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Syrien: Armee rückt vor

Streitkräfte erhöhen den Druck auf bewaffnete Oppositionelle. Assad: Wer Präsident ist, wird bei Wahlen entschieden und nicht von fremden Mächten

Von Karin Leukefeld *

Im Kampf um die strategisch wichtige Stadt Qusair im syrisch-libanesischen Grenzgebiet haben die regulären syrischen Streitkräfte Berichten zufolge am Wochenende den Druck auf die bewaffneten Gruppen massiv erhöht. Unterstützt von Luftangriffen und Artillerieeinsätzen, sind die Truppen nach eigenen Angaben am Sonntag in den Ort vorgerückt. Staatliche Me­dien zitierten anonyme Militärsprecher wonach der östliche Teil von Qusair vollständig sowie das Bürgermeisteramt, das Kulturzentrum, eine Kirche und umliegende Gebäude im Zentrum des Ortes eingenommen worden seien. Die Truppen hätten Sprengfallen entschärft, Stützpunkte und Tunnelanlagen zerstört und ein israelisches Fahrzeug der Aufständischen sichergestellt.

Unbestätigten Quellen der bewaffneten Gruppen zufolge sollen Kämpfer der Hisbollah auf seiten der syrischen Streitkräfte an den Kämpfen beteiligt gewesen sein. Angeblich hätten die Aufständischen bis zu 30 Hisbollah-Angehörige getötet. Aus den eigenen Reihen seien mindestens 50 Personen getötet worden, so die anonymen »Aktivisten« weiter. Auf Antrag der oppositionellen Syrischen Nationalen Koalition wird sich die Arabische Liga am Donnerstag mit der Lage in Qusair befassen.

Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah hat sich bereits mehrfach zum Engagement der Hisbollah in Qusair und Umgebung geäußert. Die französische Mandatsmacht hatte in den 1930er Jahren die Grenze zwischen Libanon und Syrien gezogen und die Dörfer um Qusair, in denen libanesische Schiiten und Christen leben, auf syrisches Staatsgebiet verbannt. Die Dörfer gehören verwaltungstechnisch zur libanesischen nördlichen Bekaa-Ebene, die von der Hisbollah regiert wird. Viele Bewohner der Qusair-Dörfer sind Anhänger oder Mitglieder der Hisbollah, was deren militärisches Engagement in Qusair erklärt. Durch den Ort verläuft eine wichtige Nachschublinie für Waffen und Kämpfer in die Provinz Homs. Sie kreuzt die Autobahn, die Damaskus mit der Küstenregion verbindet.

In einem Interview mit der argentinischen Tageszeitung Clarin und der Nachrichtenagentur Teleam äußerte sich Präsident Baschar Al-Assad am Wochenende zur Lage in Syrien, zu den Chancen einer Syrien-Konferenz und der westlichen Politik gegenüber seinem Land. Syrien sei ein unabhängiger Staat, und die Syrer bestünden auf ihrem Recht auf Selbstbestimmung, sagte er. Die Frage, wer Präsident Syriens sei, werde bei den Wahlen 2014 entschieden, nicht von den USA oder irgendeinem anderen Staat. Syrien befinde sich in einer Krise, und »wenn ein Schiff im Sturm ist, macht der Kapitän sich nicht davon«, sagte Assad. Es sei seine Pflicht, »das Schiff in sicheres Fahrwasser zu lenken«.

Er begrüßte die russisch-US-amerikanische Initiative für eine Syrien-Konferenz, zeigte sich aber skeptisch, »ob einige westliche Regierungen es wirklich ernst meinen mit einer realistischen politischen Lösung.« Einige Staaten würden die Aufständischen weiter unterstützen und eine friedliche Lösung in Syrien verhindern, so Assad. Namentlich nannte er die Türkei, Katar und Israel.

Auf Einladung des spanischen Außenministeriums trifft sich die oppositionelle Syrische Nationale Koali­tion am heutigen Dienstag in Madrid. Das Gremium ist tief zerstritten. Während ein Teil mehr Waffen und den Sturz der syrischen Führung anstrebt, will der andere Teil sich auf Verhandlungen und eine politische Lösung einlassen.

* junge Welt, Dienstag, 21. Mai 2013


Washingtons Junktim

Keine Chancen für Syrien-Konferenz?

Von Werner Pirker **


Wäre der syrische Konflikt eine innersyrische Auseinandersetzung geblieben, wäre er schon beendet. Denn dann wäre der bewaffnete Aufstand wegen mangelnder Unterstützung durch die Bevölkerung längst in sich zusammengebrochen. Es gäbe Tausende Tote weniger, und das Land wäre vielleicht auch auf dem Weg zur Demokratie ein Stück vorangekommen. So aber geht das Blutvergießen weiter, sind Millionen auf der Flucht, bringen Halsabschneider Teile des Landes unter ihre sektiererische Gewalt und machen alle Aussichten auf eine künftige demokratische Entwicklung zunichte.

Durch die massive Einmischung der arabischen Reaktion und der westlichen Wertegemeinschaft zugunsten der regierungsfeindlichen Kräfte ist der Krieg immer weiter befeuert worden. Die anfänglich demokratisch und sozial motivierten Proteste gegen das Baath-Regime wurden von Kräften vereinnahmt, die einen von außen gesteuerten Regimewechsel zu erzwingen versuchten. Doch das Regime fiel nicht. Im Gegenteil: Die Regierungsarmee erobert, wie nun in Al Kussair, verlorenes Terrain zurück. Der neueste an Damaskus gerichtete Vorwurf lautet, daß Kämpfer der libanesischen Hisbollah an der Seite der »Assad-Truppen« im Einsatz seien. Und wenn schon! Der syrische Bürgerkrieg ist streng genommen kein Bürgerkrieg, sondern ein Krieg bunt zusammengewürfelter Söldnerhaufen aus allen möglichen Ländern gegen die reguläre syrische Armee. Es ist ein Krieg gegen die schiitische »Achse des Widerstandes«.

