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Wie gefährlich sind Assads Waffenarsenale?

Vor allem die Bestände an chemischen und biologischen Kampfstoffen sorgen international für Beunruhigung

Von Wolfgang Kötter *

Angesichts der eskalierenden Kämpfe zwischen den syrischen Regierungstruppen und den Aufständischen wächst international die Besorgnis, dass die im Land gelagerten Waffen und Vernichtungsmittel in falsche Hände geraten. Nicht nur die reguläre Armee, sondern auch extremistische Kräfte oder Terroristen könnten mit ihnen die Zahl der nach UN-Angaben bisher 17 000 Todesopfer um ein Vielfaches erhöhen und verheerenden Schaden anrichten.

Ende vergangener Woche verabschiedete die UNO-Vollversammlung in New York eine von der arabischen Staatengruppe eingebrachte Resolution, in der sie die unverzügliche Beendigung des Konflikts und die Einstellung aller bewaffneten Gewalt fordert. Gleichzeitig ermahnt die mit 133 gegen 12 Stimmen bei 31 Enthaltungen angenommene Entschließung die Regierung zur Sicherung der Bestände an chemischen und biologischen Waffen. Damaskus müsse sich strikt an seine völkerrechtlichen Verpflichtungen halten, diese Waffen dürften nicht angewendet oder nichtstaatlichen Akteuren überlassen werden. Zwar ist Syrien bisher der Konvention zum Verbot chemischer nicht beigetreten und hat die Bio-Waffen-Konvention zwar unterzeichnet aber nicht ratifiziert, gehört aber dem Genfer Protokoll von 1925 an, das die Anwendung chemischer Giftgase und bakteriologischer Kriegsmittel untersagt. Der Sprecher des syrischen Außenministeriums, Jihad Makdissi, sagte dazu: „Die syrische Regierung würde unter gar keinen Umständen Massenvernichtungswaffen gegen das syrische Volk oder gegen Zivilisten einsetzen. Solche Waffen sind allein dazu gedacht, um im Falle eines Angriffs von außen auf Syrien benutzt zu werden.“

Gefüllte Chemiewaffendepots

Obwohl keine offiziellen Mengenangaben existieren, hat die Regierung damit jetzt erstmals eingeräumt, chemische und biologische Kampfstoffe zu besitzen. Experten zählen Syrien zu den Staaten mit den weltweit größten Beständen an einsatzbereiten Giftgasen. Das syrische Chemiewaffenarsenal entstand zunächst während des Jom-Kippur-Krieges von 1973. Um einen befürchteten Einsatz israelischer Massenvernichtungswaffen abzuschrecken, lieferte Ägypten damals seinem Verbündeten mit chemischen Kampfstoffen gefüllte Artilleriegeschosse und Bomben. Später betrieb Damaskus dann ein eigenes geheimes militärisches Forschungsprogramm für Chemiewaffen.

Unterstützung erhielt Syrien dabei aus der Sowjetunion, Frankreich, dem Iran und auch aus der alten Bundesrepublik. Geliefert wurden Ausrüstungen wie Hochtemperaturpumpen und säurefeste Geräte für die Produktion chemischer Kampfstoffe. Kolben und Rohre aus hochwertigem Borsilikat kamen aus den Schott Glaswerken in Landshut, andere deutsche Firmen lieferten Edelstahlbehälter und Spezialwerkzeuge. So gelang es Syrien relativ schnell, vergleichsweise große Mengen an chemischen Kampfstoffen herzustellen und einzulagern. Expertenschätzungen zufolge enthält das syrische Chemiewaffenarsenal hauptsächlich in den Lagerstätten wenige km südlich der Stadt Homs und östlich von Damaskus, aber auch nahe Hama und bei dem Dörfchen al-Safira in der Region Aleppo 500 bis 1 000 Tonnen Senfgas, die Nervengase Sarin und Tabun sowie begrenzte Mengen des extrem giftigen VX-Kampfstoffs. Als potentielle Trägermittel stehen etwa 250 moderne nordkoreanische Scud-Mittelstreckenraketen bereit. Der Iran half dabei, das syrische Potenzial von rund 100 alten sowjetischen SS-21-Raketen zu modernisieren. Schließlich verfügt Syrien auch über verschiedene Flugzeugtypen, deren Reichweite groß genug ist, um ohne aufzutanken Ziele in ganz Israel zu erreichen. Sie könnten sogar größere Lasten mit höherer Genauigkeit und über weitere Distanzen abwerfen als die Raketen.

Offene Fragen zum Nuklearprogramm

Auch auf nuklearem Gebiet erregen die Aktivitäten Syriens Misstrauen nicht nur unter den Nachbarn. Die Internationale Atomenergieorganisation IAEA schickte mehrfach Inspektoren, um zuverlässige Informationen zu erlangen. Von besonderem Interesse für die IAEA-Inspektoren sind drei vermeintliche Nuklearanlagen in den Orten Marj as-Sultan, Masyaf und Iskandariyah. Bereits seit längerem kursieren Gerüchte, Damaskus versuche dort heimlich, die Fähigkeit zur Herstellung nuklearer Sprengsätze zu erlangen.

