Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gespannte Ruhe in Damaskus

Syrien: Im Palästinenserviertel der Hauptstadt hoffen die Menschen auf eine Rückkehr zur Normalität

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Der Weg nach Yarmuk, dem einstigen Palästinenserlager in Damaskus, führt durch Midan. Das Viertel gliedert sich in einen historischen und einen neuen Teil. Der historische Kern um Bab Musalla, nahe der Damaszener Altstadt, ist bekannt für seine Restaurants und Konditoreien; hier versammelten sich in alten Zeiten die Pilger auf dem Weg nach Mekka. Das neue Viertel liegt jenseits der südlichen Ringautobahn, der Hafez-Al-Assad-Straße, die im Westen weiter in den Libanon führt. Die Spuren der bewaffneten Auseinandersetzungen in Midan sind noch zu sehen: Ein UN-Bus mit zerstörten Fenstern steht am Straßenrand, zerborstene Fenster auch in einer Moschee und einer Niederlassung des Syrischen Arabischen Roten Halbmonds, der klar durch den Roten Halbmond auf dem Dach gekennzeichnet ist.

Längs durch das neue Viertel von Midan führt die Zahirastraße bis zum Platz der »Schlacht von Kadisiya«. Der Name erinnert an eine Stadt im heutigen Irak in der Provinz Hilla, wo Mitte des 7. Jahrhunderts islamische arabische Soldaten das Heer des persischen Sassanidenreiches vernichtend schlug. Der Kadisiyaplatz in Damaskus markiert den Eingang des Yarmuklagers. »Wir haben hier drei Hauptstraßen«, erklärt der 25jährige Naef (Name redaktionell geändert). »Die Palästinastraße, die Yarmukstraße und die 30. Straße.« Yarmuk war das erste Lager, in dem Palästinenser 1948 in Syrien nach der gewaltsamen Gründung des Staates Israel in ihrer palästinensischen Heimat Zuflucht fanden. Heute leben in Yarmuk rund eine Million Menschen, nur 180000 von ihnen sind Palästinenser, erläutert Naef, der hier geboren wurde. Diese wohnen im Viertel Muchayem nahe des Kadisiyaplatzes.

Es ist kurz nach zehn Uhr am Morgen, erst allmählich öffnen die Geschäfte. Ein Apotheker sortiert neue Medikamente ins Regal, das Schaufenster seines kleinen Geschäftes ist kaputt. Auf die Frage, was geschehen sei, erklärt der Mann freundlich, daß während der Kämpfe offenbar ein Granatsplitter durch den Rolladen gedrungen sei und das Fenster zerstört habe. Gestohlen worden sei nichts. Rund zehn Tage hat der Mann seine Apotheke geschlossen gehalten, während Aufständische und reguläre Truppen sich rund um den Kadisiyaplatz Kämpfe lieferten. Eine Versicherung habe er nicht, doch habe er gehört, daß man beim Rathaus Wiedergutmachung für erlittene Schäden beantragen könne.

Anders als in Midan ist auf der Yarmukstraße der Müll vieler Tage nicht beseitigt. Nur wenige Straßenfeger haben ihre Arbeit wieder aufgenommen. Er habe 18 Tage zu Hause gesessen, erzählt ein Mann, der, mit einem Besen bewaffnet, eifrig den Rinnstein auskehrt. Zum Glück könne er jetzt wieder arbeiten, er hoffe, das Leben werde wie früher. Fast alle Rolläden vor den Geschäften sind mit Parolen besprüht. »Streik« steht darauf, »Schließen oder Brennen« und »Die Freie Armee kommt, Freiheit«. Ein Streik sei zwar besser als zu schießen, meint Naef auf die Frage, was er von dem Aufruf zum Streik halte. »Die Menschen können es sich aber nicht leisten, die Geschäfte zu schließen. Sie müssen Geld verdienen. Wenn sie einige Tage die Läden schließen, können sie die hohe Miete für das Geschäft nicht mehr bezahlen und gehen pleite.« In Yarmuk und Muchayem habe es nur drei oder vier Demonstrationen gegeben. »Für uns Palästinenser ist die Freie Syrische Armee unakzeptabel«, sagt Naef.

