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Fortschritte in Syrien

Regierungstruppen bringen Aufständische in die Defensive. Dem Westen bleiben Giftgasvorwürfe gegen Damaskus und Aufhebung des Waffenembargos für Assad-Gegner

Von Rainer Rupp *

Die »Achse der Bösen« – USA, Katar, Saudi-Arabien, Großbritannien, Frankreich, die Türkei und Israel, um die wichtigsten Kriegstreiber zu benennen – hat in den vergangenen Wochen eine empfindliche Niederlage in ihrem Stellvertreterkrieg in Syrien erlitten. Mit dem Fall der Stadt Kusair, die für die Versorgungs- und Verbindungswege der Aufständischen von höchster strategischer Bedeutung war, deutet alles darauf hin, daß im bewaffneten Kampf die Wende zugunsten der syrischen Armee eingetreten ist.

Die in der sogenannten »Freien Syrischen Armee« (FSA) zusammengefaßten Rebellengruppen, die sich in ihrer großen Mehrheit aus islamistischen Söldnern und Terroristen zusammensetzen, die von der »Achse der Bösen« bezahlt, ausgebildet und bewaffnet werden, befinden sich fast überall im Norden auf der Flucht. Berichten zufolge versuchen sich die Aufständischen teils über die Grenzen in den Libanon und in die Türkei abzusetzen, teils in von FSA-Gruppen kontrollierte Ortschaften durchzuschlagen. Aber die hochmotivierten und inzwischen im Häuserkampf erfahrenen Soldaten der syrischen Armee haben – vom Elan der Einnahme Kusairs getragen – über das Wochenende weitere Dörfer befreit, in denen sich die von ausländischen Dschihadisten verstärkten Gegner des Präsidenten Baschar Al-Assad verschanzt hatten.

Die Einnahme von Kusair wurde in der vergangenen Woche durch den Sprecher des Weißen Hauses in Washington, Jay Carney, scharf verurteilt. Dies sei den syrischen Truppen nur »mit Hilfe ihrer Tyrannen-Partner« Iran und Hisbollah gelungen. Tatsächlich hat die libanesische Hisbollah erheblich zum Fall der Stadt Kusair beigetragen, die 18 Monate fest in der Hand der Rebellen war. Dennoch ist der Traum vieler Strategen westlicher Denkfabriken, daß sich sunnitische Dschihadisten und schiitische Hisbollah-Kämpfer in ­Syrien gegenseitig aufreiben, nicht in Erfüllung gegangen. Die Hisbollah, die sich in jahrzehntelangen Kämpfen immer wieder gegen die israelische Armee behauptet hat, ist aus der Schlacht um Kusair mit relativ geringen Verlusten siegreich hervorgegangen.

Zugleich hat sich das regionale Umfeld zuungunsten der Aufständischen verändert. So haben die andauernden, landesweiten Proteste in der Türkei gegen die religiös-autoritäre Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, die sich bisher als eine Hauptstütze für die Terroristen in Syrien profiliert hatte, zur allgemeinen Verunsicherung sowohl der Rebellen als auch des westlichen Lagers beigetragen. Zweitens unternimmt die libanesische Hisbollah nach dem Fall von Kusair alles, um in ihrem Einflußgebiet entlang der Grenze jeden Nachschub aus dem Libanon für die Rebellen in Syrien zu unterbinden, auch wenn sie nicht länger an offensiven Operationen an der Seite der regulären Streitkräfte teilnimmt. Und drittens hat sich in den vergangenen Monaten unter dem Eindruck der Terrorherrschaft der Dschihadisten in den von ihnen besetzten Gebieten selbst in den Teilen der syrischen Bevölkerung, die ursprünglich die bewaffneten Assad-Gegner aktiv oder passiv unterstützt hatten, ein Umdenken zugunsten des Präsidenten manifestiert. Das geht aus jüngsten Umfragen vor Ort in Syrien hervor, die von der NATO gesammelt, aber nicht veröffentlicht wurden (siehe unten).

Die Wut in den Feudalstaaten Katar und Saudi-Arabien wie in den Hauptstädten der NATO-Staaten ist denn auch groß. Die Schuldigen sind schnell ausgemacht. Die USA würden sich nur zu gerne »von den Ärgernissen des Nahen Ostens zurückziehen«, aber leider werden sie daran durch die »aggressive russisch-iranische Achse gehindert, die die ganze Region zunehmend dominiert«, kommentierte in der vergangenen Woche etwa der Washingtoner »Nahostexperte« Vali Nasr im führenden US-Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg.

