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Tolldreister Tanz auf dem Vulkan

Waffenlieferungen an Konfliktparteien verschärfen Lage in Syrien *

Für den obersten UN-Friedenshüter tobt in Syrien ein Bürgerkrieg. Das Töten geht laut US-Regierung auch mit russischen Waffen weiter. Was den Friedensplan von Sondervermittler Annan angeht, geht Washington mittlerweile auf Distanz.

Beirut/Istanbul (dpa/nd). Der Konflikt in Syrien ist nach Angaben des obersten UN-Friedenshüters nach 15 Monaten zum Bürgerkrieg eskaliert. »Ich meine, dass das Ausmaß der Gewalt massiv zugenommen hat. So massiv, dass sich damit auch die Natur (der Kämpfe) verändert hat«, sagte UNO-Untergeneralsekretär Herve Ladsous in New York.

Laut »New York Times« werden beide Konfliktparteien von ihren Verbündeten mit schweren Waffen ausgerüstet. Der russische Außenminister Sergej Lawrow traf am Mittwoch zu Krisengesprächen in Teheran ein. Moskau und Teheran sind Verbündete der syrischen Regierung.

Den Vereinten Nationen lägen Berichte vor, nach denen das Regime nicht mehr nur mit Artillerie und Panzern gegen die eigene Bevölkerung vorgehe, sondern inzwischen auch mit Kampfhubschraubern, sagte Ladsous. US-Außenministerin Hillary Clinton warf der russischen Regierung vor, Syrien weitere Helikopter zu liefern, mit denen die Truppen Assads gegen die eigene Bevölkerung agieren könnten.

Washington sei besorgt über jüngste Informationen, »dass Angriffshubschrauber auf dem Weg von Russland nach Syrien sind«, so Clinton. »Das wird den Konflikt ziemlich dramatisch eskalieren.« Die neuen Waffenlieferungen stünden im Widerspruch zu Beteuerungen Moskaus, seine Militärexporte an Syrien könnten »nicht gegen Zivilisten eingesetzt werden«, erklärte Außenamtssprecherin Victoria Nuland. Helikopter sowjetischer oder russischer Herkunft würden vom syrischen Regime bereits gegen die Bevölkerung eingesetzt, sagte Nuland. Clinton habe aber nicht diese Hubschrauber gemeint. »Sie ist besorgt über Helikopter, die auf dem Weg sind.«

Die »New York Times« berichtete unter Berufung auf die syrische Opposition, mit finanzieller Unterstützung aus Saudi-Arabien und Katar seien aus der Türkei Panzerabwehrraketen an syrische Rebellen geliefert worden. Das türkische Militär habe diese demnach an die syrische Grenze gefahren, von wo aus sie in das Nachbarland geschmuggelt wurden. Die USA seien in das Vorgehen eingeweiht, zitierte das Blatt Vertreter des Syrischen Nationalrates. Für syrische Panzertruppen sei es nun schwerer, sich in Städten zu bewegen.

Nach Angaben von Oppositionellen kamen bei Kämpfen in ganz Syrien allein am Dienstag wieder mehr als 50 Menschen ums Leben, davon etwa 30 bei einem Artilleriebeschuss in der Provinz Deir as-Saur im Osten des Landes. Syrische Rebellen zogen sich nach eigenen Angaben aus der seit mehr als einer Woche heftig umkämpften Ortschaft Al-Haffa zurück. Eine größere Gruppe von Zivilisten, darunter auch Verletzte, habe sich mit den Kämpfern in der Nacht aus dem Ort in der Provinz Latakia abgesetzt, sagten Vertreter der syrischen Opposition aus dem Gebiet der Nachrichtenagentur dpa.

Regierungstruppen hatten den etwa 30 000 Einwohner zählenden Ort heftig beschossen und eingekreist. Dabei waren nach Angaben der Opposition auch Hubschrauber, Panzer und Raketen eingesetzt worden. »Wir haben uns zu einem taktischen Rückzug entschlossen, um Opfer unter den Zivilisten zu vermeiden«, sagte der syrische Rebellenführer Riad al-Asaad. Al-Haffa liegt knapp 50 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt im Hinterland der Hafenstadt Latakia. UN-Beobachter wurden nach eigenen Angaben daran gehindert, nach Al-Haffa zu fahren. Sie seien von Unbekannten mit Steinen und Stangen angegriffen worden, teilten die UN mit.

