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Die Schlacht rückt Damaskus näher

Die Bevölkerung scheint gespalten, aber die Rebellen der Freien Syrischen Armee drängen auf die Entscheidung

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die syrischen Rebellen haben jetzt eine »Schlacht zur Befreiung« von Damaskus angekündigt. Diese Schlacht habe begonnen, sagte ein Sprecher der regierungsfeindlichen Freien Syrischen Armee gegenüber AFP in Beirut. »Die Kämpfe in der Hauptstadt werden nicht aufhören.« In der Stadt selbst blieb es am Dienstag weitgehend ruhig.

Die erste SMS kam um 6.30 Uhr am Dienstag: »Geht es dir gut?« In einer E-Mail heißt es: »Sieht aus, als stünde bei euch der Krieg vor der Tür. Habe gehört, dass die Flughafenautobahn umkämpft ist.« In dem alten Eukalyptusbaum neben dem Fenster singen die Vögel. Bald werden sie zu ihren täglichen Ausflügen in die Umgebung von Damaskus fliegen. Wenig Verkehr ist auf den Straßen, draußen ist alles ruhig.

Erst das Frühstücksfernsehen zeigt, warum die Freunde so besorgt sind. »Syrien: Der Krieg im Inneren« heißt ein Programm des katarischen Senders »Al Dschasira«, in dem man seit Monaten erfährt, wie die syrische Auslandsopposition, bewaffnete Aufständische der »Freien Syrischen Armee« und ihre internationalen Unterstützer aus Washington, London, Paris, Berlin, Riad und Doha die Lage in Syrien sehen. An diesem Morgen erfährt man von heftigen Kämpfen in Damaskus, die Armee beschieße Stadtviertel aus Hubschraubern, unterlegt werden die Meldungen wie immer mit wackeligen Bildern, die schemenhafte Kämpfer zeigen. Gefechtslärm ist zu hören, ein »Augenzeuge« am Telefon berichtet.

»Das Regime ist tot«, heißt es aus Doha

Im saudischen Sender »Al Arabiya« waren die ersten verwackelten Aufnahmen schon am Vortag ausgestrahlt worden. Darauf waren schwarz gekleidete, kräftige Kämpfer zu sehen, die sich - ausgerüstet mit verschiedenen Gewehren und einem Granatwerfer - zwischen einer Hausecke und einer Sandsackbarrikade hin- und herbewegten.

BBC macht mit der Schlagzeile auf, Präsident Baschar al-Assad könnte Chemiewaffen einsetzen, sollte er sich in die Ecke gedrängt fühlen. Davor hat der ehemalige Botschafter Syriens in Bagdad, Nawaf Fares, in einem Interview mit dem britischen Sender gewarnt. Fares hatte sich Anfang der Woche nach Doha (Katar) abgesetzt, wo er auf Einladung des Emirs vorerst in einem Luxushotel eine Bleibe gefunden hat. Dort hatte er zwei Tage zuvor dem Sender »Al Dschasira« gesagt, es sei »unmöglich für die Syrer, die Existenz Assads in Syrien zu akzeptieren. Das Regime ist tot, es ist nur eine Frage der Zeit.«

Bei einem Rundgang durch das Zentrum von Damaskus fällt auf, dass weit weniger Verkehr auf den Straßen unterwegs ist als üblicherweise an einem Arbeitstag. Ein Mann erzählt, es sei schwer gewesen, die Kontrollstellen der Armee zu passieren. Ein anderer berichtet, auf seinem Arbeitsweg seien so gut wie keine Autos zu sehen gewesen, also sei er schnell durch die Kontrolle gekommen.

Ein Bekannter, mit dem ein Treffen vereinbart war, meldet sich telefonisch und sagt, er könne seinen Stadtteil Muhayem nicht verlassen: »Alle Zufahrtsstraßen sind von der Armee blockiert.« Bei ihnen sei alles ruhig. Das Leben auf den Straßen verlaufe normal, erzählt er weiter. Doch in den umliegenden Vierteln werde offenbar gekämpft. »Wir sind hier wie eine Insel.« Er lacht und verabschiedet sich: »Vielleicht sehen wir uns morgen.«

Bei Gesprächen sind sehr unterschiedliche Meinungen zu hören. Ein junger Mann, der im Stadtteil Midan wohnt, kommt mit großer Verspätung an seinen Arbeitsplatz in einem Internetcafé. »Mörsergranaten haben Soldaten an einem der Kontrollpunkte getötet«, erzählt der blasse junge Mann und entschuldigt sich: »Daher die Verspätung.«

Ein Geschäftsmann, dessen Werkstatt für Holzmalereien, Wand- und Deckenverkleidungen auf dem Weg nach Saida Zeyneb liegt, einem Pilgerort schiitischer Muslime, berichtet, dass sein Geschäft seit zwei Tagen geschlossen ist. Überall seien Kämpfer der »Freien Syrischen Armee«, die sich Gefechte mit den syrischen Truppen lieferten. »Die syrische Armee schießt, sobald sie einen Schuss aus einem der Häuser hört«, sagt der sichtlich empörte Mann. Die »Freie Syrische Armee« erkenne er an den Abzeichen an ihren Jacken: »Sie tragen die alte syrische Fahne.« Wie viele es sind, wisse er nicht, auch nicht, ob sie aus dem Ort oder der Umgebung stammen. Aber sie seien viele und überall.

