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Chemiker mit heißem politischen Auftrag

Ab nächste Woche sollen UN-Inspekteure C-Waffen-Einsatz in Syrien untersuchen

Von Roland Etzel *

Die Vereinten Nationen schicken ein Chemiewaffen-Expertenteam nach Syrien. Die Mission werde »sobald wie möglich« in das Bürgerkriegsland aufbrechen, teilten die UN am Mittwochabend in New York mit.

Das politische Tauziehen um die syrischen Chemiewaffen geht seit Mittwochabend von der propagandistischen in die konstruktive Phase über, was ohne Zweifel ein Fortschritt ist. Seit diesem Zeitpunkt steht fest, dass ein Team von Chemiewaffen-Experten der Vereinten Nationen definitiv nach Syrien kommen kann und dort an drei vereinbarten Orten untersuchen wird, ob chemische Kampfstoffe eingesetzt wurden. Das ist nach Auskunft von einschlägigen Fachleuten relativ leicht festzustellen; um so schwieriger ist es, die Urheber zu benennen – überflüssig zu erwähnen, dass sich beide Lager des syrischen Bürgerkrieges gegenseitig des Einsatzes international geächteter C-Waffen beschuldigen.

Die syrische Regierung hatte sich lange geweigert, überhaupt neutrale Inspekteure ins Land zu lassen. Auch als Präsident Baschar al-Assad im April nach Einrede aus Moskau nachgab, schien der Beginn einer entsprechenden Mission zu scheitern, diesmal weil die Inspekteure ungehinderte Bewegungsfreiheit im ganzen Lande verlangten, was ihnen das syrische Militär nicht zugestehen wollte. Es tat damit den Rebellen ungewollt einen Gefallen, denn auch die hatten kein Interesse, dass Außenstehende eventuell Einblick in ihre Bewaffnung, Nachschubwege und sonstige geheimen Details bekommen.

An diesem Punkt sollen erneut russische Diplomaten Einfluss genommen haben, diesmal auf die UN-Seite. Der Kompromiss lautet nun: Es werden drei Orte untersucht. Zuerst geht es in die nordöstliche Stadt Chan al-Assal. Dort sollen Rebellen mit Giftgas hantiert haben. Russische Spezialisten haben der UNO im Juni Material übergeben, das diesen Vorwurf beweisen soll. Nach deren inoffizieller Meinung haben die Assad-Gegner geächtete chemische Komponenten allerdings nicht im Kampf ein-, sondern eher freigesetzt, um damit ein Eingreifen der NATO auf ihrer Seite zu provozieren. Sei's drum. Das syrische Militär zeigte Journalisten vor zwei Wochen Chemikalien und entsprechende Geschosse mit saudi-arabischer Beschriftung.

Die Assad-Gegner erwirkten im Gegenzug Inspektionen in Atajbah bei Damaskus und der drittgrößten Stadt Homs, wo das Militär Nervengas eingesetzt haben soll. Dort wollen Franzosen im Auftrag der Pariser Zeitung »Le Monde« Untersuchungen angestellt haben. Zum Teil beruft man sich auch auf Befragungen in türkischen Flüchtlingslagern. Paris übergab das Material UN-Gremien. Jetzt heißt es zu warten – erst auf die Inspekteure, dann auf deren Ergebnisse. Laut UN-Diplomaten wird das Expertenteam in Europa zusammengestellt und nächste Woche nach Damaskus fliegen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 2. August 2013


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