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Streitfrage: Wie kann eine Friedenslösung in Syrien aussehen?

Im "neuen deutschland" debattieren Bahman Nirumand und Joachim Guillard


Ein möglicher Giftgasangriff nahe Damaskus wird aller Voraussicht nach nicht ohne Folgen bleiben: Seit Tagen werden in der NATO Szenarien für eine militärische Intervention in Syrien durchgespielt. Zwar hat Großbritannien seine Beteiligung inzwischen ausgeschlossen, die USA und Frankreich aber zeigen sich entschlossen, dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad einen Denkzettel zu verpassen. Dabei war bisher umstritten, was genau vor Ort passiert ist und wer hinter der Attacke steckt, die hunderte Todesopfer gefordert hat. Experten der Vereinten Nationen haben den Vorfall untersucht. Am gestrigen Freitag haben die Inspekteur ihre Arbeit beendet. Die Aufständischen in Syrien fordern seit langem ein Eingreifen westlicher Staaten.

Ohne Frieden keinen Fortschritt

Von Bahman Nirumand *

Militärische Interventionen haben fast immer verheerende Folgen gehabt, sowohl für die Bevölkerung des betreffenden Landes als auch für die Angreifer. Beispiele dafür gibt es zuhauf. Dieser Grundsatz gilt erst recht für Syrien, in dem die Lage so verworren ist, dass kaum jemand sie überschauen kann. Wer sind die Beteiligten und welche Ziele verfolgen sie?, fragt man sich. Und was hat die gegenwärtige Bewegung noch mit den anfänglich demokratischen Forderungen an die Assad-Diktatur zu tun?

Zudem lässt sich eine militärische Intervention noch in keiner Weise mit internationalem Recht legitimieren. Denn noch ist kein Beweis dafür geliefert, dass der Einsatz von Chemiewaffen durch das Regime in Damaskus erfolgt ist. Es gibt mindestens genauso viele Gründe, die die Rebellen für das Verbrechen verantwortlich machen könnten. Weshalb hat man nicht zunächst die Untersuchungen abgewartet? Wozu diese Eile? Sollen als Strafe für Chemiewaffeneinsatz weitere unschuldige Menschen getötet werden?

Zu fragen wäre auch, was man eigentlich durch eine Intervention erreichen möchte. Will man das Assad-Regime stürzen und die Macht den Rebellen übergeben? Glaubt man wirklich, dass die Islamisten vom Schlage Al Kaida dem syrischen Volk ein besseres Leben bescheren als das Assad-Regime, das zwar verbrecherisch und brutal, aber immerhin säkular ist? Oder geht es vielleicht wie im Irak-Krieg um andere Ziele, zu deren Durchsetzung man nur einen Vorwand braucht?

Schließlich sollte man die möglichen regionalen und internationalen Folgen einer Intervention in Syrien in Betracht ziehen. Welche Reaktionen wird sie in Libanon, in Irak und anderen arabischen Ländern auslösen? Wie werden Russland, China und vor allem der engste Verbündete Syriens Iran reagieren?

Der russische Außenminister Sergej Lawrow warnte die NATO-Länder vor einer Intervention. »Wenn man glaubt, dass es sich lohnt, Bomben auf die syrische Militärstruktur abzuwerfen, damit die Regimegegner einen Sieg erringen und alles ein Ende findet, dann liegt man falsch.« Lawrow verwies auf die »schweren Konsequenzen aus vergangenen Interventionen in der Region«, die noch deutlich zu spüren seien, wie in Irak und Libyen.

Der Stellvertretende Oberkommandierende der iranischen Streitkräfte, General Masud Dschasajeri, warnte ebenfalls vor einer Intervention. Den USA sei die »rote Linien« in Syrien bekannt und es ist ihnen bewusst, welche »schweren Folgen es für sie hätte, wenn sie die Linie überschreiten würden«, sagte der General. Und in einer Erklärung des Teheraner Außenministeriums hieß es, der Nahe Osten sei kompliziert genug und brauche keine weiteren Spannungen. Eine westliche Militärintervention würde letztendlich nur ein unkontrollierbares Chaos in der gesamten Region auslösen.