Die US-Regierung gibt dem Friedensplan von Kofi Annan nur noch vier Wochen Zeit für einen Erfolg. Zwar unterstützten die USA den Sechs-Punkte-Plan des Sondervermittlers voll, sagte Clinton in Washington. Aber Assads »Missachtung« des Friedensplans habe zu verstärkten internationalen Anstrengungen geführt, einen politischen Übergang auszuarbeiten für das, was auf Assad folge.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 14. Juni 2012


UNO spricht von Bürgerkrieg

Damaskus setzt Teile des Sechs-Punkte-Plans um

Von Karin Leukefeld **


Der offizielle Leiter der UN-Friedensmissionen, Hervé Ladsous, hat die Lage in Syrien als »Bürgerkrieg« bezeichnet. Die Regierung habe »große Gebiete in einigen Städten an die Opposi­tion verloren« und versuche, »die Kontrolle zurückzugewinnen«, sagte er am Dienstag (Ortszeit) in New York. Das syrische Außenministerium wies die Äußerung zurück. Syrien kämpfe gegen bewaffnete Gruppen, die »mit terroristischen Mitteln versuchen, ihre Ziele zu erreichen«. Von einem »Bürgerkrieg« zu sprechen stimme nicht mit der Realität überein und widerspreche der Einstellung des syrischen Volkes, hieß es weiter.

Nach Ansicht politischer Beobachter könnte die Äußerung von Ladsous die UN-Mission in Syrien gefährden. Mitte Juli muß darüber entschieden werden, ob das Mandat gestoppt oder verlängert und ausgeweitet wird. Die eigentlichen Akteure sind weiterhin die bewaffneten Aufständischen auf der einen und die Regierung auf der anderen Seite. Die politische Opposi­tion in Syrien wird durch die Gewalt an die Seite gedrängt.

Andere Punkte des Sechs-Punkte-Plans werden derweil umgesetzt. So hat die syrische Führung sowohl die Einreise als auch die Arbeitsmöglichkeiten für internationale Medien deutlich erleichtert. Auch der Forderung nach zusätzlicher humanitärer Hilfe ist Damaskus nachgekommen. In Genf wurde am 6. Juni vereinbart, daß mit dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond (SARC) und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zusätzlich das UN-Koordinationsbüro für Humanitäre Angelegenheiten (OCHA) in Syrien arbeiten kann. OCHA-Koordinator John Ging sagte, erste Vorausteams seien bereits in Syrien eingetroffen.

Nach heftigen Kämpfen haben die regulären syrischen Streitkräfte offiziellen Angaben zufolge den Ort Al-Heffa nahe der syrisch-türkischen Grenze wieder eingenommen. Am Montag war ein Team der UN-Beobachter von Steine werfenden Einwohnern und durch Schüsse daran gehindert worden, den Ort zu betreten. Zusammen mit einer syrischen Bürgerinitiative »Versöhnung« versuchen die UN-Beobachter seit zwei Tagen, 800 Christen und Muslime aus zwei Vierteln der Altstadt von Homs zu befreien. Das meldete am Mittwoch die katholische Nachrichtenagentur Fides. Die Initiative besteht aus Vertretern aller konfessionellen Gruppen in der umkämpften Stadt.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 14. Juni 2012

Spalter

Jeffrey Feltman ist neuer Berater von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon

Von Karin Leukefeld ***


In Tunis im Frühling 2011 begrüßten ihn Demonstranten mit der Parole »Feltman go home«. Der 1959 geborene US-Diplomat Jeffrey Feltman war nach Missionen in Israel, Tunesien, Ungarn und Haiti von 2004-2008 Botschafter in Libanon und wurde 2009 Abteilungsleiter für den Mittleren Osten im Außenministerium. Er war es, der nach der ersten Schockstarre in Washington wegen des Verlusts langjähriger Partner in Tunesien und Ägypten Anfang 2011 die brachliegende Zusammenarbeit mit den Parteien der Muslimbruderschaft reaktivierte. In Jemen bereitete Feltman den Abtritt des langjährigen Verbündeten im »Antiterrorkampf«, Präsident Ali Abdullah Saleh, vor, in Libyen den Sturz von Muammar al-Gaddafi.

Zuletzt liefen bei Feltman als Koordinator eines politischen Komitees im Außenministerium die Fäden der US-amerikanischen Syrien-Politik zusammen. Er war Mittelsmann zum Syrischen Nationalrat, zum saudischen Königshaus, zum Außenminister Katars und zur Arabischen Liga. In Katar koordinierte er zudem die militär-geheimdienstliche Zusammenarbeit in Sachen Syrien zwischen der NATO und ihren arabischen Bündnispartnern. Nun hat ihn UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zu seinem politischen Ratgeber gemacht; er löst Lynn Pascoe ab, ebenfalls ein US-Bürger. In einer UNO-Mitteilung zu der Personalie heißt es, Feltman solle an der Weiterentwicklung der politischen Agenda der Vereinten Nationen mitwirken und Lösungen für den Nahostkonflikt sowie andere Konflikte erarbeiten.

Mit seinen einseitigen Einmischungen in verschiedene Konflikte der arabischen Welt gilt Jeffrey Feltman indes als »extrem Uneinigkeit stiftende Figur«, so Karim Makdisi von der Amerikanischen Universität in Beirut. Seine Ernennung zum obersten politischen Berater des UN-Generalsekretärs dürfte dem ramponierten Ansehen der Vereinten Nationen in der Region deutlich schaden. Der Friedensaktivist Noam Chomsky kommentierte die Beförderung Feltmans in die UN-Chefetage mit drei Worten: »Sehr schlechte Nachrichten.«

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 14. Juni 2012




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