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Assad: Ganz Syrien leidet

Präsident will Versöhnungskonferenz, lehnt aber Dialog mit »Marionetten des Westens« ab. Verhaltene Reaktionen in Damaskus

Von Karin Leukefeld *

Bei einer mit Spannung erwarteten Rede hat der syrische Präsident Baschar Al-Assad am Sonntag in Damaskus eingeräumt, daß »das Leid alle Teile Syriens ergriffen« habe. »Auf den Straßen unseres Landes« gebe es »keinen Ort für Freude, Sicherheit und Stabilität« mehr. Bei den anhaltenden Auseinandersetzungen handele es sich »nicht um einen Krieg zwischen der Regierung und der Opposition, sondern um einen Krieg der Nation gegen Mörder und Kriminelle«, sagte Assad.

Der Staatschef bekräftigte seine Entschlossenheit, den »Kampf gegen den Terrorismus« fortzusetzen. Er lobte die Syrer, die sich den Angreifern in ihren Dörfern entlang der Grenze zur Türkei entgegengestellt und Syrien geschützt hätten. Alle Kräfte müßten gesammelt werden, um dem Terrorismus zu widerstehen. Assad warnte davor, die Palästinenser in die innersyrische Krise hineinzuziehen, damit würde von den »eigentlichen Feinden« abgelenkt werden. Zur Beilegung des Konflikts machte der Präsident mehrere Vorschläge. So solle mit allen, »die Syrien nicht verraten haben«, eine Versöhnungskonferenz und eine verfassunggebende Versammlung einberufen werden. Auf deren Basis solle es Neuwahlen und eine neue Regierung geben. Für alle im Zuge des Konflikts Verhafteten kündigte Assad eine Amnestie an. Einen Dialog mit »Marionetten des Westens« lehnte der Staatschef hingegen ab. Gemeint sein dürfte damit der »Nationale Rat«, der unter dem Druck der USA Anfang November 2012 in Katar gegründet worden war.

Bedingung für jede politische Lösung sei zudem, so Assad, daß regionale und internationale Mächte »die Finanzierung und Bewaffnung (der Aufständischen) einstellen«. »Die Terroroperationen müssen beendet und die Grenzen wieder kontrolliert werden«, forderte Assad. Dann würden die syrischen Sicherheitskräfte ihrerseits den Kampf gegen die Aufständischen einstellen.

Assad sprach im Opernhaus im Zentrum der syrischen Hauptstadt und erhielt von dem eingeladenen Publikum viel Applaus. Sein Pult wirkte auf der immensen Bühne des großen Saals verloren. Auf einer Leinwand im Hintergrund wurden abwechselnd die syrische Nationalflagge und Bilder von Personen eingeblendet, die in den vergangenen zwei Jahren getötet worden waren. Seine letzte »Rede an die Nation« hatte der Präsident im Juni vergangenen Jahres gehalten.

Unmittelbar nach der Ansprache vom Sonntag warf der britische Außenminister William Hague Assad Heuchelei vor. Die Äußerungen hätten »leere Reformversprechungen« enthalten, auf die niemand hereinfalle, so Hague.

Mit den Vorschlägen für Versöhnung, eine neue Verfassung und Neuwahlen habe die Rede einige positive Aspekte gehabt, sagte demgegenüber der Politikprofessor und frühere Präsidentenberater George Jabbour in Damaskus gegenüber jW. Vermutlich würden aber die verschiedenen Gruppen der Opposition das nicht akzeptieren. Für ein Ende der Kämpfe bedeute die Ansprache keinen Durchbruch. Jabbour vermutete, daß der Präsident sich vor einem erneuten Treffen der USA und Rußland habe äußern wollen, das Mitte Januar in Genf stattfinden soll. Er appellierte an US-Präsident Barack Obama und den russischen Präsidenten Wladimir Putin, gemeinsam zum Waffenstillstand in Syrien aufzurufen. »95 Prozent werden sich daran halten, und die anderen fünf Prozent werden zwei Tage später mit dem Kampf aufhören«, zeigte sich Jabbour überzeugt. »Alle Syrer wollen ein Ende des Blutvergießens.«

* Aus: junge Welt, Montag, 7. Januar 2013


Überhört

Von Karin Leukefeld **

Die Vorschläge sind nicht neu, die der syrische Präsident Bashar al-Assad in seiner Rede im Opernhaus von am Sonntag vorgelegt hat. Nationaler Dialog, Versöhnung, neue Verfassung, Neuwahlen, Waffenstillstand und Amnestie für die Gefangenen gehören seit zwei Jahren zum Forderungskatalog der innersyrischen Opposition, die sich im Land unter großen Opfern Respekt verschafft hat.

Diese Oppositionellen sind jedoch nicht zu verwechseln mit jenen, die im Ausland um Anerkennung und Finanzierung buhlen, in Syrien aber wenig Vertrauen genießen. Sie sind auch nicht zu verwechseln mit denjenigen, die aus aller Herren Länder für Gott oder Geld in den Krieg in Syrien gezogen sind. Die innersyrische Opposition sind die Frauen und Männer, die mit großer Überzeugung und Erfahrung gegen die Gewalt von innen und außen eintreten und mehr als eine Blaupause für die Vermittlungsvorschläge der beiden UNO-Sonderbeauftragten für Syrien vorgelegt haben.

Schade nur, dass sie überhört werden. Die syrische Führung verhaftet ihre besten Kader, die bewaffneten Aufständischen drohen ihnen, die Auslandsopposition diffamiert sie als »Marionetten des Regimes«, die »Freunde Syriens« ignorieren sie. Und obwohl Assad betont, die Lösung des Konflikts könne nur von den Syrern selbst kommen, hat auch er ihnen in seiner gestrigen Rede nicht den Rücken gestärkt. Seine Gegner in Syrien und im Ausland haben seine Vorschläge bereits als »unglaubwürdig« oder »zu spät« zurückgewiesen. Das Leiden in Syrien geht derweil weiter.

** Aus: neues deutschland, Montag, 7. Januar 2013 (Kommentar)


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