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Stimmentzug für Syrien

Islamischer Staatenbund OIC folgt Forderung von Saudi-Arabien und Türkei

Von Roland Etzel *

Die syrische Staatsmacht kontrolliert nur noch ein Drittel des Landes. Das erklärte der Anfang des Monats emigrierte Ministerpräsident Riad Hidschab. Die Rebellen wollen am Montag über Nordostsyrien erstmals ein Kampfflugzeug der Armee abgeschossen haben. Auch von der OIC gab es schlechte Nachrichten für Präsident Assad.

Syrien ist am Dienstag von der Organisation für Islamische Kooperation (OIC) suspendiert worden. Eine offizielle Bestätigung ließ allerdings bis zum Abend auf sich warten. Bereits am Montag hatten die Außenminister der OIC einen entsprechenden Beschluss gefasst, der gestern abgesegnet werden sollte. Eine Überraschung war das nicht. Sowohl der Ort des Gipfels - Dschidda in Saudi-Arabien - als auch die Nationalität des momentanen Generalsekretärs - Ekmeleddin Ihsanoglu aus der Türkei - garantierten für diese Richtungsentscheidung. Neben Katar sind die Regierungen in Ankara und Riad jene, die sich als erste zu offener Feindschaft gegen Syrien bekannten und den größten Anteil an der Unterstützung der bewaffneten Widerstandsbewegung in Syrien haben.

Ob es Diskussionen vor der Entscheidung zur Suspendierung Syriens in den Gremien der OIC gab, ist nicht bekannt. Der islamische Staatenbund tagt zumeist hinter verschlossenen Türen. Die im Juni 2011 beim Gipfel in der kasachischen Hauptstadt Astana vorgenommene Bedeutungsveränderung des C im Namen von »Konferenz« in »Kooperation« hat das nicht geändert.

Zu jener Zeit tobte der NATO-Bombenkrieg gegen Libyen, ein OIC-Mitgliedsland. Wohl hörte man damals in der Lobby der Unabhängigkeitshalle von Astana von Versuchen der Delegation aus Tripolis, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Angekommen war es dort aber nie. Ihsanoglu gab seinerzeit den Erstaunten. Selbstverständlich sei man bemüht, Rebellen und Regierung, »ins Gespräch zu bringen«. In der Praxis dürfte es dieses Bemühen dennoch nicht gegeben haben. Aber selbst jene Zurückhaltung, die ihnen damals noch angebracht erschien, hielten die Hausherren von Dschidda im Falle Syriens jetzt offenbar für unnötig.

Ob zum Beispiel Syriens Nachbarn wie Irak, Libanon oder die Palästinenser diese Ansicht voll mittragen? Die OIC schweigt, und Journalisten sind zu den entscheidenden Plenarsitzungen nicht zugelassen. Man erfuhr lediglich, dass Algerien dagegen gestimmt haben soll - neben Iran. Teheran, einziger offen Verbündeter des nicht anwesenden syrischen Präsidenten innerhalb der OIC, hatte deshalb bereits vor der Sitzung Protest gegen das saudisch-türkische Ansinnen geäußert. Eine Aussetzung der Mitgliedschaft Syriens, so der iranische Außenminister Ali Akbar Salehi in Dschiddah laut AFP, löse keine Probleme.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 15. August 2012


Rettungsanker Islam

Von Roland Etzel **

Die Organisation der Islamischen Kooperation (OIC) war im weltpolitischen Konzert die meiste Zeit ihrer mehr als 30-jährigen Existenz eine höchstens zweitrangige Stimme. Sie diente den Gralshütern des Islam als repräsentative Religionsbewahrungsanstalt und pompöse Rückversicherung für fragwürdige Legitimitätsansprüche der mittelöstlichen Potentatengeschlechter. Das ist sie immer noch. Allerdings entdecken ihre Wortführer nun, dass die zunehmende Politisierung des Islam im regionalen Machtpoker nützlich sein kann, wie derzeit beim Kampf um die Macht in Syrien.

Die Berufung auf »Islamische Kooperation« ist aber auch oder vielleicht sogar noch mehr aus nackter Angst geboren. Damit sich der politische Islam nicht gegen sie selbst richte, achtet beispielsweise die saudische Königsfamilie mit Argusaugen darauf, ringsum ähnlich strukturierte - islamische - Regimes an der Macht zu halten. Ein islamisch grüner Anstrich und versehen mit dem OIC-Gütesiegel scheint Abdullah und Co. wohl recht vielversprechend, um den großen Lümmel daran zu hindern, sie aus den Palästen zu jagen und das Schicksal anderer Potentaten teilen zu lassen.

