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Leben im Terror

"Freie Syrische Armee" verübt Attentat im Zentrum der Hauptstadt und kündigt weitere bewaffnete Anschläge an

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Bei der Explosion eines Tanklastzuges im Zentrum von Damaskus sind am Mittwoch morgen drei Menschen verletzt worden. Unbekannte hatten unter dem Fahrzeug eine Sprengladung angebracht, die um 8.15 Uhr explodierte und die Ladung des Fahrzeugs in schwarzem Rauch aufgehen ließ. Der Wagen parkte unweit des Meridian Hotels (heute Damas Rose), das seit einigen Monaten Sitz der UN-Beobachtermission in Damaskus ist. In unmittelbarer Nähe des Hotels liegen das Hauptquartier der Syrischen Luftwaffe sowie die Zentrale der Arbeitergewerkschaft.

Ein Sprecher der »Freien Syrischen Armee« übernahm gegenüber dem Sender Al-Dschasira die Verantwortung für den Anschlag. Der Mann, der sich »Abu Al-Noor« nannte und angab für eine Ahfad Al-Rasoul Brigade aus Damaskus zu sprechen, sagte, Ziel des Anschlags sei nicht die UN-Mission, sondern das Zentrum der Sicherheitskräfte gewesen, in dem angeblich mehr als 150 hochrangige Offiziere zusammenkommen sollten. Man habe Vergeltung üben wollen für die Morde, die landesweit von den Sicherheitskräften begangen worden seien. »Wir werden weitere ähnliche Operationen in der Hauptstadt verüben, bis wir ihn im Präsidentenpalast erwischen«, sagte der Mann in einer Anspielung auf Präsident Baschar Al-Assad.

In den letzten Tagen waren in Damaskus mehrere Waffen- und Sprengstoffunde gemeldet worden. So fanden Sicherheitskräfte in einem trockenen Kanal am populären Bab-Srijeh-Markt nahe der Altstadt ein großes Waffenlager. Hinter dem Nationalmuseum wurden vier mit Sprengstoff geladene Kanister unter einem Fahrzeug entschärft.

Der Regierungsbeauftragte für den Kontakt zur UN-Beobachtermission, Vizeaußenminister Feisal Mekdad besuchte die UN-Mission am Vormittag und erklärte, alle Mitglieder der UN-Mission seien unversehrt. Syrien sei entschlossen, die Zusammenarbeit mit der UN-Mission fortzusetzen und alles für deren Sicherheit zu tun, damit die Beobachter ihrer Aufgabe angemessen nachkommen könnten.

Im Damas-Rose-Hotel hielt sich neben der aktuellen UN-Beobachtermission und deren lokalen Mitarbeitern auch die stellvertretende UN-Generalsekretärin für humanitäre Angelegenheiten, Valery Amos auf. Sie hatte am Dienstag mit dem neuen Ministerpräsidenten und bisherigen Gesundheitsminister, Wael Al-Halqi über die humanitäre Situation in Syrien beraten. Al-Halqi hatte dabei auch auf die anhaltenden Angriffe auf medizinisches Personal, Krankenhäuser und Rettungswagen hingewiesen. Am Dienstag war der stellvertretende Leiter des Ärztlichen Dienstes in Deraa, der Arzt Ma’moun Al-Zoubi, auf dem Weg nach Hause von Unbekannten ermordet worden. Al-Halqi sprach auch über die Folgen der Wirtschaftssanktionen, die von den USA, Europa und einigen arabischen Staaten gegen Syrien verhängt wurden. Amos war anschließend mit dem Minister für Nationale Versöhnung, Ali Haidar, zusammengetroffen. Haidar sagte später vor der Presse, die humanitäre Lage in Syrien könne sich nur entspannen, wenn die Gewalt eingestellt werde. Die Regierung sei fest entschlossen, allen Syrern, die durch die Gewalt vertrieben worden seien, die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen.

Erstmals nach seiner Flucht aus Syrien meldete sich am Dienstag der bisherige Ministerpräsident, Riad Hijab zu Wort. Bei einer Pressekonferenz in der jordanischen Hauptstadt Amman bestätigte Hijab, daß er den bewaffneten Aufstand in Syrien unterstütze, selbst in Zukunft aber kein politisches Amt mehr anstrebe. Das US-Finanzministerium nahm Hijab am gleichen Tag von der Sanktionsliste, die die USA gegen Mitglieder der Regierung von Präsident Bashar Al-Assad erstellt hat. Hijab gab an, die Regierung um Assad falle auseinander und kontrolliere nicht mehr als 30 Prozent Syriens. Das behaupten auch westliche Staaten. Angesichts der Tatsache, daß weite Teile des Landes von den Kämpfen nicht berührt sind, dürften jedoch Zweifel an der Darstellung angebracht sein. Die Kämpfe konzentrieren sich vor allem auf grenznahe Gebiete zu Jordanien (Deraa), Libanon, Türkei (Idlib, Aleppo) und Irak (Deir Ezzor). Auch im Umland von Damaskus gibt es militärische Auseinandersetzungen. Die Küstenregion, weite Teile der Provinzen Homs und Hama, der Nordwesten Syriens sowie die Provinz Sweida sind weitgehend ruhig. Hier haben viele der von den Kämpfen vertriebenen Menschen Zuflucht gefunden.