Die einen hassen, die anderen loben Assad

Die Muslimbruderschaft habe ihre Anhänger aufgerufen, die Innenstadt von Damaskus zu besetzen, erzählt ein weiterer Bekannter. Damit sollten die staatlichen Sicherheitskräfte gebunden und den Kämpfern außerhalb der Stadt Entlastung verschafft werden.

Ein syrischer Kollege berichtet, dass Mitarbeiter verschiedener Sender in den umkämpften Orten unter Beschuss geraten seien. Ein Bus, der sie am Dienstagmorgen zur Arbeit brachte, wurde von Aufständischen beschossen. Zwar seien Fenster gesprungen, berichtet ein Augenzeuge auf Nachfrage. Doch die Fahrgäste kamen mit dem Schrecken davon.

Die Regierung berät in ihrer Sitzung die aktuelle Lage, äußert sich zu den Kämpfen um die Hauptstadt aber nur allgemein. Bei Gesprächen mit der Bevölkerung wird deutlich, wie zerstritten und tief gespalten die Menschen sind. Die einen verfluchen den Präsidenten, die Armee und Russland. Die anderen stärken Assad den Rücken und halten mehr zu ihm als noch vor einem Jahr.

»Ich bin erschüttert, wie Deutschland und Frankreich sich in diesem Konflikt verhalten«, sagt ein Ingenieur, der in Deutschland studiert und viele Jahre dort gelebt hat. »Wie können sie unser Land in einen Krieg treiben und diese Kämpfer unterstützen?« Von den USA erwarte er nichts anderes, die wollten schon immer die einzige Weltmacht sein. »Doch Deutschland und Frankreich haben ein Jahrhundert furchtbarer Kriege erfahren, warum eskalieren sie, anstatt zu vermitteln?«

Es ist kurz vor 17 Uhr in Damaskus. Die Sonne senkt sich zum Horizont, die Menschen eilen zu Bussen, um vor der Dunkelheit nach Hause zu kommen. Über knatternde Lautsprecher ruft der Muezzin zum Gebet: Allahu akbar - Gott ist groß. Wieder sind dumpfe Einschläge im Süden zu hören, eine weiße Rauchwolke steigt auf und verweht schnell. Gewehrsalven hallen, ein Hubschrauber kreist hoch über der Stadt.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 18. Juli 2012


Berlin untergräbt Friedensbemühungen

Bürgerkrieg in Syrien: Die Linke kritisiert Bundesregierung. Rußland kündigt Veto im UN-Sicherheitsrat an **

Rußland hat angekündigt, bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrates am heutigen Mittwoch in New York eine von den USA, Deutschland und Frankreich eingebrachte Resolution zur Lage in Syrien zu blockieren. Außenminister Sergej Lawrow warf den Antragstellern Erpressung vor: Die Geldgeber der syrischen Opposition würden nur von Staatschef Baschar Al-Assad einen Waffenstillstand verlangen, aber weiter die Gewalt schüren. »Unser einziges Interesse besteht darin, einer weiteren Destabilisierung des syrischen Staates und der gesamten Region vorzubeugen«, betonte Lawrow. Auch Rußlands Präsident Wladimir Putin sicherte dem früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan am Dienstag bei einem Treffen in Moskau weitere Unterstützung für dessen Vermittlungsbemühungen zu.

Demgegenüber wirft die Linkspartei der deutschen Bundesregierung vor, die Friedensbemühungen zu untergraben und die »Gefahr einer militärischen Intervention« zu schüren. »Zum Friedensplan des UN-Sondergesandten Kofi Annan gibt es keine Alternative, wenn man nicht noch mehr Tote riskieren will. Dazu muß nicht nur Druck auf das Assad-Regime, sondern auch auf die bewaffneten Gruppen und ihre internationalen Unterstützer ausgeübt werden«, erklärte die entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion, Heike Hänsel, am Dienstag in Berlin. Ihre Fraktionskollegin Sevim Dagdelen kritisierte, die Bundesregierung enthalte der Öffentlichkeit Informationen über die tatsächliche Lage in Syrien vor, »um Verdächtigungen gegen das Assad-Regime verbreiten zu können« und die dortigen Aktivitäten des Auslandsgeheimdienstes BND zu decken. »Überhaupt vermeidet es die Bundesregierung, jegliche Kritik an ihren Verbündeten und denjenigen, welche den Konflikt in Syrien von außen eskalieren, erkennen zu lassen«, kommentierte die Fraktionssprecherin für internationale Beziehungen mit Blick auf die Antwort des Kabinetts auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion. (Nowosti/jW)

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Juli 2012


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