Im Syrien-Konflikt würde der OIC eine moderierende Rolle natürlich zufallen. Eine solche aber hat sie nie eingenommen. Die OIC ist eine Beute der konservativsten Regimes der Region. An ihren Gründungskonsens möchten letztere deshalb auch nicht mehr erinnert werden.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 15. August 2012 (Kommentar)


USA bleiben am Boden

Pentagonchef Panetta erteilt Aufständischen Absage: Einrichtung einer Flugverbotszone in Syrien „keine Priorität“. Ankara probt derweil Angriff auf das Nachbarland

Von Rüdiger Göbel ***


Washington ermuntert die Aufständischen in Syrien, weiter gegen Präsident Baschar Al-Assad zu kämpfen. Ihre Luftwaffe will aber die NATO-Führungsmacht den Rebellen nicht zur Verfügung stellen. Dies machte am Montag (Ortszeit) US-Verteidigungsminister Leon Panetta klar, als er deren immer lauter werdend Forderung nach Durchsetzung einer Flugverbotszone für die syrische Luftwaffe eine Absage erteilte. Die Einrichtung einer No-fly-zone über Syrien hat für die USA derzeit »keine oberste Priorität«. Bei ihrer Türkei-Visite am Wochenende hatte US-Außenministerin Hillary Clinton die Etablierung einer sicheren Kampfzone für die Aufständischen noch als »eine der möglichen Optionen« bezeichnet. Panetta schwächte nun in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP ab. Eine solche Option läge »als eine von vielen« auf dem Tisch, eine Entscheidung dürfe diesbezüglich aber »nicht so rasch« fallen. Er habe »auch auf Schwierigkeiten bei der Umsetzung hingewiesen«, so Panetta.

Sicher in enger Absprache mit Washington konzentriert die Türkei weiter Truppen und schweres Kriegsgerät an der syrischen Grenze. Am Dienstag startete die Armee des NATO-Mitgliedslandes provokativ ein großes Militärmanöver in der südtürkischen Provinz Kilis. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu waren Panzer, gepanzerte Truppentransporter und Raketenwerfer im Einsatz, um die »Kriegsfähigkeit« der Streitkräfte zu testen. Bei der nur Dutzende Meter von der Grenze zum Nachbarland abgehaltenen Übung sei ein Angriff simuliert worden. Die Türkei unterstützt die Aufständischen in Syrien massiv. Finanziert von den Golfstaaten Katar und Saudi-Arabien und koordiniert vom US-Geheimdienst CIA wird etwa die »Freie Syrische Armee« mit Waffen versorgt.

Die Empfänger derartiger Hilfe setzen derweil ihre Terrorkampagne gegen mißliebige Journalisten fort. Der iranische Fernsehsender Al-Alam berichtete am Dienstag, sein Mitarbeiter Ahmad Sattuf sei in der syrischen Stadt Homs auf dem Heimweg von »einer Gruppe bewaffneter Terroristen« verschleppt worden. Die Aufständischen hätten zudem das Büro des Senders attackiert und Arbeitsmaterial gestohlen. Das in London ansässige Sprachrohr der Assad-Gegner, die »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte«, bestätigte das Kidnapping. Sattuf sei syrischer Nationalität und in der Nacht zu Montag entführt worden. In der vergangenen Woche hatte eine Rebellengruppe allen Journalisten, die für staatliche syrische Medien arbeiten, mit Ermordung gedroht (siehe jW vom 6. und 7. August).

»Das Regime steht moralisch und wirtschaftlich am Rande des Zusammenbruchs«, meinte am Dienstag der frühere syrische Ministerpräsident Riad Hidschab. Assad kontrolliere nur noch 30 Prozent des Landes. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seit seiner Flucht nach Jordanien in der vergangenen Woche präsentierte er sich vor der Fahne der Aufständischen. Hidschab forderte andere Regierungsmitglieder und die militärische Führung auf, mit Assad zu brechen.

Die Außenminister der Mitgliedsländer der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) empfahlen am Montag abend eine Suspendierung Syriens von der Gruppe. In Mekka wollten am Dienstag die Staats- und Regierungschefs von fast 60 islamischen Staaten auf einem Sondergipfel eine entsprechende Entschließung verabschieden. Syrien war nicht eingeladen. Iran kritisierte, eine Aussetzung der Mitgliedschaft löse keine Probleme.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. August 2012


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