Assad ist nicht das Hauptproblem
Nicht alle Oppositionellen folgen Rücktrittsforderung des Westens
Von Karin Leukefeld, Nikosia *
Immer mehr Zivilisten sind in Syrien
auf der Suche nach einem sicheren
Zufluchtsort. In Damaskus und weiteren
Städten des Landes soll es erneut
Kämpfe zwischen der Armee und Aufständischen
gegeben haben. Das politische
Interesse konzentriert sich
derzeit auf die russsisch-syrischen
Gespräche in Moskau.
Gespräche von zwei hochrangigen
Mitgliedern der syrischen Regierung
in Moskau, sind am Dienstag
vom russischen Außenminister
Sergej Lawrow als »sehr nützlich«
beschrieben worden. Syriens
stellvertretender Ministerpräsident
für Wirtschaft, Kadri Jamil,
sowie Ali Haidar, Minister für Nationale
Versöhnung, sprachen in
der russischen Hauptstadt auch
über die Vorbereitung der Präsidentschaftswahlen
2014.
»Das Vorgehen der syrischen
Führung (sei) der einzig richtige
Weg, auch wenn es Verzögerungen
bei der Umsetzung und etliche
Fehler« gegeben habe, hatte Lawrow
am Dienstag bei einer Pressekonferenz
erklärt. Wichtiges
Bindeglied zwischen Regierung
und Opposition sei jenes neu eingerichtete
Ministerium für Nationale
Versöhnung in Damaskus.
Lawrow hob besonders die Initiative
des oppositionellen Nationalen
Koordinationsbüros für Demokratischen
Wandel (NCB) hervor.
Das Bündnis hatte vor einer
Woche in Damaskus sowohl von
der Armee als auch von den bewaffneten
Aufständischen einen
Waffenstillstand für das bevorstehende
Fest zum Ende des Fastenmonats
Ramadan gefordert. Davon
ausgehend sollten Gefangene
und Geiseln »auf beiden Seiten«
freigelassen und humanitäre Hilfe
zugelassen werden.
Daran sollte sich ein nationaler
Dialog anschließen, so der Vorschlag
weiter, der vom NCB auch
der EU-Vertretung in Damaskus
übergeben worden war. Die UNMission
in Syrien solle als neutrale
Instanz für die Umsetzung sorgen.
Von Seiten bewaffneter Gruppen
habe es positive Reaktionen gegeben,
erklärte NCB-Vertreter Abdulaziz
al-Khair im Gespräch mit
der Autorin in Damaskus.
Lawrow begrüßte, dass auch
die beiden Regierungsvertreter
Jamil und Haidar positiv auf den
NCB-Vorschlag reagiert hätten.
Der russische Außenminister erinnerte
zudem an die Vereinbarung
von Genf. Darin hatten sich
Ende Juni die Außenminister der
Vetomächte im UN-Sicherheitsrat
auf Vorschlag des UN-Syrienbeauftragten
Kofi Annan auf die Einrichtung
einer Übergangsregierung
in Syrien geeinigt. Der syrische
Präsident Baschar al-Assad
hatte gegenüber Annan Anfang
Juli in Damaskus seine Zustimmung
zu dem Plan erklärt und Gespräche
mit Haidar angeboten.
Unmittelbar nach dem Treffen
in Genf hatte US-Außenministerin
Hillary Clinton die Vereinbarung
aber anders interpretiert. Präsident
Assad müsse gehen, so Clinton,
eine andere Lösung gebe es
nicht. Der »Freundeskreis Syrien«,
bewaffnete Gruppen und die syrische
Auslandsopposition um den
Syrischen Nationalrat fordern
ebenfalls den Abtritt von Assad.
Auf Fragen von Reportern bei der
Pressekonferenz in Moskau sagte
Jamil, die Rücktrittsforderung an
Assad sei als Vorbedingung für einen
nationalen Dialog unakzeptabel.
»Vorbedingungen« verhinderten
die Aufnahme eines Dialogs.
Allerdings werde während
des Dialogs »jedes Thema zur
Sprache kommen, auch dieses«.
Syrische Oppositionelle in Damaskus
kritisierten gegenüber der
Autorin wiederholt das Beharren
des Westens auf einem Rücktritt
von Assad. Der Intellektuelle Louay
Hussein sagte, diese Forderung sei
inzwischen »ein größeres Hindernis
für eine friedliche Entwicklung
in Syrien, als der Präsident selber
«. Mouna Ghanem vom »Forum
für Frauen und Demokratie«
kritisierte, die Rücktrittsforderung
verschleiere den Blick auf die
wirklichen Probleme in der Struktur
des syrischen Regimes
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 23. August 2012
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