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Lange Ankunft einer UN-Mission

In Damaskus verhandeln Chemiewaffen-Spezialisten mit der Regierung über Untersuchungen

Von Karin Leukefeld, Damaskus **

Im syrischen Bürgerkrieg sind nach Angaben der Vereinten Nationen mittlerweile mehr als 100 000 Menschen getötet worden. Diese Zahl nannte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Donnerstag in New York, wo er neue Anstrengungen für eine Friedenskonferenz forderte.

Die Vereinten Nationen unternehmen erste Schritte für Chemiewaffen-Inspektionen in Syrien. Spezialisten erkunden derzeit die politischen und technischen Rahmenbedingungen für eine offizielle Mission. Eine sogenannte »UN-Mission zur Untersuchung von Vorwürfen, dass chemische Waffen in Syrien eingesetzt wurden«, war am Mittwoch zu einem Arbeitsbesuch in Damaskus eingetroffen. Es handelt sich um die UN-Abrüstungsbeauftragte Angela Kane und den schwedischen Giftgasexperten Åke Sellström. Für den frühen Donnerstagabend war ein Treffen mit dem syrischen Außenminister Walid Mouallim vorgesehen.

Sellström war Anfang Juni von der syrischen Regierung zu Gesprächen eingeladen worden. Die im April vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Mission war auf Antrag der syrischen Regierung eingesetzt worden. Damaskus hatte im März eine UNO-Untersuchung über den möglichen Einsatz von Waffen mit chemischen Substanzen in dem Ort Khan al-Assal gefordert und die Ergebnisse eigener Recherchen der UNO zur Verfügung gestellt. Die Regierung beschuldigt Aufständische, Giftgas eingesetzt zu haben. Die weisen das zurück.

Eine UN-Inspektion war bisher nicht zum Einsatz gekommen, weil es Unstimmigkeiten über deren Untersuchungsauftrag gab. Damaskus will dem Team ausschließlich den Zugang zu Khan al-Assal ermöglichen, wo im März chemische Kampfstoffe eingesetzt worden sein sollen. Frankreich und Großbritannien dagegen fordern eine umfassende Mission zur Untersuchung im ganzen Land. Das schlösse den Zugang zu militärischen Sicherheitsbereichen ein. Damaskus wies dieses Ansinnen zurück. Seitdem wartet die Mission auf neue Entscheidungen. Unbestätigten Berichten zufolge liegen der UNO 13 Fälle angeblichen Chemiewaffeneinsatzes in Syrien vor.

Ein russisches Expertenteam hatte Anfang dieses Monats eigene Proben in Khan al-Assal genommen und untersucht und einen Bericht darüber den Vereinten Nationen übergeben. Moskaus Experten waren zu dem Ergebnis gekommen, dass die Aufständischen einen mit chemischen Substanzen gefüllten Sprengkopf auf eine selbst gebaute Rakete montiert und auf Khan al-Assal gefeuert hatten.

Zwei Journalisten der Pariser Zeitung »Le Monde« hatten dagegen angeblich Beweise für den Einsatz chemischer Waffen durch die regulären Streitkräfte aus Gebieten nahe Damaskus gesammelt und der französischen Regierung übergeben. Paris hatte die Informationen an die UNO weitergeleitet.

Eigentlich hatte der syrische UNO-Botschafter Baschar Dschaafari am Montag in New York erklärt, eine Gruppe von UN-Inspektoren könne nach Aleppo reisen, um den Angriff in Khan al-Assal zu untersuchen. Wie das praktisch vonstattengehen soll, ist aber unklar. Aufständische einer sogenannten »Neunten Division« erklärten am selben Tag, die Stadt »vollständig befreit« zu haben. Sollte das tatsächlich oder auch nur teilweise zutreffen, müssten für den Zugang der Inspektoren ein Waffenstillstand und Sicherheitsgarantien vermutlich nicht nur mit einer bewaffneten Gruppe ausgehandelt werden.

Der Sondervermittler von UNO und Arabischer Liga für Syrien, Lakhdar Brahimi, warnte derweil in New York vor weiteren Waffenlieferungen nach Syrien. »Es gibt keine militärische Lösung. Waffenlieferungen verschärfen den Konflikt« und müssten aufhören, sagte Brahimi. Nur ein politischer Prozess könne »aus diesem Teufelskreis« herausführen.

Am heutigen Freitag will eine Delegation der oppositionellen Nationalen Koalition mit Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates zusammentreffen. Unter den Teilnehmern sind der neue Präsident der Koalition, Ahmad al-Assi Al-Jarba, sowie Burhan Ghalioun, Najib Ghadbian und Michel Kilo. Die Delegation hatte sich zuvor mit dem saudischen Außenminister Prinz Saud al-Faisal in Riad getroffen. Saudi-Arabien ist neben Katar größter Geldgeber der Aufständischen in Syrien.

Die Zerstörung des Landes und seiner historischer Kulturgüter geht derweil weiter. Die Aufständischen beschuldigten die syrischen Streitkräfte zuletzt, ein Minarett der Großen Ummayyaden-Moschee in Aleppo zerstört zu haben. In Damaskus wurden am Mittwoch durch den Einschlag von zwei Mörsergranaten im Vorort Jaramana sieben Menschen getötet. Ziel der Granaten waren ein Gebäude der Stadtverwaltung und eine Schule. Ebenfalls am Mittwoch starb der Ingenieur Mohammed Abdel Wahab Hassan durch eine an seinem Fahrzeug befestigte Bombe. Hassan war Direktor der Planungsabteilung im Elektrizitätsministerium. Zentrale Elektrizitätswerke und deren Personal werden immer wieder von den Aufständischen angegriffen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 26. Juli 2013


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