Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nächster Halt Damaskus? / Attack Syria? Invade Iran?

Syrien, Libanon und Iran geraten immer mehr ins Visier des Pentagon - Kleinere Militäreinsätze schon in Gang?

Im Folgenden dokumentieren wir drei Beiträge, die sich mit der zugespitzten Lage im Libanon und um Syrien und Iran befassen. Die beiden ersten Beiträge sind in deutscher Sprache, der dritte Beitrag - aus dem Newsletter "portside" (www.portside.org/faq) - in Englisch.



Höchstes Risiko

Von Armin Köhli

Bomben, Morde und ein Selbstmord: Der schmutzige Konflikt um Syrien und den Libanon spitzt sich zu.

Ghasi Kanaan hatte den Libanon im Griff. Als syrischer Geheimdienstchef kontrollierte er die libanesische Politik, die politische Unterwelt, und, beinahe zwanzig Jahre lang, den überaus einträglichen Warenschmuggel aus dem Libanon nach Syrien. Im Jahr 2003 wurde er aus dem Libanon zurückgeholt. Seit 2004 amtete er als syrischer Innenminister. Letzte Woche erschoss sich Ghasi Kanaan in seinem Büro.

Warum sich Kanaan, einer der wirklich Mächtigen in Syrien und einer der «alten Garde» der seit den sechziger Jahren herrschenden Baath-Partei, umbrachte, bleibt unklar. Wie immer bei den schmutzigen syrischen und libanesischen politischen Affären kursieren die wildesten Gerüchte. Doch eines zeigt der Selbstmord Kanaans: Die syrische Machtstruktur ist im Innersten erschüttert, und der Druck auf Präsident Baschar al-Asad erhöht sich weiter. Am 21. Oktober wird Detlev Mehlis, der Leiter der internationalen Untersuchung des Mordes am ehemaligen libanesischen Premierminister Rafik Hariri, seinen Bericht vorlegen. Ob Mehlis, wie allgemein vermutet, syrische Verwicklungen in den Mord nachweist, spielt nicht einmal eine so grosse Rolle - obwohl Syrien dann internationale Sanktionen drohen. Der Mord an Hariri im Februar dieses Jahres war für Syrien so oder so ein PR-Desaster. Denn er geschah zu einer Zeit, in der der Westen, vorab die US-Regierung, das syrische Regime massiv bedrängte. Theoretisch ist es denkbar, dass andere Mächte Hariri ermordeten. Immerhin gelang es (mutmasslich) dem israelischen Mossad letztes Jahr, mitten in der syrischen Hauptstadt Damaskus einen paläs-tinensischen Militanten in die Luft zu sprengen. Vielleicht kam der Auftrag zum Mord an Hariri tatsächlich nicht direkt vom syrischen Regime. Doch dann hätte der allmächtige syrische Geheimdienstapparat den Mord unbedingt verhindern müssen. Der Wirbel um den Mord an Hariri kostete Syrien die Kontrolle über den Libanon. 1991 war der Libanon der Lohn für die syrische Beteiligung am ersten US-Krieg gegen den Irak. Die syrische Besetzung des Libanon wurde international und vertraglich anerkannt. Nun, beim zweiten US-Krieg gegen den Irak, ist der Libanon der Hebel der USA, um Syrien unter Druck zu setzen. Bush, der Vater, hats gegeben - Bush, der Sohn, hats genommen.

Damit gibt sich die US-Regierung noch nicht zufrieden. Die Motive von Präsident George Bush und seiner Entourage, Syrien nach Kräften zu destabilisieren, sind schwer zu erkennen. Sicher ist Syrien der letzte verbliebene «Frontstaat» gegen Israel. Und sicher finden arabische Kämpfer den Weg in den Irak via Syrien. Doch das syrische Regime kooperierte immer wieder mit den USA, und es half den US-Diensten auch immer wieder wirksam im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind: die islamistische Internationale. Ein langfristiges US-syrisches Arrangement wäre durchaus erreichbar. Meint es Bush mit seinem Feldzug für «Demokratie» im Nahen Osten so ernst, dass er riskiert, auch Syrien ins Chaos zu stürzen? Auch in Washington müsste unterdessen doch deutlich geworden sein, dass ein «Regime Change» nicht so einfach und unkompliziert zu haben ist.

Angesichts immer neuer US-Forderungen und Drohungen gegenüber Syrien und angesichts fehlender Kenntnisse der wahren Machtverhältnisse im Innersten des syrischen Regimes betreibt man im Westen wieder einmal verbreitet «Baathologie». Allerorten fragt man sich: Wie lange hält Baschar al-Asad noch durch? Kollabiert das System? Aus Angst vor einem Chaos in Syrien versteigt sich etwa Volker Perthes, als Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin vertraut mit Syrien, zur Aussage, ein Militärputsch sei womöglich die «am wenigsten schlechte Lösung».

