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Nehmen und Geben

USA erklären sich zur Vernichtung chemischer Kampfstoffe Syriens bereit. Aufständische "Freie Syrische Armee" will vor Genf-II-Gesprächen mehr Munition

Von Karin Leukefeld *

Foto: REUTERS/The U.S. Army Edgewood Chemical Biological Center/Handout Die US-Regierung hat ihre Unterstützung bei der Zerstörung syrischer Chemiewaffen zugesagt. Der Leiter der Organisation zum Verbot chemischer Waffen (OPCW), Ahmet Uzumcu, teilte am Wochenende in Den Haag mit, daß die USA 500 Tonnen der gefährlichsten Kampfstoffe – Senfgas, VX und Sarin – auf einem speziell ausgerüsteten Schiff »neutralisieren« würden. Der chemische Vorgang wird als Hydrolyse bezeichnet, wobei die Kampfstoffe mit Wasser zersetzt werden. Das Schiff werde voraussichtlich in »neutralen Gewässern im Mittelmeer« operieren, die Kosten würden von Washington übernommen, sagte Uzumcu. Derzeit werde ein Marineschiff mit der notwendigen Ausrüstung ausgestattet, darunter auch Anlagen, mit denen die OPCW die Zersetzung der Kampfstoffe dokumentieren kann, erklärte ein Sprecher der Organisation, ohne den Namen des Schiffs zu nennen. Zusätzlich wird ein Hafen in der Region benötigt, der die Kapazität hat, den anfallenden giftigen Abfall zu entsorgen.

Die UN-Sicherheitsrats-Resolution Nr. 2118 zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffenbestände sieht vor, daß die chemischen Kampfstoffe bis zum 31. Dezember 2013 aus Syrien abtransportiert sein müssen. Um die Resolution fristgerecht zu erfüllen, hatte die OPCW den Auftrag Mitte November für Privatfirmen ausgeschrieben, die eine besondere Zertifizierung vorweisen müssen. Bisher sollen 35 private Firmen Interesse an dem lukrativen Auftrag angemeldet haben. 28 von ihnen hätten demnach ein offizielles Angebot vorgelegt, die rund 800 Tonnen chemischer Substanzen und 7,7 Millionen Liter flüssigen giftigen Abfalls in kommerziellen Verbrennungsanlagen zu vernichten. Insgesamt müssen 1290 Tonnen giftiger Substanzen aus dem syrischen Chemiewaffenarsenal sowie mehr als 1000 leere Sprengköpfe, Raketen und Granaten bis Mitte 2014 zerstört werden.

Derweil bringen sich die syrischen Parteien für die Genf-II-Gespräche in Stellung, die UN-Generalsekretär Ban Ki Moon für den 22. Januar 2014 angekündigt hat. Bei offiziellen bilateralen Regierungsgesprächen zwischen Syrien und Iran sagte Teheran seine Unterstützung für den Wiederaufbau des Landes zu und betonte das Recht Syriens auf Selbstbestimmung beim zukünftigen politischen Umbau. Der Erfolg bei den Genf-II-Gesprächen hänge davon ab, ob »die Finanzierung der Terroristen« in Syrien eingestellt werde, hieß es.

Der stellvertretende Außenminister Faisal Mekdad betonte im libanesischen Nachrichtensender Al-Mayadeen, die syrische Regierungsseite gehe im Auftrag von Präsident Baschar Al-Assad nach Genf, um mit Syrern über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit zu sprechen. Er hoffe, dort einer syrischen Opposition zu begegnen, die den Ernst der Lage erkennt und sich nicht wie Befehlsempfänger Katars, Saudi-Arabiens, der Türkei, der USA, Großbritanniens oder anderer Staaten verhält. Mekdad bestätigte, daß aus verschiedenen europäischen Staaten inoffizielle Delegationen nach Damaskus gekommen seien, um sich über die Beteiligung ihrer Staatsbürger am islamistischen Aufstand zu informieren. Gegen den Terrorismus sei Syrien bereit, auch mit solchen Staaten zu kooperieren, die sich in den vergangenen zwei Jahren feindlich gegenüber dem Land verhalten hätten.

