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USA wollen Rebellen Waffen liefern

Obama: Assads Armee hat Giftgas eingesetzt / Syriens Regierung dementiert Vorwurf

Von Karin Leukefeld *

US-Präsident Obama hat am Donnerstagabend erklärt, sein Geheimdienst verfüge über Beweise, dass die syrische Armee Giftgas eingesetzt habe. Deshalb werde man jetzt die Rebellen militärisch unterstützen. Syriens Regierung wies die Behauptung Obamas zurück. Außerdem, so Damaskus, rüsteten die USA die Regierungsgegner schon lange auf.

Die US-Administration will nun offenbar auch offiziell in den Krieg in Syrien eingreifen. Der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater für Strategische Kommunikation, Ben Rhodes, erklärte am Donnerstag, Präsident Obama sei den Erkenntnissen des US-Geheimdienstes gefolgt, wonach die syrische Armee im vergangenen Jahr mehrmals chemische Waffen eingesetzt habe. Dabei seien 100 bis 150 Menschen getötet worden, sagte Rhodes. Das Nervengas Sarin sei eingesetzt worden. Die syrische Armee habe damit eine »rote Linie« überschritten, Washington werde den Aufständischen fortan Waffen liefern. Um welche Art von Waffen es sich handeln könnte und um welche Mengen, wollte Rhodes nicht sagen. Man wolle die Effizienz der Aufständischen stärken und werde sich nach deren Bedürfnissen richten, sagte er. Einzelheiten würden im Kongress besprochen.

Der Oberkommandierende des Militärrates der »Freien Syrischen Armee«, General Salim Idris, begrüßte im Emiratesender Al Arabija die Pläne zur Militärhilfe, er hoffe auf rasche Umsetzung. Ähnlich äußerte sich der Interimsvorsitzende der Nationalen Koalition, George Sabra. Diese vom Westen als »legitime Vertretung des syrischen Volkes« anerkannten Gruppen fordern Flugverbotszonen im Norden und Süden Syriens und schweres Geschütz wie Luftabwehr- und Anti-Panzerraketen.

Das syrische Außenministerium wies die Vorwürfe aus Washington zurück. Der angebliche Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Armee sei eine »Lüge«, die auf »gefälschten Informationen« basiere, zitierte die syrische Nachrichtenagentur SANA einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter des Ministeriums. Die angeblichen Beweise sollten nur dazu benutzt werden, um die Bewaffnung der Aufständischen zu rechtfertigen. Dabei habe selbst Washington die Nusra-Front, die auf der Seite der Aufständischen kämpfe, auf die Liste terroristischer Organisationen gesetzt. Vor wenigen Tagen erst hatte die Nusra-Front sich mit einem Massaker an bis zu 60 Menschen im Osten Syriens gebrüstet. Der syrische Botschafter in Moskau warf der US-Administration vor, die Aufständischen »schon lange« mit Waffen aufzurüsten.

Das russische Außenministerium kritisierte, zusätzliche Waffenlieferungen nach Syrien würden das Blutvergießen noch verschlimmern. Moskau halte an der geplanten Friedenskonferenz fest. »Die Amerikaner haben versucht, uns Informationen über einen Einsatz chemischer Waffen durch das Regime in Damaskus vorzulegen. Ich sage ganz offen: Das Vorgebrachte überzeugt uns nicht«, sagte Juri Uschakow, Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Wie Uschakow zog auch Alexej Puschkow, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Duma eine Parallele zu gefälschten »Beweisen« über angebliche Massenvernichtungswaffen in Irak 2003. Obama schlage den gleichen Weg ein, wie sein Vorgänger Bush, so Puschkow.

Obama, der Friedensnobelpreisträger von 2009 hatte Anfang Februar seinen neuen Außenminister John Kerry damit beauftragt, gemeinsam mit Moskau eine Syrien-Konferenz für Anfang Juli vorzubereiten. Dafür war er unter enormen Druck der Republikaner aber auch von arabischen Verbündeten geraten. Hintergrund der aktuellen Entscheidung Obamas dürfte der militärische Rückschlag sein, den die Aufständischen kürzlich in Qusayr erlitten hatten.

Bereits am Dienstag hatten sich der französische Außenminister Laurent Fabius und sein saudischer Amtskollegen Saud al-Faisal in Paris auf verstärkte Waffenhilfe verständigt. Militärische Erfolge sind für die heillos zerstrittene Opposition wichtig, um bei Verhandlungen mit der syrischen Regierung Forderungen stellen zu können. Beobachter vermuten die Vorbereitung einer Offensive von der jordanischen Grenze aus, um gegen die syrische Armee eine zweite Front nahe der Hauptstadt Damaskus zu eröffnen.