Wenige Meter weiter zweigt die Lubiastraße ab, bekannt für Geschäfte mit modernster Kleidung zu moderaten Preisen, erläutert Naef: »Aus ganz Damaskus kamen die Leute um hier einzukaufen«. Zum Eidfest, mit dem der Fastenmonat Ramadan endet, sei hier früher kein Durchkommen gewesen, so viele Leute seien die Straße entlangspaziert. »In diesem Jahr wird nichts sein«, ist Naef überzeugt. »Die Menschen haben kein Geld und auch keine Lust, sich neu und modisch einzukleiden.«

Vor dem Krankenhaus der Palästinensischen Befreiungsarmee steigt der 57jährige Ibrahim aus seinem Rettungswagen. Tag und Nacht sei er in den letzten Tagen im Einsatz gewesen, erzählt er. Dutzende Tote und Verwundete habe er aus den benachbarten Vierteln ins Krankenhaus transportiert. »Drei Männer waren tot, als wir sie einluden.« Mehrmals sei der deutlich mit dem Roten Halbmond gekennzeichnete Rettungswagen unter Beschuß geraten. »Die Kämpfer kümmern sich nicht darum, daß das verboten ist.« Nie habe es so etwas in ihrem Viertel gegeben, meint der Sanitäter und sieht sich um: »Heute ist es ruhig, und alles sieht normal aus. Aber wer weiß, vielleicht wird in zwei Stunden wieder irgendwo geschossen? Wir sehen die Spannung nicht, aber wir fühlen sie.«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 2. August 2012


Assad ruft zur »Entscheidungsschlacht«

Kämpfe um Aleppo gehen weiter / Ehemaliger syrischer Richter will Exilregierung bilden **

Reguläre syrische Streitkräfte und die regierungsfeindliche Freie Syrische Armee haben am Mittwoch ihre Kämpfe um Aleppo fortgesetzt. Auch in Damaskus gab es Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen und Regierungstruppen.

Im Kampf um die Wirtschaftsmetropole Aleppo hat der syrische Präsident Baschar al-Assad seine Truppen zur »Entscheidungsschlacht« gerufen. In einer schriftlichen Botschaft zum Tag der Armee lobte er die Militärangehörigen für ihre Ausdauer in der Bekämpfung »krimineller terroristischer Banden«. »Das Schicksal unseres Volkes und unserer Nation, ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hängen von dieser Schlacht ab«, hieß es in der Botschaft.

Verbände der Armee sollen in der Nacht zum Mittwoch in Aleppo mit Unterstützung der Luftwaffe den südwestlichen Bezirk Salaheddin angegriffen haben. Sie wurden von den Rebellen nach deren eigenen Angaben zurückgeschlagen. Am Vortag hatten die Aufständischen erklärt, zwei strategisch wichtige Sicherheitszentralen in der Nähe des Stadtzentrums eingenommen zu haben.

In Damaskus flammten am Mittwoch erstmals Kämpfe nahe der christlichen Altstadt auf. Die Schießereien ereigneten sich an den Rändern der Stadtteile Bab Tuma und Bab Scharki, teilten syrische Exilgruppen in London mit. Die Christen machen in Syrien etwa zehn Prozent der Bevölkerung aus. Da sie bisher in Syrien mit der muslimischen Mehrheitsbevölkerung gleichgestellt sind, beteiligen sie sich nicht am Aufstand gegen das Regime. Immer wieder äußern syrische Christen die Befürchtung einer Machtübernahme durch »Islamisten« im Falle des Sturzes von Assad.

Amnesty International hat in einem am Mittwoch veröffentlichten Bericht erklärt, dass eine »umfassende Unterdrückung durch das Assad-Regime in Aleppo zum bewaffneten Konflikt« geführt habe. Die Analyse stütze sich auf eigene Recherchen der Organisation, die sie im Mai vor Ort durchgeführt hatte. Es heißt darin unter anderem, dass Regierungstruppen und die diesen nahestehende Schabiha-Miliz damals noch friedlich protestierende Demonstranten tötete. Betroffen gewesen seien auch Unbeteiligte und Kinder.

