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Dürfen, aber nicht müssen

Die BRD ringt um einen eigenen Syrien-Kurs und spielt an allen Fronten mit. Die militärische Drecksarbeit überläßt man dabei gerne den "Verbündeten"

Von Sebastian Carlens *

Ein letzter Sieg der Diplomatie? Durch die Einigung des US-Außenministers John Kerry und seines russischen Kollegen Sergej Lawrow, die syrischen Chemiewaffen vernichten zu lassen, konnte ein westlicher Militärschlag gegen das kriegszerrüttete Land gerade noch einmal verhindert werden. Der Mitte September in Genf geschlossene Kompromiß der beiden wichtigsten Einflußmächte in Syrien hat auch das Kräfteverhältnis innerhalb des Landes verschoben: Die Aufständischen, die auf einen NATO-Angriff gegen Damaskus gehofft hatten, fühlen sich verraten. Die Genfer Einigung sei ein »Schlag« gegen die Bestrebungen, Assad zu stürzen, so der Stabschef der »Freien Syrischen Armee«, Selim Idriss.

Es sei »schmerzhaft, zu sagen, daß die Syrer zur Zeit nicht selbst über ihr Schicksal bestimmen« könnten, befand Louay Hussein, langjähriger Gegner der syrischen Regierung, am Mittwoch abend in Berlin. Auf einer von der Ärzteorganisation IPPNW ausgerichteten Veranstaltung sprach er für jenen Teil der Opposition, die bewaffnete Aktionen ablehnt. Doch mittlerweile sieht Hussein kaum noch Chancen: »Der Friedensprozeß hängt nicht von den am Kampf beteiligten Parteien ab, sondern von jenen, die sie unterstützen.« Durch ihre Hilfe für verschiedene Rebellengruppen kämpften Saudi-Arabien, Katar und die USA »auf syrischem Boden gegen Syrien«, so Hussein. Das Ergebnis könne eine Fragmentierung des Landes, eine Teilung in verschiedene Regionen unter der Herrschaft unterschiedlicher Fraktionen sein (siehe auch jW vom 16. Oktober).

Zwar fließen westliche Waffen und saudiarabische Gelder weiterhin ungestört an die Aufständischen. Dschihadisten werben nach wie vor im ganzen arabischen Raum erfolgreich Freischärler für den Kampf gegen Assad, doch militärisch befinden sich die Gegner der syrischen Regierung seit Monaten in der Defensive. Eine Spaltung in westlich orientierte und in islamistisch-salafistische Kräfte schwächt die Opposition, ausbrechende ethnische Konflikte schaffen ganz neue Konfrontationslinien. Durch die Einigung, Syriens Chemiewaffenarsenal bis Mitte 2014 außer Landes schaffen und zerstören zu lassen, ist die Regierung in Damaskus auf einmal wieder zum akzeptierten Verhandlungspartner geworden. Der schnelle Sieg gegen Assad, vor Monaten noch als eine bloße Frage der Zeit verkündet, scheint in weite Ferne gerückt.

Die BRD hatte sich von Anfang an entschlossen, in Syrien einem eigenen Fahrplan zu folgen. Zunächst einer der Scharfmacher in der UNO, überließ die deutsche Regierung die militärische Aufrüstung der Rebellengruppen den USA und Frankreich. Berlin hatte spekuliert, durch Wiederaufbaumaßnahmen in den »befreiten Gebieten« zu punkten – diese Linie scheint jedoch gescheitert zu sein. Im September sagten sich 13 Rebellengruppen von der Oppositionsführung los, die einmal die Keimzelle eines Staatsapparates nach Assad bilden sollte. Zwar führt die vom Kanzleramt finanzierte »Stiftung Wissenschaft und Politik« ihr »The Day After«-Projekt zur Bildung einer syrischen Schatten- und Exilregierung fast (jW berichtete), doch die dem Westen genehme syrische Opposition scheint in den bewaffneten Auseinandersetzungen mehr und mehr an Boden zu verlieren. Im Prinzip, befand der SPD-Politiker Karsten Voigt während einer von Inforadio RBB ausgerichteten Talkrunde in Berlin in der vergangenen Woche, müsse Deutschland in Syrien »so handlungsfähig wie Großbritannien und Frankreich sein«. Doch eine militärische Intervention schätzt der einstige Präsident der Parlamentarischen Versammlung der NATO als Fehler ein: »Solche Kriege dauern extrem lange und sind sehr gewaltsam, außerdem müßten wir anschließend Nation-Building betreiben.« Dürfen will man schon, aber müssen bitte nicht: Die relative militärische Schwäche der BRD kann auch taktisch genutzt werden.