Von ihrem Kriegsziel, das syrische Regime zu stürzen, die Hisbollah zu zerschlagen und den Iran zu isolieren und letztlich in die Knie zu zwingen, werden sich die westlichen Imperialisten und die arabischen Ölscheichs nicht abbringen lassen. Kurze Zeit schien es, als würden sich die USA angesichts der inferioren Darbietungen ihrer Schützlinge und ihres Unwillens, sich selbst auf das syrische Schlachtfeld zu begeben, doch noch für eine politische Lösung erwärmen können. Doch mit ihrem Junktim – Verhandlungen nur bei einem Rücktritt von Präsident Baschar Al-Assad – entziehen sie jeder politischen Lösung den Boden. Zu recht meinte Assad in einem Interview, daß US-Außenminister John Kerry vom syrischen Volk nicht die Macht bekommen habe, in seinem Namen zu sagen, wer gehen und wer bleiben soll. Deshalb räumt der syrische Präsident einer internationalen Konferenz keine großen Chancen ein.

Denn die USA und die anderen westlichen Länder wollen keine Verhandlungslösung zwischen Regierungsvertretern und Regierungsgegnern, sondern einen am grünen Tisch erzwungenen Regimewechsel. Dieser wäre im Grunde bereits vollzogen, wenn Assad nicht teilnehmen dürfte. Eine politische Lösung unter Mißachtung der staatlichen Souveränität Syriens kann es indes nicht geben. Diese wird von der syrischen Staatsmacht verkörpert und nicht von einem in Washington aufgestellten Marionettenensemble.

** junge Welt, Dienstag, 21. Mai 2013 (Kommentar)


Russische Stolpersteine

Moskaus Unterstützung für Damaskus erschwert westliche Intervention

Von Rainer Rupp ***


Eine Gruppe russischer Kriegsschiffe der Pazifikflotte hat zum ersten Mal seit Jahrzehnten den Suezkanal durchquert und sich mit russischen Einheiten im Mittelmeer vereint. Drei der aus fünf Einheiten bestehenden Gruppe, darunter der 165 Meter lange schwere Raketenzerstörer »Admiral Pantelejew«, haben im Hafen von Limassol in Zypern, nur wenige hundert Kilometer von der syrischen Küste entfernt, freundliche Aufnahme gefunden, während die zwei amphibischen Angriffsschiffe der Gruppe auf See geblieben sind.

Das geschah Ende der vergangenen Woche, knapp zwei Wochen, nachdem die 2200 Mann starke »26th Marine Expeditionary Unit«, eine auf Interventionen getrimmte Einheit der US-Marineinfanterie, zusammen mit ihrem Mutterschiff für amphibische Angriffsoperationen »Kearsarge« zu einem Besuch in Israel eingetroffen war.

Offensichtlich ist der Kreml dabei, einer militärischen Intervention der USA, Israels, der Türkei und anderer westlicher Staaten in Syrien möglichst viele Stolpersteine in den Weg zu legen. Durch die Präsenz russischer Kriegsschiffe im potentiellen Kampfgebiet vor Syriens Küste müßten die USA und ihre Verbündeten, einschließlich der deutschen in diesem Seegebiet stationierten Kriegschiffe, damit rechnen, daß bei der Umsetzung ihrer Pläne ungewollt russische Einheiten angegriffen würden. Dies würde die Gefahr einer größeren Konfrontation in sich bergen und eine solche Operation unberechenbar und abenteuerlich machen. Gleiches gilt für die wieder vermehrt geäußerten westlichen Absichten, auch ohne UN-Mandat über Syrien eine Seeblockade zu verhängen. Diesem Vorhaben hat Moskau mit der jüngsten Lieferung hochmoderner Land-See-Raketen vom Typ Jakhonts an Damaskus bereits erheblich gestört.

Ende letzter Woche berichtete die New York Times unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten US-Geheimdienstexperten, daß der russische Marschflugkörper Jakhonts mit einem hochmodernen Radarsystem ausgestattet sei, der dem Abwehrfeuer der angegriffenen Schiffe ausweichen und doch sein Ziel treffen könne. Laut Nick Brown, Chefredakteur der renommierten Rüstungsfachzeitschrift Jane’s International Defense Review, handelt es sich bei der Jakhonts um einen »echten Schiffskiller«. Die Rakete ermögliche »dem Regime, ausländische Kräfte daran zu hindern, über See die Opposition zu versorgen«. Zugleich dürfte sie eine Seeblockade gegen Syrien erschweren, denn um nicht selbst in Gefahr zu kommen, müssen die westlichen Kriegsschiffe außerhalb der Reichweite der Jakhonts vor der syrischen Küste operieren.

Das von Rußland gelieferte Küstenverteidigungssystems bereitet den USA und Israel ebensoviel Kopfzerbrechen wie die bisher noch unbestätigte Ankunft des russischen S-300- Luftverteidigungssystems in Syrien. Sowohl US-Außenminister Kerry als auch der israelische Ministerpräsident Netanjahu haben bei ihren jüngsten Besuchen in Rußland erneut versucht, die Lieferung der S-300 zu stoppen. Sie verweisen dabei auf das UN-Embargo von Angriffswaffen für Syrien. Rußland dagegen betont, daß es sich bei diesen Systemen nicht um Angriffswaffen handelt.

*** junge Welt, Dienstag, 21. Mai 2013


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