Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Waffenruhe in Syrien

Lage im Land am Donnerstag weitgehend ruhig. Westliche Politiker machen dennoch weiter Stimmung gegen Staatschef Assad

Von Karin Leukefeld *

Die erste Waffenruhe seit Beginn der gewaltsamen Niederschlagung des Aufstandes hat am Donnerstag in Syrien weitgehend gehalten. Mit einem Anschlag auf einen Posten des syrischen Militärs in Aleppo am Morgen sollte offenbar der von Syrien-Vermittler Kofi Annan ausgehandelte Waffenstillstand unterlaufen werden. Nach Angaben des staatlichen syrischen Fernsehens wurden ein Offizier getötet und 24 Soldaten verletzt. Der Sprengsatz sei am Straßenrand deponiert gewesen, meldete die die staatliche Nachrichtenagentur SANA. Hinter der Tat steckten Terroristen meldete das Staatsfernsehen. Ob es Reaktionen auf den Anschlag in Aleppo gab, war bei Redaktionsschluß nicht bekannt.

In New York äußerte sich Annan erfreut darüber, daß der Waffenstillstand zu halten scheine. Er forderte Regierung und Rebellen auf, seinen Friedensplan vollständig umzusetzen. Auch in den Grenzgebieten zu Jordanien, Libanon, Türkei und Irak blieb es ruhig. Das syrische Verteidigungsministerium hatte am Mittwoch bekräftigt, daß das Militär wie vereinbart am Donnerstag um fünf Uhr seine Kampfhandlungen einstellen werde. Allerdings behalte man sich das Recht vor, im Falle eines Angriffs bewaffneter Gruppen »gegen die Zivilbevölkerung, Sicherheitskräfte, Soldaten und privates und öffentlich Eigentum« zu reagieren.

In Peking begrüßte das chinesische Außenministerium die syrische Entscheidung zu einem Waffenstillstand. Außenamtssprecher Liu Weimin forderte auch die Opposition auf, sich daran zu halten. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte, Syrien habe ausreichend auf den »sehr realistischen« Plan von Kofi Annan reagiert. Gleichzeitig kritisierte er Stellungnahmen von westlichen und arabischen Staaten, »die den Annan-Plan schon als gescheitert bezeichneten, als dieser noch gar nicht bekannt war«. Alle Seiten müßten sich nun an den Waffenstillstand halten. Erneut rief Lawrow alle Gruppen der syrischen Opposition auf, sich an einem nationalen Dialog zu beteiligen. Ihm sei aber klar, daß einige Oppositionsgruppen von ihren Unterstützerstaaten gedrängt würden, keinen Dialog zu führen.

Rami Abdulrahman von der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (London) bestätigte am Donnerstag morgen gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, daß »im ganzen Land Ruhe herrscht«. Ein Mann mit dem Decknamen Abu Rami sagte Reuters, es werde zwar nicht geschossen, aber überall seien Panzer, Scharfschützen und Militärkontrollen.

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, bezeichnete das Versprechen der Regierung, die Gewalt einzustellen, als »wenig bis nicht glaubwürdig«. Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama ließen nach einem Telefonat mitteilen, Präsident Baschar Assad gehe weiter gegen sein eigenes Volk vor und der UN-Sicherheitsrat müsse härtere Maßnahmen ergreifen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok, forderte mehr Engagement der Türkei. Eine »Bedrohung für Assad muß natürlich auch von türkischem Boden ausgehen«, sagte Brok. Eine enge Kooperation zwischen der Türkei und den Weltmächten sei wichtig. Zuvor hatte der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan nach einer Schießerei im Grenzgebiet die NATO an ihre Verantwortung »zum Schutz der türkischen Grenze« erinnert. Der »Bündnisfall« sichert jedem Mitgliedsland bei einem Angriff die Unterstützung der NATO-Partner zu.

* Aus: junge Welt, Freitag, 13. April 2012


Wackliger Waffenstillstand

Vereinbarte Feuerpause in Syrien am ersten Tag im Wesentlichen befolgt

Von Roland Etzel **


Mit Argusaugen haben das Ausland und die syrische Exilopposition am Donnerstag das Geschehen in Syrien verfolgt, wo um 5 Uhr MESZ die von UN-Sonderbotschafter Kofi Annan vermittelte Waffenruhe in Kraft trat. Bis zum frühen Abend gab es nur vereinzelt Zwischenfälle.

Nach 13 Monaten der Unruhen und Kämpfe mit Tausenden von Opfern, nach immer stärkerer Verhärtung der Fronten und massiver Einmischung der Nachbarstaaten, vor allem der Türkei, in den innersyrischen Konflikt standen die Chancen nicht sehr gut, dass eine Deeskalation Aussicht auf Erfolg haben könnte. Weder in den westlichen Staaten noch im arabischen Raum rechnete man den offiziellen Verlautbarungen zufolge damit, dass ab Donnerstag tatsächlich die Waffen schweigen. Dennoch war dies bis zum frühen Abend im Wesentlichen der Fall. Die vom Sonderbotschafter der Arabischen Liga und der UNO, Kofi Annan, ausgehandelte Feuerpause hielt.

Nach Angaben des aus dem türkischen Exil heraus operierenden Syrischen Nationalrats wurden in der Region Hama zwei Personen getötet. In den Regionen Aleppo, Daraa und Homs soll es »Dutzende« Festnahmen von Regimegegnern gegeben haben. Das syrische Fernsehen berichtete, dass »bei einem Angriff einer terroristischen Gruppe« in Aleppo ein Offizier getötet worden sei. Da das offizielle Syrien die bewaffnete Opposition weiterhin ausschließlich als »Kriminelle« oder »Terroristen« zur Kenntnis nimmt, handelte es sich vermutlich um eine Attacke der »Freien Syrischen Armee«, also desertierter Armeeangehöriger.

Gestern bekannt gewordene Äußerungen der beteiligten Seiten machen allerdings nicht viel Hoffnung, dass sich die Lage weiter stabilisiert. Der in Paris residierende Chef des Syrischen Nationalrats, Burhan Ghaliun, rief die Syrer zu Demonstrationen auf, um die »Versprechen der Regierung« zu testen. Sollte dies nicht möglich sein, habe die Waffenruhe »keinerlei Bedeutung«. Da sich auf der anderen Seite erst zeigen muss, wie diszipliniert die Kommandeure der syrischen Streitkräfte handeln, steht der Waffenstillstand auf ziemlich wackligen Füßen, solange er nicht von neutralen internationalen Beobachtern kontrolliert wird. Letzteres wird von Annan gefordert und von China sowie Russland unterstützt.

Beide Staaten wenden sich außerdem dagegen, bereits jetzt von einem Scheitern der Annan-Mission zu sprechen und damit deren Misserfolg herbeizureden. Der Appell richtete sich auch an die syrische Regierung. Diese bot gestern Deserteuren, »an deren Händen kein Blut klebt«, eine Amnestie an.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 13. April 2012


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage