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Dialog ohne Bedingungen

Syrische Politiker besuchen Moskau. Krise kann nur gewaltlos gelöst werden

Von Karin Leukefeld *

Rußland und Syrien werden ihre Zusammenarbeit weiter ausbauen. Das ist das Ergebnis eines mehrtägigen Besuchs des syrischen Vizeministerpräsidenten für Wirtschaft, Kadri Jamil, und Ali Haidar, Minister für Nationale Versöhnung, in Moskau. Beide waren dort zu ausführlichen Gesprächen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zusammengetroffen. In einer gemeinsamen Presseerklärung hatte Lawrow erneut einen politischen Prozeß in Syrien angemahnt. Damaskus habe gezögert und »einige Fehler gemacht« und müsse deutlichere Schritte für den politischen Prozeß unternehmen, sagte Lawrow. Der Westen und die Golfstaaten müßten ihrerseits die Unterstützung für die bewaffneten Aufständischen in Syrien einstellen und ebenfalls zu einem Dialog bereit sein.

US-Präsident Barack Obama hatte Anfang der Woche die syrische Regierung gewarnt, der Einsatz chemischer oder biologischer Waffen sei eine »rote Linie« und würde eine militärische Intervention der USA nach sich ziehen. Kadri Jamil wies die Äußerungen Obamas als »propagandistische Drohungen« zurück. Der Westen suche offenbar nach einem Vorwand, militärisch in Syrien einzugreifen. Sollte das geschehen, werde ein Bürgerkrieg weit jenseits der Grenzen Syriens ausgelöst, sagte Jamil. Tödliche Auseinandersetzungen in Tripoli (Nordlibanon) zwischen Anhängern und Gegnern der syrischen Führung halten seit Tagen an.

Ein »Dialog ohne Vorbedingungen« sei der richtige Weg, um die Krise in Syrien zu lösen, sagte Kadri Jamil. Berichten zufolge ging es bei den Gesprächen in Moskau auch um die Vorbereitung der nächsten Präsidentschaftswahlen in Syrien, die turnusgemäß für 2014 vorgesehen sind. Der syrische Plan sieht eine offene Kandidatenliste vor, darunter auch Präsident Baschar Al-Assad. Dessen Rücktritt wird allerdings sowohl von den bewaffneten Aufständischen, der Auslandsopposition um den Syrischen Nationalrat und dem »Freundeskreis Syriens« um die USA und europäische Kernstaaten (Frankreich, Großbritannien, Deutschland) als Voraussetzung für jede weitere Entwicklung gefordert. Die Rücktrittsforderung an Assad sei als Vorbedingung unakzeptabel, sagte Kadri Jamil auf Fragen von Reportern. »Vorbedingungen« verhinderten die Aufnahme eines Dialogs. Während des nationalen Dialogs werde allerdings »jedes Thema zur Sprache kommen, auch dieses«. Nach Meinung seiner Partei müsse der Dialog nach festgelegten Prinzipien sofort beginnen, »alle sollten ihre Ideen und Vorstellungen zur Lösung der Krise vorlegen, damit über alle Visionen für ein neues Syrien diskutiert werden könne. Die Prinzi¬pien für den Dialog seien a) Ablehnung einer ausländischen Invasion und b) die Einstellung aller Gewalt.

Neben ausführlichen Gesprächen mit der russischen Seite darüber, wie eine ausländische Intervention verhindert werden könne, ging es laut Jamil auch um die zukünftige wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Syrien und Rußland. Durch die von der EU und den USA verhängten Sanktionen gegen Syrien kann das Land sein Öl nicht mehr exportieren und verarbeiten lassen. Rußland wird voraussichtlich ebenso wie der Iran diese Verträge übernehmen.

Minister Ali Haidar, der seit zwei Monaten für das neu geschaffene Amt für nationale Versöhnung zuständig ist, kritisierte, daß westliche Medien das neue Ministerium weitgehend ignorierten. Damit soll das Bild vermittelt werden, wonach es seitens der Führung »keinen politischen Willen gibt«, die Krise in Syrien politisch zu lösen. »So begründen sie, daß die schwierige Situation in Syrien nur militärisch und durch eine ausländische Intervention« gelöst werden könne. Um die Gewalt in Syrien zu stoppen, müsse vielmehr »international ein Klima von Hilfe und Vermittlung« geschaffen werden, so Haidar. Der Staat sei die einzige legitime Basis, auf der ein Dialog stattfinden könne. Wer Waffen in Syrien einsetze, müsse die Garantie haben, daß er in den Dialog und politischen Prozeß einbezogen werde unter der Voraussetzung, daß er die Waffe abgebe, so Haidar weiter.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 23. August 2012


Al-Qaida-Terror und Folter

Heldentaten der bewaffneten Aufständischen in Syrien **

In den Nächten zum Dienstag sowie zum Mittwoch jeweils kurz nach Mitternacht, wenn keine Zeitungsredaktion mehr arbeitet, sandte die Nachrichtenagentur AFP Meldungen zu Syrien, die sich von der sonst üblichen Schwarz-Weiß-Berichterstattung erheblich unterscheiden. Die im Folgenden in leicht gekürzter Form dokumentierten Meldungen haben wir der „jungen Welt“ entnommen.

