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"Ich bin keine Marionette"

Syrien: Assad lehnt es ab, seine Heimat zu verlassen

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Der britische Ministerpräsident David Cameron will die bewaffneten Aufständischen in Syrien stärker unterstützen. Bei einem Besuch des Flüchtlingslagers Zaatari in Jordanien am Dienstag sagte Cameron, Großbritannien werde seine Syrien-Politik ändern und direkte Gespräche mit den »militärischen Führern der Opposition« aufnehmen. Cameron lud den wiedergewählten US-Präsident Barack Obama ein, mit Großbritannien zusammen Gespräche mit den Kämpfern aufzunehmen.

Außenminister William Hague sagte in London, Gespräche mit Anführern der Aufständischen würden sich nicht um militärische Beratung und Unterstützung in Sachen Taktik und Kampf drehen. London habe auch nicht vor, den Kämpfern Waffen zu liefern. Vielmehr werde man sie auf die Einhaltung von Menschenrechten hinweisen. Extremismus und Terrorismus in Syrien müßten gestoppt werden, Ziel sei ein »friedlicher politischer Übergang«.

Cameron hatte am Montag den saudischen König Abdullah besucht, wo er sich (Agenturberichten zufolge) für eine »sichere Ausreise« des syrischen Präsidenten aus Syrien ausgesprochen hatte, vorausgesetzt, diese Maßnahme werde ein Ende des Krieges in Syrien »garantieren«. Großbritannien werde »alles« unterstützen, um Assad außer Landes zu bringen, so Cameron, der zuvor die Arabischen Emirate besucht hatte. »Großbritannien, Amerika, Saudi-Arabien, Jordanien und ähnlich denkende Verbündete« sollten sich »zusammenzuschließen und die syrische Opposition mitgestalten«, wird Cameron von der Nachrichtenagentur AP zitiert. Man müsse »helfen, damit sie ihr Ziel erreichen, das unser Ziel ist, ein Syrien ohne Assad«.

In einem Interview mit dem russischen Nachrichtensender Russia Today (Englisch) sagte der syrische Präsident Baschar Al-Assad, er habe nicht vor, seine Heimat zu verlassen. »Ich bin keine Marionette (…) Ich bin Syrer, und ich muß in Syrien leben und sterben.« Das Interview in ganzer Länge soll am Freitag ausgestrahlt werden.

Auf den Golanhöhen sind nach israelischen Angaben am Donnerstag erneut Mörsergranaten aus Syrien eingeschlagen. Die drei Geschosse hätten niemanden verletzt, teilten die israelischen Streitkräfte mit. Es sei davon auszugehen, daß es sich bei dem Beschuß um ein Versehen gehandelt habe. Es war das dritte Mal innerhalb einer Woche, daß die Grenze auf dem Golan von syrischer Seite aus verletzt wurde.

NATO-Staaten planen derweil den Einsatz von Patriot-Raketen in der Türkei, um den Aufständischen in Syrien zu helfen. Das sagte ein anonymer türkischer Beamter der Nachrichtenagentur AP. Die Türkei habe mit ihren Verbündeten die Möglichkeit eines »Raketenschirms« diskutiert, die USA seien an den Gesprächen beteiligt gewesen. Planungen für eine »Schutzzone« gibt es demnach auch an der syrisch-jordanischen Grenze.

Das syrische Außenministerium hat in einem Schreiben an den UN-Sicherheitsrat, die UN-Vollversammlung und den UN-Generalsekretär darauf hingewiesen, daß ständige und nicht-ständige Mitgliedsstaaten im UN-Sicherheitsrat die Öffentlichkeit über den Charakter der bewaffneten Gruppen in Syrien wissentlich im Unklaren gelassen hätten. »Blinder Terrorismus von Al-Qaida und anderen Kriminellen« habe in den letzten Tagen Hunderte Syrer getötet und verletzt. In aller Öffentlichkeit würden die Gruppen finanziert und bewaffnet, zuletzt seien Stinger- Raketen geliefert worden. Das Außenministerium machte namentlich »Saudi-Arabien, Katar, Libyen, die Türkei, Großbritannien, Frankreich und die USA« dafür verantwortlich. Hinzu kämen Medien, die mit Falschmeldungen die globale öffentliche Meinung gegen Syrien mobilisierten. Zuletzt hätten die USA, Deutschland und Großbritannien verhindert, daß der Sicherheitsrat die Terroranschläge verurteile.

Allein in Damaskus und seinen Vororten waren in den letzten drei Tagen mindestens sechs Bomben in verschiedenen Wohnvierteln explodiert. Am Dienstag wurden Mörsergranaten auf ein Wohnviertel abgefeuert. An drei aufeinanderfolgenden Tagen waren ein Agraringenieur, ein Richter und die stellvertretende Direktorin der Syrischen Zentralbank ermordet worden.

Der stellvertretende syrische Außenminister Faisal Mekdad sagte im Gespräch mit der britischen BBC am Mittwoch, er hoffe nach der Wiederwahl von US-Präsident Barack Obama, daß dieser nach »gerechten Lösungen« für den Mittleren Osten suche. »Tödliche Fehler« der US-Außenpolitik im Mittleren Osten hätten die Lage in der Region eskaliert. Mekdad, der die Frage verneinte, ob Washington und Damaskus derzeit in einem Dialog stünden, sagte, er glaube nicht, daß die USA nach ihren Niederlagen in Irak und Afghanistan eine neue Militärintervention in Syrien wollten.

* Aus: junge Welt, Freitag, 09. November 2012

Karin Leukefeld

referiert auf dem 19. Friedenspolitischen Ratschlag am 1./2. Dezember 2012 in Kassel zum Thema:
Was habt ihr dem arabischen Frühling in Libyen und Syrien angetan!?
Hier geht es zum Programm des Kongresses




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