Natürlich ist auch die BRD Teil des Bürgerkriegsszenarios, das deutsche Spionageschiff »Oker« kreuzt vor der syrischen Küste und versorgt die Assad-Gegner zumindest indirekt mit Koordinationsdaten. Gleichzeitig pflegt Berlin seine Kontakte zur syrischen Regierung – laut einem Bericht der ARD reiste der Chef des deutsche Auslandsgeheimdienstes BND, Gerhard Schindler, noch Anfang Mai 2013 zu einem Geheimbesuch nach Damaskus. Ziel der Gespräche: Wiederaufnahme der Zusammenarbeit beider Länder im Geheimdienstbereich.

Lieber alle Möglichkeiten offen halten, scheint die Devise zu sein. Denn ganz so einfach, wie es sich die einstige Syrien-Korrespondentin Kristin Helberg beim Inforadio-Talk vorgestellt hat – »aufdrängen würde sich eine Flugverbotszone, um die Lufthoheit des Assad-Regimes zu brechen« –, wird es wohl nicht werden. Syrien ist längst zum Brennglas der weltweiten imperialistischen Auseinandersetzungen geworden.

* Aus: junge Welt, Freitag, 18. Oktober 2013


Genfer Konferenz Ende November?

Die seit Monaten immer wieder verschobene internationale Syrien-Konferenz soll nach syrischen Angaben nun Ende November stattfinden. Dies habe UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erklärt, sagte Syriens stellvertretender Außenminister Kadri Dschamil am Donnerstag in Moskau. Für das Treffen in Genf seien der 23. und 24. November anvisiert. Die Konferenz sei nötig, weil »alle in einer Sackgasse sind – in einer militärischen und einer politischen Sackgasse«, sagte Dschamil. Die Konferenz in Genf biete einen Ausweg: den Amerikanern, Rußland und der syrischen Führung. Der internationale Syrien-Gesandte Lakhdar Brahimi hatte vor kurzem Zweifel geäußert, ob es wie geplant Mitte November zu einer Friedenskonferenz kommen werde.

Zum Boykott der Syrien-Konferenz durch die in Istanbul residierende, vom Westen und den Golfstaaten unterstützte Exilopposition sagte Dschamil laut RIA Nowosti: »Die Weigerung des Syrischen Nationalrates, an der Genf-2-Konferenz teilzunehmen, kann den Termin und das Format des Treffens nicht beeinflussen. Diese Oppositionsgruppe wird ihre Entscheidung höchstwahrscheinlich noch revidieren.«

»Die USA haben es bis jetzt nicht geschafft, die Assad-Gegner davon überzeugen, an den Genf-2-Gesprächen teilzunehmen und müssen sich deshalb Kritik aus Moskau gefallen lassen«, schrieb die russische Zeitung Kommersant am Donnerstag. »Unsere Partner hatten uns versichert, alle syrischen Oppositionskräfte zur Teilnahme an der Konferenz aufzurufen«, wird Außenminister Sergej Lawrow zitiert. »Mein Amtskollege John Kerry bestätigte noch vor wenigen Tagen, daß er sich damit befasse und daß der Erfolg nicht lange auf sich warten lassen würde. Bislang ist davon jedoch nichts zu sehen.« Moskau dagegen war es gelungen, den syrischen Präsidenten an den Verhandlungstisch zu bringen.

Mittlerweile zeichnet sich eine weitere Fragmentierung auf Seiten der Assad-Gegner ab. Medienberichten zufolge haben inzwischen rund 70 bewaffnete Gruppen im Süden Syriens der »Nationalen Koalition« das Vertrauen verweigert. Sie wollen einen eigenen »Revolutionsrat« gründen.

(junge Welt, Freitag, 18. Oktober 2013)




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