Der Heiratsmarkt der flüchtenden Frauen
Syrerinnen in Flüchtlingslagern sind bisweilen Handelsgut / Organisationen in Ägypten und Syrien kämpfen für ihre Rechte
Von Karin Leukefeld *
Der Krieg in Syrien vertreibt vor allem
Frauen und Kinder aus ihrer Heimat.
Zivilgesellschaftliche Gruppen setzen
sich gegen ihre Ausbeutung ein.
Die Nachricht ist dramatisch: Eine
Million Syrer haben ihre Heimat verlassen, teilte am Mittwoch der
Hohe UNO-Kommissar für Flüchtinge,
António Guterres, mit. Millionen
seien außerdem in Syrien auf
der Flucht und Tausende würden
täglich die Grenze zu Jordanien
überqueren.
Auf dem der Presseerklärung
des Flüchtlingskommissars beigefügten Foto sind es ausschließlich
Frauen und Kinder, die an der
Grenze mit sorgenvollen Blicken
einer zweifelhaften Zukunft entgegensehen.
Bis zu 80 Prozent der
syrischen Flüchtlinge sind Frauen
und Kinder, die Mehrheit der Kinder
ist nicht einmal sieben Jahre
alt. Diese Menschen haben ihre
Männer und Väter, Söhne und
Brüder, Onkel oder Cousins zurückgelassen.
Als Tote, als Gefangene
oder als Kämpfer in den Reihen
einer der unzähligen bewaffneten
Gruppen.
Das Flüchtlingslager Zaatari in
Jordanien hat mittlerweile rund
60 000 Menschen aufgenommen.
Sein Ausbau geht weiter. In dem
Lager hat sich ein lukratives Geschäft
für Heiratsvermittler entwickelt,
die junge Frauen an interessierte
Kunden in den Golfstaaten
oder sogar bis nach Australien
verkaufen, berichtete kürzlich das
UN-Informationsnetzwerk IRIN.
Eigentlich sollten die Flüchtlinge in
dem Lager unter dem besonderen
Schutz der UNO stehen, doch islamische
Hilfsorganisationen aus
den Golfstaaten geben in Zaatari
den Ton an.
Auch in Kairo boomt das Heiratsgeschäft
mit den syrischen
Frauen. Ein Netzwerk von Frauenrechtlerinnen
hat sich zusammengeschlossen,
um syrische
Flüchtlingsfrauen vor solcher entwürdigenden
Vermarktung zu bewahren.
Sie suchen nach Wohnungen
und seriösen Arbeitsstellen,
damit die oft alleinstehenden
Frauen nicht Zuhältern in die
Hände fallen, die sie für fünf Euro
einem Kunden andienen. Eine
vermittelte Heirat scheint den
Frauen oft ein goldener Ausweg zu
sein. Mittellose Familien geben ihre
Töchter rasch an einen Interessenten
fort, in der Hoffnung, dass
der Mann sie versorgen kann. Radikale
islamische Prediger ermuntern
die ägyptischen Männer geradezu
zu einem solchen Geschäft.
Eine syrische Flüchtlingsfrau zu
heiraten sei wie »Dschihad«, wie
den Krieg für Gott zu führen, gegen
das »gottlose Regime« in Syrien.
Der Nationale Frauenrat in Ägypten
kritisierte solche Aufrufe
scharf: Diese Ehen seien »Verbrechen
gegen die Frauen unter dem
Deckmantel der Religion«. »Die
Männer sagen, sie würden den
Frauen helfen, wenn sie sie heiraten
«, sagt die Frauenrechtlerin Lina
Al Tiby. »Aber warum können
diese Männer den Frauen nicht
einfach so helfen, ohne sie zu heiraten?!«
Die überaus größere Zahl von
Frauen, die versuchen, dem Krieg
in ihrer Heimat zu entkommen,
fliehen nicht über eine Grenze,
sondern nur von einem Ort in den
nächsten und zwar meist zu Verwandten.
Allein Damaskus hat bis
zu einer Million Menschen aufgenommen,
die vor den Kämpfen aus
dem Umland und aus den Trabantenstädten
geflohen sind. Sie spazieren
tagsüber auf den Straßen,
sitzen in den Parks und besuchen
die Märkte, wo sie tun, als sähen
sie sich die Schaufenster an. Tatsächlich
verbringen sie so ihre
Zeit, weil die Wohnverhältnisse oft
unerträglich beengt sind.
Doch immer mehr Frauen geben
sich nicht mit einer »Opferrolle
« zufrieden. Sie schließen sich
zusammen, um den Vertriebenen
zu helfen und um sich »für die Gesellschaft
nützlich« zu machen, wie
eine Aktivistin sagt. Das »Forum
für Frauen und Demokratie« organisiert
Workshops über Bürgerrechte
und zivilgesellschaftliches
Engagement. Diskutiert wird über
»Frauen in bewaffneten Konflikten
« und über ihre national und
international verbrieften Rechte,
erzählt die Aktivistin Nasreen
Hassan. Die 31-jährige Arabischlehrerin
ist Mitbegründerin der Schwesterorganisation »Frauen
für Frieden in Syrien«, einem
Netzwerk, dem Frauen aller Altersgruppen
und gesellschaftlicher
Herkunft angehören und das inzwischen
im ganzen Land daran
arbeitet, eine starke und gewaltfreie
Bürgerrechtsbewegung zu
schaffen. Vorbild ist dabei der USBürgerrechtler
Martin Luther
King. Auch Männer, die sich ihren
Zielen anschließen, sind bei der
Friedensarbeit willkommen.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 08. März 2013
Zurück zur Syrien-Seite
Zurück zur Homepage