versuchen gelungen, Frauen und Kinder aus dem umkämpften Damaszener Vorort Muadamiya in Sicherheit zu bringen. Die Zahl der Geretteten schwankt je nach Quelle zwischen 1000 (Nationale Koalition) und 3000 (Syrische Nachrichtenagentur SANA) Personen.

Die Hauptstadt Damaskus war am Wochenende mehrmals Ziel von Angriffen der Aufständischen geworden. Bei einem Angriff nahe der Schule Dar Al-Salam im Zentrum der Stadt wurde ein achtjähriges Mädchen getötet, elf Personen wurden verletzt. Bei der Explosion von zwei Autobomben am Omayyaden-Platz nahe der Sendezentrale des syrischen Staatsfernsehens sollen zwei Personen getötet worden sein. Beide Anschläge fanden an belebten Plätzen, in Wohnvierteln und in unmittelbarer Nähe von Hotels statt, in denen UN-Missionen und internationale Journalisten einquartiert sind.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 15. Oktober 2013


Syriens ewiger Frieden

Von Fabian Köhler ***

Man muss wohl ein Diktator sein, um das lustig zu finden: »Den Preis hätten sie mir geben sollen«, scherzte Syriens Präsident Bashar Al-Assad im Interview mit einer libanesischen Tageszeitung. Die Rede war vom Nobelpreis – nicht für Chemie, sondern für Frieden. Doch auch Syriens Opposition eint ein – sagen wir – etwas distanziertes Verhältnis zum Thema Frieden.

Als »nicht sinnvoll« wies der Vorsitzende des Syrischen Nationalrates, George Sabra, diese Woche eine Beteiligung an der Friedenskonferenz »Genf II« zurück. Diese soll eigentlich schon seit vier Monaten einen Ausweg aus dem Morden in Syrien ebnen. Das Problem: Es fehlt an Teilnehmern, die dieses Ziel teilen. Seit Mai dieses Jahres haben sich fast alle Oppositionsgruppen und Milizen in Syrien von der größten Gefahr für ihre Existenz distanziert: Friedensverhandlungen. Über 13.000 Syrer bezahlten für diese Politik in der Zwischenzeit mit ihrem Leben.

Doch auch ohne »Genf II« laufen die Verhandlungen der Opposition auf Hochtouren: Freilich nicht mit einheimischen Feinden über Möglichkeiten, das Schlachten zu beenden, sondern mit internationalen Freunden über mehr Waffen, mehr Söldner und mehr Geld. Schlimmstenfalls so lange, bis dann doch alle Syrer ein Frieden auszeichnet: der ewige

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 17. Oktober 2013 (Kommentar)


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