Widersprüchliche Signale
Syrien: Dissident begnadigt / Neuer Prozess gegen Regierungskritiker
Von Karin Leukefeld *
Nach siebenjähriger Haft kam in der syrischen Hauptstadt jetzt der ehemalige Dekan der
Volkswirtschaftlichen Fakultät an der Damaskus Universität Aref Dalila (66) frei.
Der Wirtschaftswissenschaftler Aref Dalila gilt als eine Symbolfigur des »Damaszener Frühlings«.
Nach dessen abruptem Ende wurde der frühere Dekan im Jahr 2002 verhaftet und wegen »illegal
angestrebter Verfassungsänderung, Aufruf zum bewaffneten Aufstand und der Verbreitung von
Falschinformationen« zu zehn Jahren Haft verurteilt. Nun wurde er nach Angaben einer syrischen
Nichtregierungsorganisation von Präsident Baschar al-Assad begnadigt.
Menschenrechtsorganisationen und Vertreter westlicher Staaten hatten sich mehrfach für seine
Freilassung eingesetzt.
Dalila hatte sich nach dem Amtsantritt von Baschar al-Assad im Jahr 2000 an der Gründung von
Gesprächsforen beteiligt, die in den Städten Syriens wie Pilze aus dem Boden geschossen waren.
Viele Syrer diskutierten damals über Wege und Möglichkeiten einer demokratischen Öffnung des
Landes und der Gründung neuer Parteien. Dalila hatte vor allem die Korruption angeprangert und
wirtschaftliche Reformen vorgeschlagen. Die im Westen als »Damaszener Frühling« bekannt
gewordene Phase wurde 2001 von syrischen Sicherheitskräften beendet. Die Diskussionszirkel, die
meist in Privatwohnungen stattgefunden hatten, wurden verboten, viele Personen festgenommen
und wie Dalila zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die öffentliche Diskussion über politische Änderungen
in Syrien war vorerst erstickt.
Kurz nach seiner Freilassung äußerte sich Dalila gegenüber Pressevertretern und sagte, er werde
weiter für seine Ideen eintreten. Seine Freilassung sei mit keinen Auflagen verbunden gewesen.
Ammar Qorabi von der Nationalen Organisation für Menschenrechte in Syrien erklärte, Präsident
Baschar al-Assad habe positiv auf den Aufruf reagiert, Dalila freizulassen. Man hoffe nach der
Freilassung auf mehr Freiheiten, sagte auch Mohannad al-Husni, der Vorsitzende der Organisation.
Nur wenige Tage vor der Freilassung von Aref Dalila waren allerdings erneut syrische
Reformaktivisten offiziell angeklagt worden. Die zwölf Personen wollten Ende 2007 einen Nationalen
Rat der »Erklärung von Damaskus« bilden, einen Reformzirkel verschiedener Gruppen, der erstmals
im November 2005 die syrische Regierung aufgefordert hatte, mehr Freiheiten im Land zuzulassen.
Unter den Angeklagten sind die Ärztin Fida Hourani, der Schriftsteller Ali Abdallah, der Arzt Walid
Bunni, der Schriftsteller Akram Bunni und der in Syrien sehr geschätzte ehemalige Abgeordnete
Riad Seif. In ihrer jetzt vor Gericht veröffentlichten Stellungnahme wiesen die Angeklagten alle
Beschuldigungen zurück und betonten, nicht gegen, sondern gerade für die nationalen Interessen
Syriens zu handeln. Sie wollten ihre »Heimat verteidigen« und hätten ihre politischen Ansichten
öffentlich vertreten und nicht in einer »Geheimorganisation einen Umsturz geplant«, wie es in der
Anklageschrift heißt.
Die Nationale Organisation für Menschenrechte in Syrien forderte die sofortige Freilassung der
Angeklagten und die Einstellung des Verfahrens. Die syrische Regierung müsse einen Weg der
nationalen Versöhnung einschlagen und die Rechte der Bürger auf freie Meinungsäußerung
schützen, die in der Verfassung und dem Internationalen Pakt für Menschenrechte garantiert seien.
Beobachter internationaler Anwalts- und Menschenrechtsorganisationen verfolgten den ersten
Prozesstag in Damaskus ebenso wie Angehörige ausländischer Botschaften. Das Verfahren könnte
sich jedoch noch einige Zeit hinziehen: Das Gericht vertagte sich auf den 26. August.
* Aus: Neues Deutschland, 18. August 2008
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