Al-Asad übt sich derweil in jener Politik, die sein Vater Hafis al-Asad perfekt beherrschte: nachgeben, pragmatisch entgegenkommen, warten - und beim Grundsätzlichen standhaft bleiben. Vater al-Asad verstand es so jahrzehntelang, seine Macht zu sichern. Sohn al-Asad zeigt sich weiterhin gesprächsbereit. Im Kampf um sein Image gab er sich sogar zu einem - nicht nur in arabischen Augen - demütigenden Interview mit dem US-Fernsehsender CNN her, zweimal unterbrochen von Werbepausen (im Web nachzulesen unter www.sana.org.sy). So weit war sein Vater nie gegangen. Aber wie sein Vater handelt Baschar al-Asad rational. Doch ist den Erlösern in Washington mit Rationalität noch beizukommen?

* Aus: Wochenzeitung WOZ, 20. Oktober 2005


Damaskus im Visier Bushs

Das Weiße Haus debattiert über Einsätze von Sondereinheiten

Von Max Böhnel, New York*


Angesichts der erfolglosen Aufstandsbekämpfung in Irak und des UNO-Bericht über die Hariri-Ermordung in Libanon nehmen die USA Syrien erneut ins Visier.

Der Bericht des UNO-Sonderermittlers Detlev Mehlis über die Ermordung des libanesischen Ex-Premiers Rafik Al-Hariri, der am Freitag [21.10.2005] der UNO übergeben werden soll, birgt politische Sprengkraft. Nach Vorabmeldungen in der Presse soll der deutsche Staatsanwalt beispielsweise den syrischen Geheimdienstkoordinator Asef Shawkat als »Beschuldigten« vernommen haben. Insgesamt befragte Mehlis zehn führende syrische Diplomaten und Geheimdienstler, davon fünf als Beschuldigte. Die Befehlsgeber für den Mord an Hariri sitzen angeblich im inneren Zirkel um den syrischen Staatschef Bashar Al-Assad. Der Mehlis-Bericht soll am kommenden Dienstag im UNO-Sicherheitsrat diskutiert werden. Und die USA machen Druck. Anfang Oktober hatte Außenministerin Condoleezza Rice die Frage nach möglichen Militärangriffen gegen Syrien noch mit der Begründung verneint, Washington wolle zuerst die Ergebnisse des UNO-Berichts abwarten. Falls darin Fragen unbeantwortet bleiben, erwägt der Sicherheitsrat die Ausdehnung des Berichtszeitraums und weitere Ermittlungen in Libanon und Syrien. Nach Auffassung von Nahost-Beobachtern könnten die politischen Systeme in beiden Ländern aufgrund des Berichts »durchgeschüttelt« werden. Hohe Polizei- und Sicherheitskräfte in Libanon wurden bereits festgenommen. Der syrische Innenminister Ghasi Kanaan beging vergangene Woche in seinem Büro »Selbstmord«.

Beobachter gehen davon aus, dass Syrien, falls es die Ergebnisse des Berichts zurückweist, in eine weitere Isolierung gerät und eine UNO-Resolution sowie Sanktionen die Folge sein könnten. Auf jeden Fall aber werden die USA das Dokument unabhängig von seinem Inhalt für ihr Ziel – die politische Schwächung Syriens bis hin zur Option »Regimewechsel« – zu nutzen versuchen.

Einem Bericht der »New York Times« zufolge finden derzeit im Weißen Haus Diskussionen über Einsätze militärischer Sondereinheiten, etwa der berüchtigten »Delta Force«, auf syrischem Staatsgebiet statt. Vordergründig geht es um das Aufspüren und die »Eliminierung« von Ausländern, die sich dem irakischen Aufstand anschließen wollen. Regierungsbeamte vergleichen der »New York Times« zufolge Syrien im Irakkrieg mit der Rolle Kambodschas im Vietnamkrieg – »ein Zufluchtsort für Kämpfer, Geld und Material, das über die Grenze gebracht wird, und letztendlich der Ort für einen Schattenkrieg«.

Ein Ehemaliger Geheimdienstmann sagte der Zeitung zufolge allerdings auch, frustrierte Armeekommandeure in Irak seien »besessen von der Idee der ausländischen Kämpfer, weil damit einfacher umgegangen werden kann«. Tatsächlich sind 95 Prozent der Aufständischen irakische Staatsbürger, so jedenfalls Geheimdienstberichte.

Militäroperationen kleineren Ausmaßes auf syrischem Gebiet fänden bereits statt, zitierte die »New York Times« andere Regierungskräfte. Auf jeden Fall würden die Verfolgungsjagden auf syrischem Staatsgebiet an Intensität zunehmen. Schon im Sommer hatte es eine Reihe von Gefechten zwischen syrischen und US-amerikanischen Truppen mit einer geheim gehaltenen Zahl von Toten gegeben, was zu einer Protestnote der syrischen Regierung an die USA-Botschaft in Damaskus führte.