Moskau besteht derweil auf einer Fortsetzung der UN-Beobachtermission in Syrien. Es sei die einzige Quelle für objektive Informationen darüber, was wirklich in Syrien geschehe, hieß es im russischen Außenministerium am Mittwoch. Ein Abzug der UN-Mission würde die Lage in Syrien und in der gesamten Region weiter komplizieren.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 16. August 2012


Bombenanschlag in Damaskus

Türkei droht mit Einrichtung einer »Schutzzone« auf syrischem Gebiet **

Die Rebellen der Freien Syrischen Armee haben nach eigenen Angaben einen Bombenanschlag im Zentrum von Damaskus verübt. Die USA machen Front gegen Iran, weil es Syrien unterstützt.

Ein Bombenanschlag vor einer Kommandozentrale der syrischen Armee hat am Mittwoch das Zentrum von Damaskus erschüttert. Das syrische Fernsehen berichtete von drei Verletzten, zeigte Schäden an der Fassade und Feuerwehrfahrzeuge beim Löschen eines Brandes neben dem Gebäude. Der Sprengsatz war in einem Tanklaster auf dem Parkplatz der Zentrale versteckt.

Zu dem Anschlag bekannte sich die aus Deserteuren bestehende Freie Syrische Armee (FSA). »Diese Operation war eine Antwort auf die im ganzen Land von den Sicherheitskräften verübten Morde«, sagte ein Sprecher der FSA dem katarischen Fernsehsender Al Dschasira. Zuletzt waren am 18. Juli vier führende Vertreter des Sicherheitsapparates bei einem Bombenanschlag im Inneren des Gebäudes des Nationalen Sicherheitsrates getötet worden, unter ihnen der Verteidigungsminister und ein Schwager von Präsident Baschar al-Assad.

Die Bombe explodierte am Mittwoch unweit des Dama Rose Hotels, in dem die Mitglieder der UN-Beobachtermission UNSMIS untergebracht sind. Auch das Gebäude des Fernsehens und etliche Sicherheitszentralen liegen in der Nähe des Anschlagsortes. Die Militärbeobachter blieben nach syrischen Regierungsangaben unverletzt.

In Washington erklärte US-Verteidigungsminister Leon Panetta, es gebe Hinweise, dass Iran gegenwärtig versucht, in Syrien Milizen aufzustellen und zu trainieren. Diese sollten auf der Seite der Regierungstruppen kämpfen. »Wir sehen einen steigenden Einfluss Irans, und das gibt Anlass zu tiefer Besorgnis.« Dass die USA ihrerseits, wie kürzlich der Fernsehsender CNN enthüllte, die bewaffneten Regierungsgegner schon seit Monaten materiell unterstützen, erwähnte Panetta nicht. Ebenfalls am Dienstag hob Washington seine Sanktionen gegen den bisherigen syrischen Ministerpräsidenten Riad Hidschab auf, nachdem dieser zur Opposition übergelaufen und nach Jordanien geflohen war.

Die Führung in Damaskus wird indes von der Organisation der Islamischen Kooperation (OIC) gemaßregelt. Die saudische Zeitung »Al-Hayat« zitierte aus einem Entwurf des Schlussdokuments für das Gipfeltreffen der Organisation, das derzeit in der saudischen Stadt Mekka stattfindet. Der Resolutionsentwurf, der in der Nacht zum Donnerstag angenommen werden sollte, bezeichnet Assads Herrschaft als illegitim. Er müsse die Anwendung von Gewalt und die Verletzung der Menschenrechte »unverzüglich stoppen«, heißt es darin weiter. An die bewaffneten Milizen der Regierungsgegner ergingen derlei Forderungen nicht. Die OIC hat 57 Mitglieder Für die Billigung des Beschlusses über die Aufhebung der syrischen Mitgliedsrechte ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Diese gilt als sicher. Saudi-Arabien, das die Rebellen in Syrien unterstützt, dominiert die OIC.

Seit Beginn des Syrienkonflikts im März 2011 starben nach UN-Schätzungen mindestens 17 000. Die Zahl der Flüchtlinge steigt täglich, allein im Nachbarland Türkei sollen es mehr als 61 000 sein. Ein Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sagte, dass Kampfjets der Armee in der umkämpften Stadt Aleppo ein von den Aufständischen besetztes Krankenhaus angegriffen habe. Ankara drohte erneut mit »Überlegungen«, auf syrischer Seite eine »Schutzzone« einzurichten, sollte es zu einem Massenandrang von Flüchtlingen kommen.

Der französische Außenminister Laurent Fabius begann in Jordanien eine Reise in syrische Nachbarstaaten und will dabei auch Flüchtlingslager besuchen.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 16. August 2012


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