Ein »Freischaffender«

Der Tunesier Abu Said kommt von der Front in der syrischen Stadt Aleppo zurück. Der ausgebildete Scharfschütze zündet sich eine Zigarette an. Wie Abu Said hat der Konflikt zahlreiche Ausländer nach Syrien geführt, die aus unterschiedlichsten Gründen an der Seite der Aufständischen gegen die Truppen von Machthaber Baschar Al-Assad kämpfen. »Baschar Al-Assad und seine Leute sind Schiiten. Es ist meine Pflicht, den wahren Islam wieder durchzusetzen, den sunnitischen Islam«, sagt Abu Said, der sich als »freischaffender« Kämpfer bezeichnet. »Ich verlasse mein Land, wenn es nötig ist, um in den heiligen Krieg zu ziehen, und dann kehre ich wieder zurück«, sagt der Tunesier, der nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr in Libyen gegen Muammar Al-Ghaddafi kämpfte. »Das ist meine persönliche Entscheidung. Ich brauche keine Flagge für meinen Kampf, ich biete meine Erfahrung jedem an, der sie braucht.«

Bereits vor Sonnenuntergang trinkt Abu Said im Fastenmonat Ramadan ein Glas Orangensaft. Da er sich damit als nicht gerade strenggläubiger Muslim zu erkennen gibt, dürfte der Tunesier es schwer haben, sich in die Gruppen radikaler Islamisten zu integrieren, welche die meisten ausländischen Kämpfer aufnehmen.

Die Anführer der syrischen Befreiungsarmee (SLA), die das Rückgrat der bewaffneten Opposition gegen Assad bilden, stehen den islamistischen Kämpfern im Prinzip ablehnend gegenüber. Aber an der Front sind die SLA-Rebellen, bei denen es sich häufig um Deserteure der syrischen Armee und bewaffnete Oppositionelle handelt, froh über jede Hilfe.

Gerade die Islamisten hätten erfahrene Kämpfer, die oft eine Art Eliteeinheit bildeten, sagt der SLA-Koordinator Abu Haidar. »Der Rest der Welt hilft uns nicht, sie schon.« Nicht alle der islamistischen Kämpfer gehörten dem Terrornetzwerk Al-Qaida an. »Viele sind nur Freiwillige, die wollen, daß Syrien befreit wird.«

Im Lazarett im Untergeschoß einer Moschee Aleppos im Stadtteil Seif Al-Dawla wird ein junger Mann eingeliefert, der an der Hand verletzt wurde. Keiner kennt den Kämpfer, der aus Aserbaidschan kommt und nur türkisch spricht. »Ich habe die Kriegsbilder im Fernsehen gesehen und beschlossen, hierher zu kommen, um den Syrern zu helfen, Baschar zu bekämpfen«, sagt er. »Es ist das erste Mal, daß ich so etwas mache.«

Manchmal sind die Gründe, welche die Kämpfer nach Syrien führten, nur schwer nachzuvollziehen. So versteht keiner, warum Abu Mohamed, ein Niederländer irakischer Abstammung, Frau und Kinder in den Niederlanden zurückließ, um in Aleppo zu kämpfen. Der Mann im weißen langen Gewand spricht mit niemandem.

»Er will nicht, daß man ihm hilft, aber er hilft uns«, sagt Ahmad, ein junger Aufständischer, der manchmal vor dem Lazarett Wache schiebt. »Wir wissen nicht wirklich, was in seinem Kopf vorgeht, aber wir lassen ihn machen.«

Folterknechte

Eine Gruppe Aufständischer treibt einen jungen Mann mit Gewehrkolben in ein Haus in Rankus, 30 Kilometer nördlich der syrischen Hauptstadt Damaskus. Der 23jährige Ahmad soll ein Verräter sein. Er soll sich unter die Rebellen geschmuggelt haben, die seit anderthalb Jahren gegen den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad kämpfen, um einen von ihnen an die Armee zu verraten.

Anführer Asad ordnet sofort an, den Mann ins Bad zu bringen. Dort schlägt der »Löwe von Rankus«, wie der örtliche Rebellenchef auch genannt wird, Ahmad mit der Faust ins Gesicht. Sein Opfer kniet schreiend auf dem Boden, die Hände auf dem Rücken gefesselt.

Dann unterbricht Asad seine Schläge und verlangt nach einem Plastikschlauch, von dem er einen Meter abschneidet und den er doppelt nimmt, um auf den Gefangenen einzuprügeln. Durch die Badezimmertür, die Asad inzwischen geschlossen hat, sind die Schläge zu hören. Das Geschrei von Ahmad wird allmählich leiser. Der Rebellenchef macht nur eine kurze Pause, um den Gefangenen, dem er zuvor die Kleidung weggenommen hat, zu beschimpfen. Das Folterverhör Ahmads dauert mehr als zwei Stunden. Asad läßt sich von anderen Rebellen ablösen, die dem Gefangenen immer wieder Fausthiebe verpassen.

Es ist inzwischen Abend geworden. Abu Hatab, der verraten werden sollte, kommt in das Haus in Rankus. »Im neuen Syrien würden wir die Verräter ins Gefängnis werfen, aber wir sind momentan im Krieg«, erklärt er das brutale Verhör.

(junge Welt, Donnerstag, 23. August 2012)




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