Die Bundesregierung hat sich am Freitag zurückhaltend geäußert. »Wir nehmen die Entscheidung der USA mit Respekt zur Kenntnis«, sagte der Sprecher des Auswärtigen Amts, Andreas Peschke. Er stellte zugleich klar, dass Deutschland keine Waffen nach Syrien liefern werde, um die Aufständischen dort zu unterstützen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 15. Juni 2013

Erklärung

Obama überschreitet rote Linie

Die USA tun es wieder: 2003 wurde der Irak-Krieg mit einer Biowaffenlüge begonnen. Jetzt konstruiert sich Obama einen Kriegsgrund für Syrien. Die Beweislage ist dünn, ganz dünn. Vor allem gibt es keinen Beweis dafür, dass ein möglicher Einsatz von Chemiewaffen von Assads Seite durchgeführt wurde.

Selbst wenn tatsächlich Giftgas in Syrien eingesetzt wurde, bleibt völlig offen, von wem. Die Behauptung, nur Assad kontrolliere diese Waffen, ist sehr weit hergeholt. Seit der Warnung Obamas vor der ›roten Linie‹ müssen wir doch damit rechnen, dass Rebellen alles daran setzen, einen Chemiewaffenangriff vorzutäuschen oder gar selbst auszulösen, um damit einen Kriegseintritt der USA zu provozieren. Deshalb ist es richtig, dass die Syrien-Kommission der UNO immer darauf hinweist, dass es nicht möglich sei, die Täter festzustellen.

Militärisch macht der Einsatz von kleinsten Mengen Giftgas überhaupt keinen Sinn. Einzelne Giftgranaten bringen taktisch in einem Gefecht kaum messbare Vorteile, während ihr Einsatz strategisch mit dem großen Risiko behaftet ist, dass die USA militärisch eingreifen. Ein Einsatz einzelner Chemiegranaten durch die Assad-Truppen wäre deshalb im höchsten Maße irrational.

Jan van Aken, Vizevorsitzender der LINKEN und ehemaliger Biowaffeninspektor bei den Vereinten Nationen.



Obama laviert

US-Säbelrasseln zur Ablenkung

Von Rainer Rupp **


Die jüngste Erklärung der US-Geheimdienste, die Asssad-Regierung habe in Syrien Giftgas eingesetzt, basiert – wie aus der offiziellen Erklärung des Weißen Hauses durchschimmert – nicht auf neuen Tatsachen, sondern offensichtlich auf einer politisch motivierten Neubewertung der alten Fakten. Alexei Puschkow, Chef des Auswärtigen Ausschusses der russischen Staatsduma, hat daher mit seiner Aussage recht, daß die neuen Beweise der US-Regierung »an derselben Stelle fabriziert« worden sind, wie die »Lügen« über die Massenvernichtungswaffen des Irak.

Das Motiv für die Eskalation der Syrien-Krise durch die Obama-Administration ist in der US-Innenpolitik zu finden. Wegen der ständig neuen Enthüllungen über das unglaubliche Ausmaß der illegalen elektronischen Ausspionierung der amerikanischen Bevölkerung ist Obama unter enormem öffentlichen Druck. Sogar Forderungen nach einem Verfahren zur Absetzung des Präsidenten sind bereits laut geworden. Wie in dem Film »Wag the Dog« hilft zur Ablenkung nur noch ein guter Krieg.

Dennoch ist das vom Weißen Haus sicherlich beabsichtigte Mediengetöse stark übertrieben. In der offiziellen Erklärung wird lediglich angekündigt, daß die Rebellen von nun an direkt mit US-Waffen versorgt würden. Die haben die Rebellen schon vorher bekommen, wenn auch auf anderen Wegen. Dagegen wird die von den Medien heiß diskutierte Flugverbotszone gar nicht erwähnt, auch nicht verklausuliert. Insgesamt geht aus dem Text des Weißen Hauses hervor, daß Obama weiterhin sehr vorsichtig laviert. Etwas anderes bleibt ihm auch nicht übrig.

Fakt ist, daß die militärischen Optionen der USA in Syrien im Unterschied zu Libyen in vielfacher Weise begrenzt sind: durch die militärischen Kapazitäten des Landes (ballistische Boden-Boden-Raketen, Flugabwehr und Küstenverteidigung) und durch die russische Militärpräsenz vor der Küste. Besonders heikel ist jedoch die entscheidende Übermacht der Dschihadisten in den bis zu 2000 Rebellengruppen. Sie macht deren Unterstützung mit modernen US-Waffensystemen höchst problematisch. Sollten diese in die Hände der Gotteskrieger fallen, werden sie früher oder später gegen westliche Ziele gerichtet. Auch vor diesen Gefahren wird in der offiziellen Erklärung des Weißen Hauses gewarnt, wenn auch verklausuliert.

Seinem eigentlichen Ziel einer prowestlichen, schlagkräftigen Rebellenstreitkraft, die die Dschihadisten isoliert und später in Damaskus als Marionettenregierung US-Interessen umsetzt, wird Washington auch durch seine jüngste Entscheidung nicht näherkommen.

** Aus: junge welt, Samstag, 15. Juni 2013 (Kommentar)


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