Die UN-Generalversammlung hat am Dienstag über eine neue Syrien-Resolution beraten. Der ursprünglich von Saudi-Arabien eingebrachte Entwurf wendet sich gegen den Gebrauch von chemischen und biologischen Waffen, verurteilt die anhaltende Gewalt und ruft zu einem demokratischen Wandel auf. Diplomaten erwarten eine große Zustimmung unter den 193 UN-Mitgliedsländern. Eine Abstimmung wird allerdings nicht vor dem heutigen Donnerstag erwartet. Eine Resolution des Gremiums ist nicht bindend.

Der syrische Dissident und Rechtsanwalt Haitham al-Maleh hat am Dienstagabend bei einer Pressekonferenz in der ägyptischen Hauptstadt erklärt, ein neues Oppositionsbündnis habe ihn mit der Bildung einer syrischen Exilregierung mit Sitz in Kairo beauftragt. Er werde »mit allen Kräften der Opposition sprechen«, sagte Maleh. Der 81 Jahre alte ehemalige Richter saß aus politischen Gründen mehrfach im Gefängnis.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. August 2012


Legitim ja, auch hilfreich?

Von Roland Etzel ***

In der UNO-Vollversammlung soll heute ein weiteres Mal eine Syrien-Resolution zur Abstimmung stehen. Dem Staat Assads droht erneut eine Verurteilung, und vermutlich wieder mit großer Mehrheit. Das Verdikt gegen ihn und seine Politik wäre als legitim anzusehen und entsprechend zu respektieren, meinte man es ernst mit dem geschriebenen Völkerrecht. Doch es muss die Frage erlaubt sein, ob ein Spruch, wie er jetzt zu erwarten ist, tatsächlich das derzeit Mögliche zur Wiederherstellung von Frieden und Aussöhnung in Syrien ist.

Und da darf man zweifeln. Zwar könnte den Text selbst Assad unterschreiben, so allgemein wird darin »Gewalt« verurteilt, doch aus Nebenpassagen wird deutlich, dass sich diese Verurteilung allein gegen »staatliche Gewalt« richtet - nicht gegen Angriffe der Freischärler und auch nicht gegen den Waffennachschub für diese aus der Türkei.

Ist es nicht auch erlaubt zu fragen, wer die Resolution eingebracht hat und darin zum Beispiel »zur Demokratisierung des Landes« aufruft? In diesem Falle wäre es sogar Pflicht, denn einer der Einreicher ist ausgerechnet Saudi-Arabien. Das ist jenes mittelalterliche Regime, das weder Frauenwahlrecht noch Gewerkschaften oder Parteien zulässt, ohne die stützende US-Armee im Lande sofort in sich zusammenfiele, Panzer nach Bahrain und Dollars an Syriens Rebellen schickt, um mit derlei Sponsoring Gleichgesinnter die eigene Macht zu konservieren. Warum hat der deutsche Außenminister kein Bedürfnis, diese Fragen zu stellen?

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. August 2012 (Kommentar)

Syria: amid increase in violence, UN peacekeeping chief warns of ‘main battle’ in Aleppo

2 August 2012 – The United Nations peacekeeping chief today highlighted the ongoing fighting in the city of Aleppo, noting that UN observers continue to try to carry out their work as the “spiral of violence” throughout Syria increases.

“The focus two weeks ago was on Damascus. The focus is now on Aleppo, where there has been a considerable build-up of military means, and where we have reason to believe that the main battle is about to start,” the Under-Secretary-General for Peacekeeping Operations, Herve Ladsous, said. He added that the fighting continues in various locations, including the capital, Damascus.

Mr. Ladsous was addressing reporters after having briefed the Security Council on the situation on the ground in the Middle Eastern country, as called for in resolution 2059, which the Council adopted in late July.

The resolution extended the mandate of the UN Supervision Mission in Syria (UNSMIS) for another 30 days, and requested a report back to the 15-nation body on the text’s implementation within 15 days.

The resolution also indicated that further renewals to UNSMIS’ mandate would be possible only if it can be confirmed that the use of heavy weapons has ceased and a reduction in violence by all sides was sufficient to allow the Mission it to implement its mandate. With the 30-day extension, UNSMIS’ mandate is set to expire on 19 August.

“We have another 17 days to see whether something happens that will change the situation as was outlined by the resolution 2059,” Mr. Ladsous said.