Um den politischen und militärischen Druck Washingtons auf Damaskus abzufedern, soll es allerdings zugleich Verhandlungen zwischen beiden Seiten geben – was Syrien einem Bericht der BBC vom Mittwoch zufolge aber bestritt. Andererseits ist nicht auszuschließen, dass Washington auf syrische Zugeständnisse auch nicht mit weiterem Druck reagieren wird. Denn laut »New York Times« sind sowohl der Mehlis-Bericht als auch die Sonderkommandos nur Teile einer »breit angelegten Neuorientierung der Syrien-Politik« der Bush-Regierung.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Oktober 2005


Attack Syria? Invade Iran? By what Constitution?

An oped by Jeremy Brecher and Brendan Smith

Testifying before the Senate Foreign Relations Committee on October 19,Condoleezza Rice was asked whether the Bush administration was planning military action against Syria. She answered, 'I don't think the President ever takes any of his options off the table concerning anything to do with military force.'

Last time we read the U.S. Constitution, the grave decision to use military force against another country was a matter for Congress to decide --not an 'option' for a President.

And last time we read the UN Charter, it provided that 'all members shall refrain in their international relations from the threat or use of force against the territorial integrity or political independence of any state.'

We've been here before. President Bush used trumped-up fears (like mushroom clouds over American cities) and frauds (like imaginary'yellowcake' uranium) to fool the American people into attacking Iraq. Now we and the Iraqi people are paying the price.

With the American military bogged down in what Lt. Gen. William Odom,director of the National Security Agency under Ronald Reagan, calls 'the greatest strategic disaster in United States history,' and with a majority of the American people saying the US made the wrong decision in using military force against Iraq, it may be hard to believe that the Bush administration is really contemplating further adventures.

But regimes facing military embarrassment are notorious for expanding the theater of war - witness Nixon's expansion of the Vietnam war into Cambodia. And the same delusions that got us into Iraq - from imaginary threats of illicit weapons to dreams of welcome from cheering crowds - are being repeated about Iranand Syria.

War with Syriais already dangerously close. A series of clashes between US and Syrian troops have killed Syrians and, according to current and former US officials, raise the prospect that cross-border military operations may become a dangerous new front in the Iraq war. According to pressaccounts, US forces have crossed the border into Syria, sometimes by accident,sometimes deliberately. An October 1 meeting of top Bush officials in the WhiteHouse considered 'options,' including 'special operations' against Syria. Bush administration officials are already laying the groundwork for attacks with the kinds of justifications they used to ensnare the U.S. in Iraq.

The Bush administration seems to believe that the President has thepower to make war on anybody it chooses without even having to consult with Congress. Senator Chafee observed to Secretary Rice, 'Under the Iraq war resolution, we restricted any militaryaction to Iraq.' Then he asked, 'So would you agree that if anything were to occur on Syrian or Iranian soil, you would have to return to Congress to get thatauthorization?' Rice's reply? 'Senator, I don't want to try and circumscribe presidential war powers. And I think you'll understand fully that the President retains those powers in the war on terrorism and in the war on Iraq.'

The provisions of the Constitution that limit the power of the President to make war are wisely designed to protect the people of our country from just the kind of dubious war that the Bush administration conducted against Iraq - and that the great majority of Americans now believe was a mistake. Similarly the restrictions on aggressive war in the UN Charter protect not only countries that might be attacked, but also the people of countries whose leaders may be tempted to conduct such attacks. Nothing could do more for American's national security today than a reinvigoration ofthese constraints on military adventurism.

While we are debating how to extricate ourselves from our quagmire in Iraq, the Congress and the American people need to make one thing perfectly clear: Attack on Iran,Syria,or any other country without the explicit endorsement of the U.S. Congress and the UN is not an 'option' for the President.

As the old saying goes, 'fool me once, shame on you; fool me twice, shame on me!' Congress and the American people allowed President Bush to fool us into war with Iraq. Shame on us if we allow him to do it again in Syria,Iran,or anywhere else!

Sources:
  • Anne Gearan, 'Rice: U.S. May Still Be in Iraqin 10 Years,' Associated Press, October 19, 2005.
  • Evan Lehman,'Retired general: Iraqinvasion was 'strategic disaster',' LowellSun, September 30, 2005
  • Princeton Survey Research Associates/PewResearch Center for the People and the Press, interviews conducted October6-10, 2005.
  • James Risen and David E. Sanger, 'G.I's and Syrians inTense Clashes on Iraqi Border,' New York Times, October 15, 2005.
  • CQTranscriptions, October 19, 2005.
* Legal scholar Brendan Smith (blsmith28@gmail.com) and historian Jeremy Brecher are the editors, with Jill Cutler, of IN THE NAME OF DEMOCRACY: AMERICAN WAR CRIMES IN IRAQ AND BEYOND (Metropolitan/Holt, 2005)

October 20, 2005, Submitted to portside by the author




Zurück zur Syrien-Seite

Zur Libanon-Seite

Zur Iran-Seite

Zurück zur Homepage