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Konzertierte Aktionen

Die Golfstaaten, die USA und Westeuropa haben den ursprünglichen Protest in Syrien für ihre eigenen Interessen und eine Destabilisierungskampagne gekapert

Von Karin Leukefeld *

Der Konflikt um eine politische Veränderung in Syrien scheint den innersyrischen Akteuren längst aus den Händen genommen zu sein. Die Protestbewegung, die vor einem Jahr gegen Bevormundung und Korruption, für politische und wirtschaftliche Teilhabe und einen friedlichen Übergang zur Demokratie auf die Straße ging, wurde durch Repression und Verfolgung im Land und durch politische und militärische Aufrüstung ausländischer Akteure längst ins Abseits gedrängt. Doch nicht nur die innersyrische Opposition ist Opfer internationaler Interessen geworden.

Die palästinensische Hamas zog kürzlich ihr Politbüro aus Syrien zurück, ihr langjähriger Führer Khaled Meshaal kündigte seinen Rückzug an. Nun soll der hochrangige Hamas-Vertreter im Gazastreifen Mahmud Zahar laut Bericht der iranischen Nachrichtenagentur FARS angeblich offen darüber nachgedacht haben, Israel anzugreifen, falls Israel den Iran angreife. Der britischen BBC hatte Zahar zuvor erklärt, die Hamas sei »nicht Teil einer politischen Achse« und werde sich aus einem »regionalen Konflikt« heraushalten. Gegenüber FARS soll Zahar später den BBC-Bericht zurückgewiesen haben. Was immer Zahar wem gesagt haben mag, die Hamas wäre überhaupt nicht in der Lage, »Vergeltung« zu üben. Mediale Spekulationen, egal von welcher Seite sie kommen, schüren lediglich Unruhe und Mißtrauen im ohnehin angespannten Mittleren Osten. Vor zwei Tagen kündigte erneut ein Mitarbeiter (Ali Haschim) von Al-Dschasira (Beirut) wegen der einseitigen und manipulativen Berichterstattung des Senders über Syrien.

Die Golfstaaten, die USA und europäische Länder, die den ursprünglichen Protest in Syrien längst für ihre Destabilisierungsstrategie der gesamten Region gekapert haben, spielen auf einer breiten Klaviatur von Möglichkeiten, um Verwirrung zu stiften. Gehackte interne Korrespondenzen der US-Organisation Stratfor belegen, daß geheime Spezialkommandos von NATO-Staaten längst zwischen Idlib und Homs operieren. Reva Bhalla, bei Stratfor verantwortlich für Analyse, berichtet in einer E-Mail von einem Geheimtreffen im Pentagon (6.12.2011), an dem auch »je ein französischer und britischer Vertreter« teilgenommen hätten. Demnach seien Truppen der NATO schon in Syrien – vermutlich aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Jordanien und der Türkei – damit beschäftigt, »Aufklärung zu betreiben und Oppositionskräfte auszubilden« (www.rt.com). Weiter heißt es: »Die hypothetische Idee (der verdeckten Kommandos sei es) Guerillaangriffe und Hinrichtungskampagnen durchzuführen, um das Rückgrat der alewitischen Truppen zu brechen und so einen Kollaps von innen« herbeizuführen.

Die private Sicherheitsfirma Blackwater ist ebenfalls involviert. Nach Angaben verschiedener Gesprächspartner der Autorin in Syrien und Libanon wirbt Blackwater im Libanon und in Jordanien massiv »Mitarbeiter« für Syrien an. Die Firma sei auch für die Befreiung der in Baba Amr in Homs verletzten Journalisten zuständig gewesen, wofür eine Summe von rund 1,5 Millionen US-Dollar gezahlt worden sein soll. Eine angeblich für die Befreiung der Journalisten verantwortliche Aktivistengruppe von AVAAZ, einer US-Kampagnengruppe, habe tatsächlich aus Kämpfern von Blackwater bestanden, so eine der Quellen. AVAAZ, die 2011 per Unterschriftenkampagne bereits für ein militärisches Eingreifen in Libyen geworben hatte, soll für das Einschmuggeln von Journalisten und Kommunikationsmaterial zuständig gewesen sein, heißt es in einem Internetportal »Moon of Alabama« (www.moonofalabama.org). »Aktivisten« von AVAAZ hätten »Bürgerjournalisten« in Homs in der Handhabung von Satellitentelefonen ausgebildet, mit denen Filme und Stellungnahmen direkt an internationale Satellitensender übermittelt worden seien.

Die zunehmende Brutalität der Kämpfe in Syrien kann nicht in Frage gestellt werden, die täglichen Opferzahlen – auch unter Armeeangehörigen und staatlichen Sicherheitskräften – sprechen für sich. Die Akteure auf seiten der bewaffnet kämpfenden Gruppen, die sich als »Opposition« bezeichnen, müssen aber offenbar in einem neuen Licht bewertet werden.

* Aus: junge Welt, 10. März 2012


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