Syrien gehört zu den Erstunterzeichnern des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages aus dem Jahre 1968. Darin verzichtet das Land auf Atomwaffen, verpflichtet sich zur ausschließlich friedlichen Kernenergienutzung und öffnet seine Nuklearanlagen und -aktivitäten für Kontrollen durch die IAEA. Dem Zusatzprotokoll, das erweiterte Inspektionsmöglichkeiten und auch unangemeldete Verdachtskontrollen vorsieht, ist Damaskus bisher allerdings ferngeblieben. Nachdem ein ambitioniertes Atomprogramm aus den 1980er Jahren wegen mangelnder Erfolgsaussichten aufgegeben wurde, startete Damaskus zu Beginn dieses Jahrhunderts ein neues Reaktorprojekt mit Teheran und Pjöngjang. Bereits 2002 trafen die ersten Lieferungen aus Nordkorea ein – spezielles Baumaterial, aber auch entsprechende Wissenschaftler und Techniker. Diese Aktivitäten wurden zwar international registriert, erregten aber zunächst keinen Argwohn. Misstrauen rief jedoch ein Vorfall im Herbst 2006 hervor. Damals wurde ein unter panamaischer Flagge fahrendes Schiff, das in Nordkorea beladen worden war, auf seiner Route nach Syrien durch zypriotische Behörden gestoppt und durchsucht. Die Frachtpapiere lauteten auf „meteorologisches Gerät“, tatsächlich hatte der Frachter aber unter anderem mobile militärische Ausrüstungsgeräte an Bord.

Israel beließ es nicht bei Misstrauensbekundungen. Am 6. September 2007 bombardierten sieben israelische F-15-Jagdbomber eine Anlage in el-Kibar am Oberlauf des Euphrats. Israel begründete die Aktion mit der Behauptung, der mit iranischem Geld finanzierte und mit nordkoreanischer Technologie erbaute Gas-Grafit-Reaktor sollte Plutonium zum Bau von Atomwaffen produzieren. Die IAEA schickte dann im Juni 2008 Kontrolleure nach Syrien, um den zerstörten Bau zu inspizieren. Die Trümmer der bombardierten Anlage waren allerdings bereits weggeschafft, vergraben und einbetoniert worden. Auf dem Fundament stand inzwischen eine neu errichtete Halle. Dennoch wurden Uranspuren nicht-natürlicher Herkunft gefunden, woher sie stammten, konnte nicht festgestellt werden. Die Inspektoren zweifeln die syrische Erklärung an, das Uran sei durch israelische Waffen auf das Gelände gelangt. Die chemische Beschaffenheit stimme nicht mit dem überein, was bei uranhaltiger Munition zu erwarten sei. Laut IAEA hat Syrien niemals deklariert, solches Uran zu besitzen, wie es in den Proben gefunden wurde. Viele Fragen der Inspektoren bleiben bis heute unbeantwortet.

Nichtmitglieder der C-Waffen-Konvention:

Ägypten, Angola, Israel, KDVR, Myanmar, Somalia, Südsudan, Syrien.


Protokoll über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege (unterzeichnet in Genf am 17. Juni 1925, Auszug)

In der Erwägung, dass der Gebrauch von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von allen derartigen Flüssigkeiten, Stoffen oder Verfahrensarten im Kriege mit Recht in der allgemeinen Meinung der zivilisierten Welt verurteilt worden ist,

in der Erwägung, dass das Verbot eines solchen Gebrauches in den Verträgen ausgesprochen worden ist, an denen die meisten Mächte der Welt beteiligt sind,

in der Absicht, in der ganzen Welt zur Anerkennung zu bringen, dass dieses Verbot, das sich dem Gewissen und dem Handeln der Nationen gleichermaßen aufdrängt, dem Völkerrecht einverleibt ist,

erklären die unterzeichneten Bevollmächtigten im Namen ihrer Regierungen:

Die hohen vertragschließenden Teile anerkennen dieses Verbot, soweit sie nicht schon Verträge geschlossen haben, die diesen Gebrauch untersagen. Sie sind damit einverstanden, dass dieses Verbot auch auf die bakteriologischen Kriegsmittel ausgedehnt werde, und kommen überein, sich untereinander gemäß dem Wortlaute dieser Erklärung als gebunden zu erachten. (...)


Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Zusammenfassung der Hauptbestimmungen)

Artikel I
Die Kernwaffenstaaten verpflichten sich, Kernwaffen an niemanden weiterzugeben und Nichtkernwaffenstaaten weder zu unterstützen noch zu ermutigen, Kernwaffen herzustellen oder zu erwerben.

Artikel II
Die Nichtkernwaffenstaaten verpflichten sich, Kernwaffen nicht herzustellen oder zu erwerben.

Artikel III
Kontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) auf der Grundlage individueller Abkommen.

Artikel IV
Recht auf Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke. Verpflichtung zum Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie.

Artikel V
Recht auf überirdische friedliche Kernexplosionen (obsolet, da aus Umweltgründen keine mehr durchgeführt werden).

Artikel VI
Verpflichtung zu Verhandlungen über Beendigung des nuklearen Wettrüstens, nukleare Abrüstung sowie allgemeine und vollständige Abrüstung unter internationaler Kontrolle.

Artikel VII
Recht zur Bildung kernwaffenfreier Zonen.

Artikel VIII
Bestimmungen für Vertragsänderungen.

Artikel IX
Unterzeichnungs- und Ratifikationsbestimmungen.

Artikel X
Bei Gefährdung der höchsten Landesinteressen Recht auf Rücktritt nach dreimonatiger Kündigungsfrist.



* Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien im "neuen deutschland vom 8. August 2012




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