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Gefährte der Zeit

Jahrtausende vereint in einer Stadt: Die syrische Metropole Damaskus beherbergt viele Völker und Religionen. Ein Streifzug durch die »Perle des Orients«

Von Karin Leukefeld *

Lautes Hämmern tönt durch die schmale Gasse des heiligen Lazarus, die in der Altstadt von Damaskus von der Ananiaskirche zur Bab-Touma-Straße führt. »Ahlan Wasalan – willkommen – «, sagt ein alter Mann. Die Tür seiner Werkstatt ist geöffnet, er legt den Hammer beiseite, bittet, doch einzutreten. Paul Sleiman ist Mosaikbauer, seine großen braunen Augen sind von unzähligen Lachfalten umrahmt. Er befestigt Deckel auf kleine Holzkästchen, die sich um ihn herum zu Türmen stapeln. Mit seinen zwei Brüdern hat der Mosaikbauer Kindheit und Berufsleben hier verbracht. Als Ältester der drei Männer übernahm George den Betrieb von seinem Vater, der ihn wiederum von seinem Vater übernommen hatte, erzählt George, ein gebeugter Mann, 70 Jahre alt.

Die Mosaikwerkstatt

»Drei Generationen hat diese Werkstatt ernährt, doch nach mir kommt niemand mehr«, meint er nun. »Meine Söhne haben studiert und leben im Ausland, keine Familie schickt mehr ihre Kinder, um diesen Beruf zu lernen. In ein paar Jahren werde ich den Laden schließen.« Kostbare und aufwendige Holzarbeiten werden bei den Brüdern Sleiman nur noch selten hergestellt. George zeigt einen Tisch. Wird er aufgeklappt, erscheinen auf ihm verschiedene Spielfelder in herrlichen Mosaiken und Perlmutt. »An ihm haben wir über Monate hindurch mehr als zehn Stunden täglich gearbeitet.« Junge Leute seien für derartig aufwendige und anstrengende Tätigkeiten nicht mehr zu haben, zumal der Lohn nur gering ist.

Die Brüder Sleiman leben dennoch nicht schlecht. In den vergangenen Jahren sorgten Großaufträge für Holzkästchen, Rahmen und Kreuze für Beschäftigung. Gleichwohl müssen auch diese in mühsamer Handarbeit einzeln hergestellt werden. Die Mosaikform entspricht dem »arabischen Muster«, erklärt nun Khalid Al-Turk, ein früherer Mitarbeiter – »in verschiedensten Farben stellen sie Sterne, Blumen oder einfach geometrische Formen dar. Manche Muster werden verfeinert durch Einlagen aus schillerndem Perlmutt«, so Al-Turk und ergänzt: »Spezialistenarbeit.«

In dem Straßen- und Gassenlabyrinth der Damaszener Altstadt gibt es eine Fülle von Kleinbetrieben und Werkstätten, die sich seit Generationen in Familienhand befinden. Da werden Möbel gezimmert, Holzvertäfelung bemalt, geschneidert und Brokat gewebt, kunstvolle Kartonagen und Umschläge gefertigt, Teppiche geknüpft und repariert. Doch die Geschäftigkeit täuscht, meint Khalil Al-Turk, der als Junge in dem Betrieb der Brüder Sleiman 16 Stunden am Tag das Mosaikhandwerk gelernt hat. Heute betreibt er ein kleines Kunsthandwerkgeschäft nur wenige Meter vom Eingang der Ananiaskirche entfernt.