Aus dieser Frustration offensichtlich geboren, hat der französische Außenminister Laurent Fabius erneut den Einsatz des chemischen Kampfstoffes Sarin durch die Assad-Regierung ausgemacht, eine Behauptung, für die Paris angeblich »absolut unwiderlegbare Beweise« habe (siehe Spalte). Nicht minder frustriert rief der britische Premier David Cameron erneut zur Errichtung einer Flugverbotszone auf. Zugleich setzten Paris und London in der EU die Aufhebung des Waffen­embargos gegen die Aufständischen durch, was allerdings kaum noch von strategischer Bedeutung für die Lage in Syrien sein dürfte.

US-Präsident Obama hatte am 28. Mai dem Pentagon befohlen, einen Plan zur Errichtung einer Flugverbotszone über Syrien auszuarbeiten. Zwei Tage später warnte jedoch der US-General und NATO-Oberbefehlshaber für Europa, Philip Breedlove, in einem Interview mit der Militärzeitschrift Stars and Stripes, daß die »Errichtung einer Flugverbotszone einer Kriegserklärung« gleichkomme und die Ausschaltung der syrischen Luftabwehr »nicht einfach und ohne Verluste« zu bewältigen sei. Rußlands stellvertretender Außenminister Sergej Rjabkow hatte da gerade die baldige Lieferung hochmoderner S-300-Luftabwehrsysteme an Syrien bestätigt und bekräftigt, daß diese die »Hitzköpfe« davon abhalten werden, den Konflikt »mit Hilfe von ausländischen Kräften zu internationalisieren«.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 11. Juni 2013


Bauernopfer der Westmächte

Syrische Bevölkerung steht laut Umfragen hinter Assad. US-Senator McCain sieht strategische Manövriermasse gegen Teheran

Von Rainer Rupp **


Westliche Politiker gefallen sich darin, über das schlimme Los des »syrischen Volkes« unter der » schreckliche Assad-Tyrannei« zu klagen – und sich zugleich damit zu brüsten, als »Freunde Syriens« den Kampf der »Rebellen« gegen den »brutalen Machthaber« in Damaskus zu unterstützen. Nun aber hat das »syrische Volk« gesprochen, soweit das unter den Umständen überhaupt möglich ist. Aktuellen Umfragen zufolge unterstützen derzeit rund 70 Prozent der Bevölkerung die Assad-Regierung. Weitere 20 Prozent können sich für keine der beiden Seiten entscheiden. Nur jeder zehnte steht hinter den vom Westen unterstützten Aufständischen bzw. den von Saudi-Arabien und Katar bezahlten islamistischen Söldnern. Diese haben sich bisher nicht nur durch die brutale Durchsetzung der mittelalterlichen Scharia-Justiz in der seit Jahrzehnten an eine säkulare Rechtsordnung gewöhnten syrischen Gesellschaft »ausgezeichnet«, sondern auch durch bestialische Grausamkeiten gegenüber gefangenen Soldaten und Andersgläubigen, insbesondere gegenüber Schiiten.

Laut Medienberichten waren die Meinungsumfragen in den vergangenen Wochen zumeist von in Syrien arbeitenden internationalen Hilfsorganisationen durchgeführt worden. Dem Nahost- und Asienexperten der Asia Times, Pepe Escobar, zufolge waren diese Erhebungen Ende Mai von der NATO in einem ausführlichen Bericht zusammengefaßt worden. Seither werden sie aus nachvollziehbaren Gründen unter Verschluß gehalten. Denn die öffentliche Kenntnisnahme der Fakten, daß z.B. die sunnitischen Geschäftsleute in Damaskus und Aleppo gegenüber der Regierung des Präsidenten Baschar Al-Assad positiv oder neutral eingestellt sind, würde die Kriegstreiber in London, Paris und Washington ihrer Argumente berauben.