Bereits der syrische Bürgerkrieg hat die Lage im Nachbarstaat Irak deutlich verschärft, die libanesische Hisbollah ist längst aktiv an dem Krieg beteiligt, Jordanien und die Türkei haben schier unlösbare Probleme mit dem unaufhörlichen Strom der Flüchtlinge. Auch Israel, das sich zunächst zurückhielt, weil es Assad zwar als Feind, aber als einen verlässlichen Feind betrachtete, ist am Rande mitbeteiligt, könnte aber im Falle einer Reaktion auf iranischer Seite in das Chaos hineingezogen werden, ja sogar die Gelegenheit wahrnehmen, um endlich einen Militärschlag gegen iranische Atomanlagen auszuführen. Böse Zungen sprechen davon, dass nicht Syrien, sondern Iran das eigentliche Ziel einer Militärintervention sei. Begründet wird die Meinung mit der doch überraschenden Positionierung Israels für einen Militärschlag gegen Syrien.

Syrien befindet sich wie sämtliche arabische Staaten in einer Übergangsphase von einer »Dritt-Welt-Diktatur« zur Demokratie. Es ist ein langer Weg voller Hürden und wir stehen noch ziemlich am Anfang. Jede Gewaltanwendung, ob eine Intervention von außen (siehe Afghanistan, Irak, Libyen) oder ein Militärputsch im Innern (siehe Ägypten), bringt einen Rückfall. Ohne Frieden, verbunden mit Reformen, wird es keinen Fortschritt geben.

Das gilt erst recht für Syrien. Wenn die Weltgemeinschaft nützlich sein will, muss sie alles daran setzen, unter Teilnahme aller Parteien in Syrien und aller beteiligten Staaten auf eine internationale Friedenskonferenz zu drängen. Wenn man das Assad-Regime durch Sanktionen zur Teilnahme zwingen kann, kann man auch die Rebellen dazu zwingen. Würden der Westen, die Türkei und die arabischen Staaten am Persischen Golf die Unterstützung für die Rebellen einstellen und ihnen keine Waffen mehr liefern, bliebe ihnen keine andere Wahl als einzulenken.

Mögen bestimmte Wirtschaftszweige wie die Waffenindustrie von diesem Krieg profitieren, für die gesamte Region, übrigens auch für den Westen sowie für Israel, könnte eine Intervention verheerende Folgen haben.

* Bahman Nirumand wurde in Teheran geboren und arbeitet seit Jahren als Publizist in Deutschland. Im vergangenen Jahr erschien von ihm »Iran Israel Krieg – Der Funke zum Flächenbrand« im Verlag Klaus Wagenbach.


Westliche Umsturzpläne

Von Joachim Guillard **

Die drohenden NATO-Angriffe auf Syrien kommen nicht überraschend. Experten warnen schon lange davor, dass regierungsfeindliche Kräfte mit Hilfe ausländischer Geheimdienste versuchen werden, das Militärbündnis durch einen der syrischen Armee untergeschobenen Einsatz von Giftgas zum direkten Eingreifen zu bewegen beziehungsweise einen geeigneten Vorwand dafür zu liefern.

Erste mörderische Versuche gab es bereits im Dezember und März. Sie scheiterten nicht daran, dass UN-Experten zu dem Schluss kamen, dass die Giftstoffe sehr wahrscheinlich von »Gegnern des Regimes« eingesetzt wurden. Sie scheiterten daran, dass Washington zunächst weiter auf die Aufrüstung der Aufständischen setzte. Nachdem diese in den vergangenen Wochen aus strategisch wichtigen Gebieten verdrängt wurden und die syrischen Streitkräften weiter auf dem Vormarsch sind, scheint die US-Führung jetzt ein direktes Eingreifen für notwendig zu halten.

