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Keine Waffenruhe in Syrien

Damaskus stellt Annan neue Bedingungen / Kämpfe halten unvermindert an

Von Martin Ling *

Der für den 10. April vereinbarte Truppenabzug aus den Städten in Syrien ist Makulatur. Die Kämpfe gehen unterdessen weiter.

Der UNO Sondergesandte Kofi Annan hat »schockiert« auf Berichte über die Zunahme von Gewalt und Gräueltaten in vielen syrischen Städten und Gemeinden reagiert. In einer Erklärung, die die Vereinten Nationen am Sonntag in seinem Namen verbreiteten, mahnt Annan das Regime von Präsident Baschar al-Assad, sich an seine Versprechen zu halten. Die Zahl der Toten, Flüchtlinge und Vertriebenen unter den Demonstranten habe ein »alarmierendes Ausmaß« angenommen, sagte Annan demnach.

Auf die jüngste Ankündigung aus Damaskus, die Waffenruhe an neue Bedingungen zu knüpfen, ging der Sondergesandte der UNO und der Arabischen Liga nicht ein. Das Außenministerium in Damaskus hatte erklärt, vor einem Abzug der Armee müssten die »bewaffneten terroristischen Gruppen« schriftlich ein Ende »jeder Form der Gewalt und eine Abgabe ihrer Waffen« zusagen. Annan habe entsprechende Garantien noch nicht vorgelegt. Auch müssten Saudi-Arabien, Katar und die Türkei zusagen, die Aufständischen nicht weiter zu finanzieren.

Der Chef der aus desertierten Soldaten zusammengesetzten Freien Syrischen Armee (FSA), Oberst Riad al-Asaad, betonte, der syrischen Regierung selbst keine Zusagen machen zu wollen. »Wir werden unsere Garantien und Zusagen der internationalen Gemeinschaft geben, aber nicht dem Regime.«

Mit den neuen Forderungen scheint der Sechs-Punkte-Plan von Annan obsolet, bevor der erste Schritt gegangen ist. Der sah eine Waffenruhe vor, die von Dienstagmorgen ab 6.00 Uhr Ortszeit (5.00 Uhr MESZ) binnen 48 Stunden eine Einstellung aller Kampfhandlungen vorsah. Sie sollte die Voraussetzung für humanitäre Hilfen sein und ein Klima für einen politischen Dialog schaffen. Dem Vorschlag Annans hatten sowohl die syrische Regierung als auch die Opposition zugestimmt.

Annan selbst wird heute im türkischen Grenzgebiet zu Syrien Flüchtlingslager besuchen. Danach wolle er zu Gesprächen nach Teheran reisen, berichtete die türkische Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf türkische Diplomaten.

An der türkisch-syrischen Grenze hat sich die Lage am Montag nach tödlichen Schüssen auf Flüchtlinge weiter verschärft. Auf syrischer Seite seien mindestens zwei Menschen getötet und insgesamt elf weitere verletzt worden.

Unterdessen geht Russland von einem Rückzug der Regierungstruppen aus den Protesthochburgen am Dienstag aus. »Alles sollte unter Beachtung der Souveränität Syriens ablaufen, und die Gewalt muss eingestellt werden«, so Vizeaußenminister Gennadi Gatilow.

* Aus: neues deutschland, 10. April 2012


Kriegseinstiegsplan

Syriens Opposition: Kein Gewaltverzicht

Von Werner Pirker **


Der Friedensplan des UN-Sondergesandten Kofi Annan stehe vor dem Scheitern, kläfft die Medienmeute und macht selbstverständlich die syrische Regierung dafür verantwortlich. Diese verlangt von den Aufständischen die Zusage, die Waffenruhe ebenfalls einzuhalten. Und da die bewaffnete Opposition nicht unbedingt für ihre Handschlagqualität bekannt ist, soll dies in schriftlicher Form erfolgen. Dazu sind die Rebellen nicht bereit. Man hätte ohnedies bereits verbindliche mündliche Zusagen gemacht, behauptet ihr Anführer Riad Al-Asaad. Die Verweigerung einer schriftlichen Garantieerklärung wird mit dem eigenartigen Argument begründet, daß man das Assad-Regime ja nicht anerkenne.