Tatsache ist: Die meisten Sunniten in Syrien finden die von Katar und dem saudischen Königshaus finanzierten islamistischen Söldnergruppen weitaus abstoßender, als das je bei der Assad-Regierung der Fall war. Daß die syrische Bevölkerung andererseits von der westlichen »Hilfe« absolut nichts zu erwarten hat, dürfte ihr spätestens mit der Erklärung eines der engagiertesten »Freunde Syriens«, des US-Senators John McCain, klar geworden sein.

Als der frühere Präsidentschaftskandidat Ende Mai zur Unterstützung der Aufständischen über die »grüne Grenze« nach Syrien gekommen war, befanden sich unter seinen Gesprächspartner nachweislich auch dschihadistische, Al-Qaida nahestehende Kommandeure. Als er deshalb von dem Journalisten Charlie Rose in einem Interview für den US-Sender PBS zur Rede gestellt wurde, tat der Senator die Verbrechen der »Rebellen« nicht nur als »isolierte Vorkommnisse« ab, »die von Menschen verübt werden, die vom Kampfgeschehen abgehärtet und wütend sind«. McCain machte auch noch deutlich, daß er die sunnitischen Gewaltextremisten sogar in der Regierung Syriens akzeptieren würde, selbst dann, wenn sie den USA feindlich gegenüberstehen, »solange dadurch Iran im Nahen Osten einen wertvollen Verbündeten verlieren« und Hisbollah im Libanon isoliert würde. Damit hat der US-Politiker die wahren Ziele der westlichen Demokratievorkämpfer in Syrien umschrieben. Die Menschen im Land sind für Washington Bauernopfer im strategischen, gegen Iran gerichteten Ränkespiel.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 11. Juni 2013


Chemiewaffen im Einsatz? ***

Die Tatsache, daß US-Präsident Barack Obama Mitte 2012 in einer öffentlichen Erklärung den Einsatz von Chemiewaffen durch die Regierung Baschar Al-Assadds als »rote Linie« für eine Militärintervention auf seiten der Aufständischen benannt hatte, war – womöglich auch ungewollt – eine Einladung an eben diese »Rebellen«, einen solchen Vorfall zu manipulieren. Die Voraussetzung dafür, nämlich ein hohes Maß an Skrupellosigkeit und extremer krimineller Energie, haben die sunnitischen Gewaltextremisten bereits wiederholt unter Beweis gestellt, z.B. mit Massenexekutionen andersgläubiger Männer, Frauen und Kinder, nur um dann gegenüber den Medien die Assad-Regierung dafür verantwortlich zu machen.

Laut US-Geheimdienst CIA besteht ein großer Teil der syrischen Chemiewaffen, welche sich Damaskus als strategische Abschreckung bereits in den 1970 und 80er Jahren gegen eine erneute Invasion Israels zugelegt hat, aus Sarin. Für den Einsatz kleiner Mengen Sarin gegen eine Handvoll Zivilisten in Syrien will nun Frankreich angeblich unanfechtbare Beweise haben, und natürlich macht Paris die Assad-Regierung dafür verantwortlich.

Es sollte jedoch zu denken geben, daß Ende Mai im Irak eine Zelle des Terrornetzwerkes Al-Qaida zerschlagen wurde, die Giftgas herstellen wollte. Die Geheimdienste des Verteidigungsministeriums hätten von Anfang an Kenntnis von zwei Produktionsstätten für Sarin und Senfgas in der Hauptstadt Bagdad und einer weiteren in der Provinz gehabt, sagte ein Ministeriumssprecher am 1. Juni. Die irakischen Dschihadisten standen in enger Verbindung zur Al-Nusra-Gruppe, die als kampfstärkste Einheit der »Freien Syrischen Armee« gilt. Zu denken geben müßte auch, daß bei der Festnahme einer Gruppe von Al-Nusra-Kämpfern in der Südtürkei unlängst ein Behälter beschlagnahmt wurde, der »chemische Substanzen« enthalten hatte. Inspektoren des UN-Menschenrechtsausschusses gehen davon aus, daß Rebellen Sarin gegen Zivilisten eingesetzt haben, um entsprechende internationale Reaktionen gegen Damaskus zu provozieren. Entsprechen zurückhaltend hat der schwedische Wissenschaftler Ake Sellstrom im Auftrag der UNO die französischen »Beweise« für einen Sarin-Einsatz durch Assads Truppen entgegengenommen. (rwr)

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 11. Juni 2013


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