“Beyond that, of course it will be for the Security Council to decide, but clearly – and I said so to the Council – the Secretary-General’s view is that the United Nations will have to somehow remain in Syria,” he added. “And this is what he is consulting about, in order to make a proposal to the Security Council in due course.”

Established in April, UNSMIS had suspended its regular patrols in mid-June due to the escalating violence, in which over 15,000 people, mostly civilians, have reportedly been killed and tens of thousands displaced since the uprising against President Bashar al-Assad began some 17 months ago. Over recent days, there have been reports of a build-up of forces and an escalation in violence in many towns and villages, as well as Aleppo and Damascus.

Half of the 300 of observers serving with UNSMIS were temporarily sent home in late July, in view of the constraints they faced, particularly in terms of security.

Despite the current limitations on their work, Mr. Ladsous said, the remaining observers continue to try to carry out their mandated tasks, within the framework of resolution 2059. Their tasks include monitoring the cessation of violence in Syria, as well as monitoring and supporting the full implementation of the six-point peace plan put forward by the Joint Special Envoy for the UN and the League of Arab States for the Syrian Crisis, Kofi Annan, who today announced his intention not to renew his mandate when it expires at the end of August.

“They [the observers] continue to try their best to monitor, to observe, to report. They did more than 50 patrols over the last two weeks, including some long-range patrols where they stayed overnight in places,” Mr. Ladsous said. “So they report, they inform us. And they try – wherever it’s possible – to mediate, to arrange local ceasefires, humanitarian pauses to allow civilian populations to withdraw from shelling areas.”

Earlier this week, UNSMIS observers reported an upsurge in the violence in the city of Aleppo, with helicopters, tanks and artillery being used.

“We know for a fact that the opposition does have heavy weapons – that we have seen. We have not yet seen the opposition using… those heavy weapons against Government forces. But we know that they have tanks, that they have armoured personnel carriers, etcetera – that’s a fact,” Mr. Ladsous said.

On Monday, the Office of the UN High Commissioner for Refugees (UNHCR) said it had received reports of around 200,000 people fleeing the fighting in Aleppo, with many of those people displaced within other parts of Syria, which has made humanitarian access to them difficult.

Source: UN News Centre, 2 August 2012; http://www.un.org


Security Council to meet on humanitarian side of Syrian crisis in August

2 August 2012 – With “military logic winning the day” in Syria and the United Nations observer mission there unlikely to be renewed, the Security Council will consider the plight of the three million Syrians in need of humanitarian aid, the Permanent Representative of France, which hold’s the body’s rotating presidency for August, said this afternoon.

“Some countries have drawn the conclusion that it’s over, that the Council is impotent on Syria. We would like to at least prove in the humanitarian arena, which is becoming more and more serious, that the Council can act,” Ambassador Gerard Araud told reporters at UN Headquarters in New York, in reference to reported divisions within the Council on taking concerted action on the crisis in the Middle Eastern country.

Addressing a regular monthly media briefing on the Council’s agenda, Ambassador Araud said that among other situations of concern to the Council, the conflicts in Sudan, South Sudan and Mali will also draw its attention in August, as will the end of transitional governing arrangements in Somalia, due to expire on 20 August.

The conflict in Syria, however, will continue to present an acute challenge to consensus on the 15-member body, Ambassador Araud said. He predicted that the Council would not reach agreement at its meeting on 16 August on extending the mandate of the United Nations Supervision Mission in Syria (UNSMIS).

Established in April, UNSMIS had suspended its regular patrols in mid-June due to the escalating violence, in which over 15,000 people, mostly civilians, have reportedly been killed and tens of thousands displaced since the uprising against President Bashar al-Assad began some 17 months ago.

In late July, the Council adopted resolution 2059, which extended UNSMIS’ mandate for another 30 days. The resolution also indicated that further renewals to UNSMIS’ mandate would be possible only if it can be confirmed that the use of heavy weapons has ceased and a reduction in violence by all sides was sufficient to allow the Mission it to implement its mandate. With the 30-day extension, UNSMIS’ mandate is set to expire on 19 August.

“The divisions in the Council are very deep. I think its irreconcilable in political terms,” he said, adding, “I think the mission will disappear on 19 August.”

The Council President also said that the 15-member body will hold a ministerial-level meeting on the humanitarian situation in Syria in August.

Source: UN News Centre, 2 August 2012; http://www.un.org




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