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Paris auf Kriegskurs

Syrien: Frankreich will "Flugverbotszone" auch ohne Mandat des Sicherheitsrates. USA und Saudi-Arabien sollen Bürgerkrieg seit 2008 geplant haben

Von Karin Leukefeld *

Seit seiner Zeit in der US-Botschaft in Tel Aviv (1995–1998) gilt Jeffrey Feltman als Architekt der nordamerikanischen Außenpolitik im Mittleren Osten. Nun setzt er seine Politik als Spitzendiplomat der Vereinten Nationen fort. In seinem neuen Amt als stellvertretender UN-Generalsekretär für Politische Angelegenheiten, das er im Januar 2012 übernommen hat, soll er offiziell Konflikte verhindern oder minimieren. Das interpretiert er auf seine Weise. Am Mittwoch legte Feltman im UN-Sicherheitsrat ein Papier vor, das angebliche Waffenlieferungen des Iran an Syrien beweisen soll. Teheran verstoße damit gegen die Resolution 1747, die dem Land die Ausfuhr von Waffen untersagt. Zu den Waffenlieferungen an die Aufständischen aus Saudi-Arabien, Katar und anderen Ländern äußerte sich Feltman nicht.

Vor allem im Libanon ist der Diplomat aus seiner Zeit als dortiger US-Botschafter (2004–2008) für seine konfrontative Politik bekannt. Unmittelbar nach der Beendigung seiner damaligen Mission soll er unbestätigten Berichten zufolge begonnen haben, mit dem Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates Saudi-Arabiens, Bandar Bin Sultan, der sein Land bis 2005 als Botschafter in den USA vertreten hatte, Pläne für einen bewaffneten Aufstand in Syrien vorzubereiten. Bestandteile dieses Plans waren demnach massiver Waffenschmuggel nach Syrien sowie die Aufstellung und Finanzierung von Söldnergruppen in den Nachbarstaaten. Seit Ausbruch der Unruhen in Syrien im März 2011 wird dieser Plan offenbar umgesetzt. Bandar Bin Sultan wurde wenige Tage nach dem Anschlag auf syrische Spitzenpolitiker in Damaskus am 18. Juli 2012 zum Chef des saudischen Geheimdienstes befördert.

Unterdessen macht sich Frankreich zu einem Vorreiter des Versuchs, die Vereinten Nationen an den Rand zu drängen. Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian erklärte am Donnerstag in Paris, sein Land sei bereit, einen Teil Syriens zur Flugverbotszone zu erklären, auch wenn es dafür kein Mandat des UN-Sicherheitsrats gebe. Voraussetzung sei, daß sich mehr Staaten an der Durchsetzung einer solchen Zone beteiligen müßten. Am selben Tag trafen sich in Ankara Militärs und Geheimdienstler der USA und der Türkei, um das weitere Vorgehen gegen Syrien zu koordinieren. Das Pentagon plant angeblich den Einsatz von Spezial¬kräften, um chemische Waffen in Syrien zu zerstören oder zu entwenden.

Derweil ist die nordsyrische Stadt Aleppo weiterhin Schauplatz militärischer Auseinandersetzungen zwischen den regulären Streitkräften und bewaffneten Gruppen. Die Aufständischen konnten offenbar mit Unterstützung von Bürgerwehren der Bevölkerung aus dem Zentrum der Stadt vertrieben werden. Durch die Einkreisung der Wirtschaftsmetropole haben starke Verbände der Regierungstruppen in den letzten Tagen zudem die Nachschubwege der Assad-Gegner fast vollständig unterbrechen können. Zentren islamistischer Kampfbrigaden im Umland von Aleppo wurden durch massive Angriffe der Armee weitgehend zerstört. Einen hohen Preis dafür zahlt die syrische Zivilbevölkerung.

Unterdessen werden immer mehr Details über die Praktiken der aufständischen Milizen bekannt, nachdem westliche Journalisten, die die bewaffneten Gruppen seit Monaten begleiten, den Charakter dieser Brigaden weitgehend ignoriert haben und selbst die vielfach auf Fotos zu sehenden schwarzen Fahnen der Al-Qaida nicht erklärten. Jetzt berichteten zwei Reporter der New York Times aus der bewaffneten Gruppe »Die Löwen von Tawid«, die in der Umgebung von Aleppo operiert. Ihnen zufolge wurde an einem Tag ein Gefangener, Abu Hilal, darüber informiert, daß man ihn gegen eigene Gefangene austauschen wolle. Die Übergabe solle an einem militärischen Kontrollpunkt stattfinden. Der Gefangene wurde mit verbundenen Augen in ein Fahrzeug gesetzt. Er konnte nicht sehen, wie neben ihm eine aus 300 Kilogramm Sprengstoff bestehende Bombe im Fahrzeug plaziert wurde. Die Explosion sollte per Fernbedienung ausgelöst werden, wenn das Fahrzeug den militärischen Kontrollpunkt erreichte. Das vollgetankte Fahrzeug mit der versteckten Bombe wurde von den Kämpfern an den Kontrollpunkt herangefahren. Kurz vor Erreichen des Ziels übergaben die Aufständischen dem Gefangenen das Steuer und entließen ihn in die Freiheit. Frohgestimmt sei der Mann davongefahren, berichtete einer der Kämpfer später. Er hatte Glück: Die Fernbedienung versagte, das Vorhaben scheiterte.