Auf Kundensuche

Ständig ist sein Blick auf die Tür und die Hanania-Straße gerichtet, durch die alle Touristen laufen müssen, wenn sie die kleine Kirche besichtigen wollen. Kaum blickt jemand neugierig durch die Tür, lädt sie der Mann mit lauter Stimme ein. »Hello, my friend, good morning, merhaba, bonjour, ça va, hereinspaziert«, begrüßt er überschwenglich einen schwergewichtigen Mann aus Polen, der von einem syrischen Touristenführer begleitet wird. »Für Sie habe ich etwas ganz Besonderes – eine einmalige Gelegenheit ist dieses Schwert aus dem 19. Jahrhundert, sehen Sie!« Al-Turk greift nach einem über einen Meter langem Schwert und fuchtelt damit vor dem sichtlich beeindruckten Mann herum. »Sehen Sie hier, dieses eingestanzte Wappen garantiert Alter und Echtheit.«

Der Fremde wiegt die Waffe in seiner Hand und fragt, was es kosten soll. »Sie scheinen ein Kenner zu sein, für Sie mache ich einen besonderen Preis«, schmeichelt der Händler und zögert, als denke er nach. »Nur 1000 Dollar, und die Kostbarkeit gehört Ihnen«, sagt er dann. Es wird gefeilscht, schließlich nennt Al-Turk seine letztes Angebot: 850 Dollar. Der Mann überlegt und wendet schließlich ein: »Und wie bekomme ich es am Flughafen durch die Sicherheitskontrollen?« Der Verkäufer schlägt vor, es zu verpacken und als Frachtgut nach Polen zu verschicken, doch der Mann scheint nicht überzeugt und trifft schließlich eine völlig andere Wahl: Er kauft ein Kreuz aus Holzmosaik mit eingelegtem Perlmutt.

Im jüdischen Viertel

Gibt es hier noch Juden im Viertel«, fragt der Begleiter des Polen, und Al-Turk antwortet, daß die jüdische Bevölkerung mehr im Südteil der Altstadt gelebt hätten. Nach »dem ersten Krieg« hätten die meisten Damaskus verlassen. Gemeint sind die Kämpfe einer arabischen Allianz mit Israel, bei dem es Syrien gelang, einen Teil der 1967 von Israel besetzten Golan-Höhen zurückzuerobern. Die Juden von Damaskus waren Händler und pendelten über Jahrhunderte – wie ihre arabischen Kollegen – zwischen den Märkten in Kairo, Jerusalem, Damaskus und Bagdad. »Nachdem sie gegangen waren, blieben ihre Geschäfte lange geschlossen. Ihre Häuser stehen bis heute leer und verfallen«, sagt Al-Turk.

Die staatliche Gesetzgebung erlaubt es Syrien zwar, die Häuser zu enteignen, doch der Staat hält sich zurück. Nur wenn Einsturz droht oder ein historisches Baudenkmal erhalten werden soll, wird eingegriffen. Nach Auskunft Einheimischer leben heute etwa 500 Juden in der »Perle des Morgenlandes«, vorwiegend im Jobar-Viertel, das im Ostteil der Stadt liegt. Einer der ältesten von ihnen soll den Schlüssel zur Synagoge haben, die sie besuchen können, wann immer sie möchten. Diese Angaben lassen sich nur schwer verifizieren: Wo die Synagoge steht, wissen nur wenige, und die Juden von Damaskus leben unauffällig und zurückgezogen.

Enge Nachbarschaft

In der Altstadt sind die Gassen eng, und die Häuser stehen dicht an dicht. Jeder weiß hier, wann der Nachbar kommt und geht und wer ihn besucht. Die Zeit scheint hier zu verweilen, es gibt Orte, an denen man außer dem Plätschern eines Brunnens, dem Vogelgezwitscher und einem leichten Rauschen des Windes nichts hört. Der Gemüsehändler Khalid Al-Fawal kann sich ein Leben außerhalb der Altstadt nicht vorstellen, auch wenn vieles sich geändert hat. Viele Häuser ständen leer oder würden nur noch von alten Leuten bewohnt, meint Al Fawal: »Die Alten sterben und die Jungen wollen weg«.