Der Versuch der USA, Frankreichs, Großbritanniens, der Türkei und der Golfmonarchien die syrische Regierung, durch einen Stellvertreterkrieg in- und ausländischer Kämpfer zu stürzen, ist gescheitert. Offensichtlich hat das säkulare System, für das Präsident Baschar al-Assad steht, mehr Rückhalt als im Westen dargestellt wird. Auch wenn sich die meisten Syrer weitere demokratische und soziale Reformen wünschen, als zu Beginn der Proteste gewährt wurden, die Mehrheit der Bevölkerung steht hinter Assad oder lehnt zumindest seinen Sturz ab.

Solange die regierungsfeindlichen, überwiegend islamistischen Milizen ausreichend mit Nachschub an Geld, Waffen und Kämpfern versorgt werden und in der Türkei und Jordanien über ein sicheres Hinterland verfügen, kann die syrischen Armee sie nicht endgültig besiegen. Da sie zwangsläufig weite Gebiete den diversen, zum Teil rivalisierenden aufständische Kräften überlassen muss, droht das Land auseinanderzubrechen.

Der Konflikt in Syrien ist im Kern kein Bürgerkrieg, sondern eine ausländische Intervention mit der Absicht, den wichtigsten Verbündeten der Regionalmacht Iran auszuschalten. Von Beginn an wurden die im März 2011 einsetzenden Demonstrationen für demokratische Reformen von Anschlägen bewaffneter Gruppen begleitet, die eine Eskalation der Auseinandersetzungen herbeiführen wollten. Von Anfang an erhielten diese Militanten Unterstützung von außen. Das Ziel war der Sturz des syrischen Regimes – und das um jeden Preis.

Jeder Ansatz für eine politische Lösung wurde daher konsequent torpediert. Alle Verhandlungsversuche scheiterten, weil die Aufständischen und ihre ausländischen Förderer auf den Rücktritt der Regierung – d. h. auf ihre Kapitulation – als Vorbedingung für Gespräche bestanden. Jede vereinbarte Feuerpause wurde unterlaufen, indem immer größere Kontingente an Waffen und Kämpfer ins Land geschleust wurden.

Der einzige Weg zur Beendigung des Krieges liegt nach wie vor in Verhandlungen unter Beteiligung aller relevanten syrischen Kräfte. Um zu einer Lösung zu kommen, muss die Regierung die veränderten Realitäten wie zum Beispiel den erreichten Grad an Autonomie der Kurdenregion akzeptieren, während die oppositionellen Gruppen, die an einem Ende der Kämpfe interessiert sind, hinnehmen müssen, dass sie nur eine Minderheit vertreten und eine Stabilisierung des Landes ohne die amtierende Regierung nicht möglich ist.

Frieden kann es jedoch erst geben, wenn die NATO-Mächte und ihre arabischen Verbündeten die Umsturzbemühungen einstellen. Vor allem müssen die militärische und politische Unterstützung der regierungsfeindlichen Milizen beendet, deren Basen in der Türkei geschlossen und die britischen, französischen und US-amerikanischen Spezialeinheiten aus der Region abgezogen werden. Die Aussichten dafür sind indes trübe, die Entwicklung geht in Richtung einer weiteren Eskalation.

Die Syrer können dem nur entgegenwirken, indem sie durch eine Isolierung der auf einen Umsturz zielenden Kräfte der Intervention von außen jegliche Legitimationsmöglichkeit nehmen. Um sie zu stoppen ist jedoch eine breite Bewegung in der westlichen Öffentlichkeit gegen die Kriegspolitik der NATO erforderlich. Dazu müssen Friedensbewegung und Linke endlich – unabhängig von den unterschiedlichen Einschätzung der innersyrischen Verhältnisse – erstens die äußere Aggression gegen das Land am Mittelmeer als solche benennen und zweitens deren Beendigung zu ihrem Hauptziel machen.

** Joachim Guilliard ist im Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg aktiv. Er schreibt regelmäßig über den Nahen und Mittleren Osten.

* Beide Beiträge aus: neues deutschland, Samstag, 31. August 2013


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