* Aus: junge Welt, Samstag, 25. August 2012


Bereits über 200 000 aus Syrien geflohen

Russland: Syrien wird keine Chemiewaffen einsetzen / Gefechte in Aleppo, Homs, aber auch in Libanon **

Die russische Regierung hat Freitag erklärt, die syrische Staatsmacht habe ihr versichert, keine Chemiewaffen im Bürgerkrieg einzusetzen. Moskau nehme das Problem sehr ernst. Die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien soll indessen die Zahl 200 000 überschritten haben.

Syrien hat Russland nach Angaben aus Moskau versichert, keine Chemiewaffen im Kampf gegen Aufständische einzusetzen. »Sie werden nicht dazu greifen«, sagte der russische Vizeaußenminister Gennadi Gatilow am Freitag in Moskau. Die Behörden in Damaskus hätten dies Moskau garantiert, und Russland werde genau darauf achten.

Die UN-Vetomacht habe Syrien zudem mit Nachdruck aufgefordert, die Chemiewaffen vor dem Zugriff von Terroristen zu schützen, betonte Gatilow. »Dieses Problem beunruhigt uns sehr«, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur AP.

Der Strom von Kriegsflüchtlingen aus Syrien nimmt noch rascher zu, als UN-Experten befürchtet hatten: Inzwischen seien mehr als 200 000 Syrer in Nachbarländer geflohen, teilte das UNFlüchtlingshilfswerk (UNHCR) am Freitag in Genf mit. Noch vor einigen Wochen war die Hilfsorganisationen aufgrund der damaligen Lagebeurteilung davon ausgegangen, dass bis Ende des Jahres insgesamt etwa 185 000 Menschen aus Syrien fliehen würden.

»Nun verzeichnen wir mit aktuell 202 512 Flüchtlingen bereits ein deutlich höheres Niveau«, sagte UNHCR-Sprecher Adrian Edwards. Mehrfach haben in den vergangenen Wochen nach Angaben der Helfer allein an einem Tag über 3500 Flüchtlinge die Grenzen überschritten, so auch von Donnerstag zu Freitag. Aus der Türkei seien zwar Lebensmittel für die Geflüchteten gebracht worden. Diese reichten jedoch bei weitem nicht aus. Es fehle vor allem an Milch für Kleinkinder.

Die tatsächliche Zahl der Syrer, die in die Türkei, nach Jordanien, Irak oder Libanon geflohen sind, ist nach Expertenschätzungen noch weit höher. Längst nicht alle Flüchtlinge würden sich bei der UN-Organisation oder in Nothilfelagern registrieren lassen. Die Hilfeleistungen des UNHCR in Libanon werden laut Edwards durch die dort als Folge des Bürgerkrieges in Syrien angespannte Sicherheitslage behindert, gehen aber bislang weiter.

Im Kampf gegen die Aufständischen setzt die syrische Armee zunehmend auf die Unterstützung bewaffneter Zivilisten.

Die Nachrichtenagentur Sana berichtete am Freitag von Gefechten in der Stadt Aleppo, bei denen die Bewohner der jeweiligen Viertel mit den regulären Truppen kooperiert hätten. In den vergangenen Wochen zirkulierten in Damaskus und Aleppo Berichte, wonach die politische Führung Angehörigen von Minderheiten wie Christen und Drusen Waffen angeboten haben soll.

Die Regierungsgegner sprachen über ihre Medien bis zum Mittag von 34 Toten am Freitag. Darunter sollen etliche Zivilisten gewesen sein. Heftige Kämpfe wurden aus der Stadt Homs gemeldet.

Die lokalen Behörden in der irakischen Grenzprovinz Anbar haben die Regierung in Bagdad aufgefordert, die Grenze für syrische Regierungsgegner zu öffnen. Die Zentralregierung hatte den Grenzübergang Al-Kaim diese Woche mit einem Betonwall verbarrikadiert. Bagdad hat im Gegensatz zu den arabischen Nachbarstaaten Jordanien und Saudi- Arabien bisher keine Sympathie mit den Aufständischen in Syrien erkennen lassen.

Auch in der libanesischen Stadt Tripoli liefern sich Anhänger und Gegner des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad weiter Feuergefechte. Die Zahl der dabei seit Wochenbeginn Getöteten stieg am Freitag auf 13.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 25. August 2012


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