Immer häufiger werden Häuser von Reichen gekauft und renoviert. Es entstehen Restaurants und Luxushotels mit dem garantierten »Flair von tausendundeiner Nacht«, wie die Werbung verspricht. Internet und Satellitenfernsehen inklusive. Nach den Griechen und Römern, den Ommayyaden und Osmanen scheinen heute Touristikunternehmen die Damaszener Altstadt zu erobern, manch Alteingesessener fühlt sich fremd. »Früher war das Leben einfacher, ruhiger und gelassener«, sagt der Gemüsehändler. »Heute ist es hektisch und laut. Früher konnte ich den Duft des Jasmins riechen, der dort drüben hinter dem Haus wächst. Das ist vorbei. Das alte Damaskus gibt es nicht mehr.«

Atem der Geschichte

Damaskus ist seit dem vierten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung bewohnt und atmet Geschichte und Tradition wie nur wenige Städte im Mittleren Osten. Unzählige Berichte preisen die Frische der Obstgärten, die Klarheit der Springbrunnen und Gewässer, das bedächtige Leben auf den Märkten, die freimütige Gastfreundschaft, das Zusammenleben der Religionen und Völker und die Klugheit der Damaszener, die trotz Kriegen und Besatzung ihre Stadt zu erhalten wußten.

Umgeben von der Ghuta-Oase unterstand Damaskus als Metropole der Provinz Syrien im Osmanischen Reich (1546–1918) den Herrschern in Konstantinopel, die den Reichtum abschöpften und gelegentlich die Männer zum Kriegsdienst einzogen. Neben der Nargila, der Wasserpfeife, und dem Backgammon-Spiel haben die Osmanen der Stadt reichlich Teehäuser und Herbergen hinterlassen, Bäder und Paläste. Seit einigen Jahren sind die Türken zurückgekehrt, als Vertreter von Baukonsortien, als Hotelbesitzer und Textilfabrikanten oder als Touristen.

Damaskus ist noch immer eine »junge arabische Stadt«, 36 Prozent der 21 Millionen Syrer sind jünger als 14 Jahre, auf den Straßen ist das nicht zu übersehen, die Universität quillt förmlich über. Unzählige Baudenkmäler bieten den Touristen eine Zeitreise zurück bis weit in vorchristliche Zeiten. Man begegnet dem religiösen Völkermosaik der Region, das einst die besondere Atmosphäre der Stadt geprägt hat – spirituelles Zentrum noch heute für Christen und Muslime unterschiedlichster Glaubensrichtungen.

Kurden ohne Pässe

Religionen und Völkern wird in Syrien Respekt und Sicherheit gewährt, sofern sie ihrerseits die Einheit des Staates respektieren. Die Kurden im Norden Syriens tun sich oft schwer damit, zumal bei ihren kurdischen Brüdern im Nordirak der Ruf nach Unabhängigkeit nicht verstummt. Immer wieder kommt es zu Konflikten mit der Zentralregierung, nicht zuletzt, weil Kurden mehrheitlich keine Personalpapiere besitzen. Kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 erklärte Präsidenten Bashar Al-Assad zwar, den Kurden syrische Pässe zu geben, doch wurde die Entscheidung bis heute nicht umgesetzt. Die Kurden in Damaskus, die seit Jahrhunderten am Qasiyun, dem Hausberg der Stadt leben, scheinen sich arrangiert zu haben.

Neben Tscherkessen, Assyrern, Armeniern und Drusen leben seit 1948 auch etwa 300000 palästinensische Flüchtlinge und ihre Nachfahren in Damaskus. Nach 2003 kamen noch mehr als eine Million Menschen hinzu, die den Irak verlassen mußten. Damaskus nimmt sie alle auf, obwohl die Stadt dem Ansturm nicht wirklich gewachsen ist. Um »die Perle des Orients« hat sich ein Gürtel von inoffiziellen Siedlungen gelegt, in denen die Versorgung mit Strom und Wasser nicht mehr gewährleistet werden kann. Etwa sechs Millionen Menschen sollen in Damaskus und Umland leben, doch Einheimische schätzen die tatsächliche Zahl weit höher.