Damit haben der »Syrische Nationalrat« und die von der arabischen Feudalreaktion aufgepäppelten Söldnertruppen der »Freien Syrischen Armee« Annans Friedensplan, sollte er als solcher überhaupt gedacht gewesen sein, die Grundlage entzogen. Sie haben klargestellt, daß für sie keine andere Lösung als der Sturz des Regimes in Frage kommt. Sie haben zuerst den Annan-Plan als allein der Regierungsseite auferlegte Verpflichtung zur Waffenruhe begrüßt und ihn dann abgelehnt, als er sich doch nicht so einseitig auslegen ließ. Nun weigern sich die Aufständischen, einer Waffenruhe zuzustimmen, um in der Folge das Scheitern des Annan-Planes auf die Weigerung der Regimeseite, einem einseitigen Gewaltverzicht zuzustimmen, zurückführen zu können. Unklar bleibt dabei, ob dem Plan des früheren UNO-Generalsekretärs friedliche Absichten zugrunde lagen, oder ob er nicht von Beginn an die sich nun abzeichnende Eskalation des Konfliktes zum Kalkül hatte.

Es ist jedenfalls offenkundig, daß sich Annans Aufforderungen, seinen Plan umzusetzen, stets an die Regierungsseite richten und die der Opposition vom Regime abverlangten Gewaltverzichtserklärungen als Hindernisse auf dem Weg zu einer friedlichen Lösung hingestellt werden. Es erscheint zudem als völlig absurd, von Damaskus die Umsetzung eines Friedensplanes zu verlangen, wenn sich die andere Seite an ihn nicht gebunden fühlt und deshalb nur mit Gewalt zu seiner Erfüllung gezwungen werden könnte. Dann aber hätte man das »blutrünstige« Assad-Regime erneut des Bruchs des Waffenstillstandes überführt, worin ja auch der Zweck der Übung bestand.

Das syrische Regierungslager kann somit nur noch verlieren. Im Bündnis mit den westlichen Hegemonialmächten und der arabischen Konterrevolution wird sich die Opposition von der fremdbestimmten Strategie eines »Regime Change« nicht mehr abbringen lassen. Das der Baath-Herrschaft folgende Regime wird weder antiimperialistisch noch demokratisch, noch sozial fortschrittlich sein. Die gewaltsame Beseitigung der mit Teheran verbündeten syrischen Machtelite könnte zum Einstiegsszenario für einen Krieg des Westens gegen den Iran werden. Der mediale Mob kann ihn kaum noch erwarten.

** Aus: junge Welt, 10. April 2012


Syrien ohne Feuerpause

Von Martin Ling ***

Kofi Annans Verhandlungserfolg scheint zu verpuffen: Abzug der Armeetruppen ab dem 10. April und Feuerpause ab dem 12. April. So sollte nach den Vorstellungen des UNO-Sondergesandten der Einstieg zum Ausstieg aus dem Bürgerkrieg in Syrien ablaufen. Damaskus will nun zu den bisherigen Bedingungen nicht mehr mitspielen, fühlt sich missverstanden und fordert Vorleistungen, die so von Annan nicht zu erbringen sind. Annan kann weder die Freie Syrische Armee (FSA) zur Waffenniederlegung zwingen noch die Türkei, Katar und Saudi-Arabien dazu, ihre Unterstützung für die FSA aufzugeben. Annan kann als Diplomat nur so viel erreichen, wie die Konfliktparteien und ihre Schutzmächte zuzugestehen bereit sind. Das ist offenbar nicht viel.

Baschar al-Assad hat sich den Aufstand mit dem Niederkartätschen friedlicher Proteste im März 2011 selbst eingebrockt. Doch es spricht nicht viel dafür, dass er der einzige Schurke in einem Machtkampf ist, der sich längst über die Landesgrenzen ausgedehnt hat. Die Türkei, Katar und Saudi-Arabien plädieren offen für einen Sturz des säkularen Baath-Regimes in Damaskus, und dem Westen um die USA und Israel käme ein Bruch in der Achse Iran-Syrien-Hisbollah auf alle Fälle gelegen. Russland wiederum verlöre mit Assad seine letzte Trumpfkarte im geostrategisch so wichtigen Nahen Osten. Das sind alles andere als gute Vorzeichen für einen Kompromiss am Verhandlungstisch, bei dem alle Parteien Abstriche von der totalen Macht machen müssten.

*** Aus: neues deutschland, 10. April 2012 (Kommentar)


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