Die vom Westen als alleinige Vertretung der Syrer anerkannte oppositionelle Nationale Koalition sendet derweil widersprüchliche Signale über ihre Teilnahme an den Gesprächen in Genf aus. Verschiedene Vertreter der Koalition fordern per Presseerklärung weiterhin, daß Präsident Assad im zukünftigen politischen Prozeß keine Rolle spielen dürfe. George Sabra, der Vorsitzende des Syrischen Nationalrates, einer Fraktion innerhalb der Koalition, lobte die fortgesetzten Angriffe von Kämpfern im Umland von Damaskus und forderte die Teilnahme von FSA-Kampfverbänden an den Genf-II-Gesprächen. General Selim Idriss, Oberkommandierender der »Freien Syrischen Armee«, erklärte, man werde auch während der Genf-II-Gespräche weiterkämpfen. Was »unsere Position als Kämpfer stärkt«, so Idriss, »sind Waffen und Munition«.

* Aus: junge Welt, Montag, 2. Dezember 2013


Ein Schiff für Assads C-Waffen-Arsenal

Noch braucht Washington das Regime in Damaskus – die USA werden syrische Kampfstoffe vernichten

Von René Heilig **


Die USA werden entgegen früherer Bekundungen nun doch syrische Chemiewaffen zerstören. Ein Schiff, das dabei zum Einsatz kommen soll, wird derzeit umgerüstet.

Bis Mitte 2014 soll das syrische C-Waffen-Arsenal vollständig vernichtet sein. So verlangt es eine UNO-Resolution. Doch bis vor kurzem willigte kein Land ein, die tödlichen Kampfstoffe zu transportieren und zu zerstören. Nun haben sich die USA dazu bereiterklärt, einen Teil der syrischen Bestände unschädlich zu machen.

»Zurzeit wird ein geeignetes Marineschiff technisch umgerüstet, um die Operation zu unterstützen und die Kontrollen der OPCW zu ermöglichen«, erklärte der Generaldirektor der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen, Ahmet Üzümcü. Bis zum 31. Dezember sollen rund 1300 Tonnen Giftstoffe für Waffen und deren Vorprodukte aus Syrien abtransportiert werden.

Laut OPCW ist das gesamte C-Waffen-Arsenal Syriens unter Verschluss. Zudem wurden alle Produktionsstätten unbrauchbar gemacht. Nun will man als ersten Schritt ein sogenanntes Hydrolyseverfahren nutzen. Dabei werden Kampfstoffe wie Senfgas durch den Kontakt mit Wasser gespalten. Die USA haben auf diese Weise bereits C-Waffen in den 1990er Jahren auf dem Johnston-Atoll im Pazifik vernichtet. Doch der nun zu bewältigende Umfang setzt doch neue Maßstäbe. Nervengifte wie Sarin sollen später in speziellen Anlagen verbrannt werden.

Rund 800 Tonnen Chemikalien, darunter auch Stoffe für die industrielle Produktion, sollen in kommerziellen Unternehmen weltweit vernichtet werden. Nach Angaben der OPCW hätten 35 Firmen ihr Interesse an der Vernichtung weniger gefährlicher Substanzen bekundet. Die Unternehmen würden nun überprüft, um zu gewährleisten, dass sie alle Sicherheits- und Umweltrichtlinien erfüllten, sagte OPCW-Generaldirektor Üzümcü. Seine Organisation hat einen Fonds aufgelegt, mit dem die Vernichtung dieser Industriechemikalien und 7,7 Millionen Liter Abwässer finanziert werden soll. Er appellierte an die 190 OPCW-Mitgliedsländer, Geld bereit zu stellen.

Zuletzt war die Suche nach einem Land, das sich zur Zerstörung der syrischen Kampfstoffe bereiterklärt, festgefahren. Belgien und Deutschland winkten ab, sogar die Regierung Albaniens hatte nach Protesten in der Bevölkerung den USA die sonst übliche Gefolgschaft versagt. Das Land hatte bis 2007 mit einer deutschen Anlage und Personal sowie mit US-Finanzhilfe seine C-Waffen vernichtet.

Doch die Zeit drängt nicht nur wegen der UN-Resolution. Syrien zerfällt derzeit in mehrere flexible Herrschaftsbereiche. Um die C-Waffen sicher aus dem Bürgerkriegsland zu bringen – ohne selbst mit Truppen hineinzugehen – braucht der Westen die Hilfe des umstrittenen Präsidenten Bashar al-Assad. Was dessen Position aufwertet. Andererseits hofft man, dass Friedensverhandlungen in Gang kommen, die zur Ablösung Assads führen. Noch scheint das Regime handlungsfähig. Seine Streitkräfte starteten eine Offensive im Norden der Provinz Aleppo.

** Aus: neues deutschland, Montag, 2. Dezember 2013


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