Bittere Trockenheit

Die Ghuta, wo einst Felder und Gärten lagen, ist mit Fabriken, Werkstätten und neuen Wohnsiedlungen zugebaut und »unwiederbringlich zerstört«, wie ein Alteingesessener bitter bemerkt. Der Fluß Barada, der vom westlichen Libanon kommend Damaskus nach Osten durchfließt und die Ghuta bewässerte, führt nach fünf Jahren Trockenheit kaum noch Wasser und ist stark verschmutzt. Zehntausende von Landflüchtlingen, die wegen der Dürre im Nordosten des Landes an den Rand der Hauptstadt gezogen sind, hoffen auf Arbeit und neue Unterkunft. Die Ortschaften im Umland von Damaskus (Rif Damaschq) sind gewachsen, daß sie praktisch zu Vororten geworden sind.

An Werktagen strömen die Menschen aus dem Umland ins Zentrum, um zu arbeiten, Behördengänge zu erledigen, als Tagelöhner ihre Arbeitskraft oder kleine Dinge anzubieten, die sie produziert haben oder für einen Zwischenhändler feilbieten. Wie der alte Bauer, der mit seiner Frau täglich im schattigen Eingang eines Hotels nahe dem stillgelegten Hejaz Bahnhof sitzt und Walnüsse, Sirup und Datteln verkauft. Oder der Knirps, der in der Nähe des Nationalmuseums eine Waage bewacht, auf der man für zehn Lira (etwa 20 Eurocent) sein Gewicht kontrollieren kann.

Schon früh am Morgen transportieren die Männer ihre in einem Pappkarton verstauten Waren mit dem Fahrrad in die Stadt, wo sie auf Bürgersteigen und auf Plätzen Uhren, Gürtel, Schuhe oder Bücher, Unterwäsche oder Elektrogeräte vor sich ausbreiten. Eine junge Frau wiegt Tomaten und Zwiebeln für eine Kundin ab, während eines ihrer Kinder die Plastiktüte aufhält, in der dann der Kauf verstaut wird. Das Jüngste schläft derweil in einem Bananenkarton im Schatten.

Krasse Gegensätze

Der harte Alltag der überwiegenden Mehrheit der Menschen in Damaskus steht im krassen Gegensatz zum Lebensstil der wenigen Reichen, die zu den Gewinnern der neu eingeführten freien Marktwirtschaft gehören. Stolz kutschieren sie ihre schweren Fahrzeuge mit abgedunkelten Fenstern durch die Straßen der Neustadt, wo die Auslagen das Neueste an Haute Couture, Elektronik und Einrichtungsgegenständen zeigen. In den Restaurants und Cafés sind die Preise um ein Vielfaches höher, als in den traditionellen Lokalen im Zentrum, die Mieten in den Diplomatenvierteln Malki oder Mezzeh sind von den meisten Einheimischen schon lange nicht mehr zu bezahlen.

Für Aziz Al-Kurd und seinen Bruder Mohammed, die morgens in einem Hotel arbeiten, um anschließend noch einem zweiten Job nachzugehen, damit sie ihre Familien ernähren können, liegen Malki oder Mezzeh in einer anderen Welt. Sie wohnen in Ruk’n Deen, wo die Häuser wie Schwalbennester am Steilhang des Bergs Qasiun kleben. Neuerdings fährt Mohammed mit dem Fahrrad zur Arbeit, erzählt er stolz. So könne er das Geld für den Kleinbus sparen, und außerdem sei es gut für die Gesundheit.

Wenn Mohammed und Aziz spät am Abend nach Hause kommen, vergnügen sich die Reichen auf den Dachterrassen der Luxushotels und bewundern das Lichtermeer am Qasiun, das sich Nacht für Nacht wie ein bunter Schleier über den beschwerlichen Alltag der Menschen legt. »Sie sehen auf unseren Berg hinauf«, schmunzelt Aziz, »und wir blicken auf die Lichter von Damaskus herunter und haben noch frische Luft dazu.«

* Aus: junge Welt, 22. Mai 2010 (Wochenendbeilage)


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