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Kämpfe in Syrien eskalieren

Bewaffnete Aufständische kündigen Gründung einer »palästinensischen Brigade« an. Bombenanschlag in der Hauptstadt

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Kämpfe zwischen den regulären syrischen Streitkräften und bewaffneten Aufständischen gingen am Montag im ganzen Land weiter. Die Nachrichtenagentur AP hatte am Sonntag unter Berufung auf »Aktivisten« berichtet, daß die bewaffneten Aufständischen das Ölfeld Al-Ward bei Deir Ezzor, nahe der syrisch-irakischen Grenze, nach dreitägiger Schlacht eingenommen hätten. Der Aktivist, der sich den Namen »Omar Abu Leila« gegeben hatte, sagte AP, die Rebellen hätten 40 Soldaten, die das Ölfeld bewachten, getötet oder gefangen genommen. Eine offizielle Erklärung des syrischen Ölministeriums oder der Streitkräfte lag bis Redaktionsschluß nicht vor.

Besorgniserregend entwickelt sich die Lage in Yarmuk, einem südlichen Stadtteil von Damaskus. Das 1948 eingerichtete Lager nahm damals Palästinenser auf, die bei der gewaltsamen Staatsgründung Israels aus ihrer ursprünglichen Heimat geflohen waren. Heute ist Yarmuk ein dichtbesiedelter Stadtteil von Damaskus, umgeben von weiteren dichtbesiedelten Vororten. Die Palästinenser sind in Yarmuk nur noch eine Minderheit. Seit Beginn der bewaffneten Angriffe auf und um Damaskus im Juli 2012, versuchen bewaffnete Gruppen, die Palästinenser in den Konflikt zu verwickeln. Seit einer Woche kommt es wiederholt zu Kämpfen zwischen bewaffneten Formationen, die sich als »Freie Syrische Armee« bezeichnen und Kämpfern der PFLP-GC (Volksfront zur Befreiung Palästinas – Generalkommando), die mit der syrischen Armee kooperiert. Unbestätigten Berichten zufolge sollen dabei 20 Personen getötet worden sein. »Aktivisten« machten die syrischen Streitkräfte für den Tod der Menschen verantwortlich. Die Palästinensischen Organisationen PFLP und die DFLP lehnen eine Einmischung der Palästinenser in den innersyrischen Konflikt ab, sie kritisieren auch den bewaffneten Einsatz der PFLP-GC.

Die »Freie Syrische Armee« hat vor wenigen Tagen die Gründung einer »palästinensischen Brigade« angekündigt. Man habe angefangen, »sympathisierende Palästinenser« zu bewaffnen, hieß es in verschiedenen Medien. Die »Liwa Al-Asifah (Sturmbrigade) solle die Kontrolle über Yarmuk übernehmen. Die UN-Agentur für Palästinensische Flüchtlinge, UNWRA, erklärte, daß am Sonntag bei Angriffen auf den Damaszener Stadtteil Husseiniyah acht Palästinenser getötet worden seien, darunter sechs Kinder auf einem Spielplatz. Am Montag wurde ein als vermißt gemeldeter Palästinenser tot aufgefunden. Ebenfalls am Montag wurden bei einem Granateinschlag in einen Minibus mindestens fünf Personen getötet. Der Bus transportierte Fahrgäste auf der 30. Straße, die zwischen Yarmuk und dem umkämpften Haj Al-Aswat entlangführt.

Nach beginnenden Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Aufständischen in der entmilitarisierten Zone auf dem Golan und syrischen Streitkräften, hat der israelische Militärchef Generalleutnant Benny Gantz eine Tour entlang der Grenze gemacht, um die Lage zu begutachten. Die israelische Armee sei in Alarmbereitschaft versetzt worden, es seien einige offensichtlich fehlgeleitete Granaten auf israelischem Boden eingeschlagen, hieß es. Wer die Granaten abgefeuert hat, ist unklar. In einer vom Auswärtigen Amt in Berlin verbreiteten Nachricht zeigte sich Außenminister Guido Westerwelle besorgt über das »zeitweilige Eindringen einiger syrischer Panzer in die entmilitarisierte Zone«. Syrien müsse »alle Schritte unterlassen (…), die den Fortbestand der Waffenruhe in dieser angespannten Grenzregion gefährden«, sagte Westerwelle. Die Anwesenheit der bewaffneten Kämpfer, die innerhalb der entmilitarisierten Zone nahe der israelischen Grenze operieren und den Einsatz der syrischen Streitkräfte provoziert haben, erwähnte der Außenminister nicht. Der Gouverneur von Quneitra rief am Montag die verbliebenen Einwohner der betroffenen Ortschaften auf, die Orte zu verlassen. Die meisten Bewohner waren schon seit Mitte vergangener Woche geflohen, als die bewaffneten Gruppen die Orte überfallen hatten.

Am Montag nachmittag explodierte erneut eine Bombe im westlichen Stadtteil Mezzeh in Damaskus und richtete große Verwüstungen an. Die Zahl der Toten war bei Redaktionsschluß nicht bekannt. Der am vergangenen Freitag entführte Schauspieler Mohammad Rafei, ist am Wochenende ermordet aufgefunden worden. Der dreißigjährige Rafei stammte aus einer Schauspielerfamilie und war durch sein Engagement im Theater, Funk und Fernsehen bekannt.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 06. November 2012

Karin Leukefeld

referiert auf dem 19. Friedenspolitischen Ratschlag am 1./2. Dezember 2012 in Kassel zum Thema:
Was habt ihr dem arabischen Frühling in Libyen und Syrien angetan!?
Hier geht es zum Programm des Kongresses




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