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Annan macht weiter

Syrien: UN-Vermittler setzt nach Gespräch mit Präsident Assad Mission fort. Rußland wirft Westen Export einer "Raketen- und Bombendemokratie" vor

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Haben Sie das gehört? Zum ersten Mal hat Annan von der ›bewaffneten Opposition‹ gesprochen, das habe ich vorher von ihm noch nicht gehört.« Der Beobachter des Geschehens verfolgt die Arbeit der UN-Mission in Syrien von Anfang an und wollte zunächst seinen Ohren nicht trauen. Tatsächlich war die kurze Stellungnahme des UN-Sondervermittlers für Syrien, Kofi Annan, am Montag im Foyer des Hotels »Damaskus Rose« in Damaskus nur schwer zu verstehen. Zwischen dem Klicken der Kameras, dem Klingeln verschiedener Mobiltelefone und undefinierbaren Hintergrundgeräuschen ging die leise Stimme Annans fast unter. Er komme gerade von einer »sehr offenen und konstruktiven Diskussion mit Präsident Assad«, sagte Annan. Man sei sich einig gewesen, daß die Gewalt beendet und Wege und Mittel gefunden werden müßten, um das auch zu erreichen. Annan betonte zudem die Bedeutung des politischen Dialogs, was »der Präsident akzeptiert« habe. Assad habe seinerseits versichert, daß die Regierung sich dem Sechs-Punkte-Plan des UN-Beauftragten verpflichtet fühle, der müsse weit besser umgesetzt werden, »als es bisher der Fall gewesen ist.« Er werde den Dialog mit Präsident Assad fortsetzen, kündigte An­nan an, der Damaskus am Nachmittag wieder verließ. »Wir haben uns auf ein Vorgehen geeinigt, über das ich mit der bewaffneten Opposition sprechen werde«, schloß Annan schließlich die kurze Stellungnahme. Ein »Team hier vor Ort« werde sich damit weiter befassen. Schließlich rief Annan »Regierungen und andere Instanzen mit Einfluß dazu auf, ähnliche Anstrengungen zu unternehmen.«

Waffen und Kämpfer

Westliche Medien hatten am Wochenende unter Verweis auf ein Interview von Kofi Annan in der französischen Tageszeitung Le Monde dessen Mission als »gescheitert« bezeichnet, das habe er selber eingeräumt. Tatsächlich hatte Annan davon gesprochen, daß es der Mission nicht gelungen sei, die Gewalt zu stoppen. Dafür hatte er deutlich auch andere Akteure als Rußland und Syrien verantwortlich gemacht. »Rußland hat Einfluß, aber ich glaube nicht, daß die Ereignisse nur von Rußland bestimmt werden«, sagte Annan. Saudi-Arabien und Katar haben offen erklärt, Waffen und Kämpfer in Sy­rien zu finanzieren, die USA hilft nach Auskunft von Außenministerin Hillary Clinton den Aufständischen »mit nicht tödlicher Kommunikationstechnologie«. Alle involvierten Staaten sagten, »sie wollen eine friedliche Lösung«, sagte Annan Le Monde. »Gleichzeitig unternehmen sie individuell oder gemeinsam Dinge, die den Kern von UN-Sicherheitsratsresolutionen unterlaufen«.

Nur wenige Stunden nach der Annan-Erklärung in Damaskus meldeten die Nachrichtenagenturen dapd und Reuters, daß Rußland vorerst keine neuen Waffen in das Land liefern werde. Als Quelle nannten die Agenturen die russische Nachrichtenagentur RIA, die wiederum Wjatscheslaw Dsirkaln, den stellvertretenden Leiter der russischen Behörde für militärische und technische Zusammenarbeit als Quelle angaben. Dshirkaln habe am Rande der militärischen Luftfahrtschau im britischen Farnborough gesagt, es wäre verfrüht, jetzt über die Lieferung von Flugzeugen nach Syrien zu reden. Ende 2011 hatten Rußland und Syrien sich auf die Lieferung von 40 Schulungsflugzeugen der Marke Jak-130 verständigt.

Aktiver Dialog

Bei einem Treffen mit russischen Diplomaten kritisierte der russische Präsident Wladimir Putin den Westen für seine Einmischung in die Angelegenheiten der arabischen Welt. Unter dem Deckmantel von »humanitären Operationen« würden sie eine »Raketen- und Bombendemokratie« exportieren, sagte Putin. Westliche Staaten würden in arabischen Angelegenheiten teilweise eine einseitige Politik durchsetzen, die das Völkerrecht verletze. Hinsichtlich der Lage in Syrien sagte Putin: »Wir müssen alles in unserer Macht stehende tun, um die Kräfte der Opposition zu zwingen, einer friedlichen Lösung zuzustimmen.« Ein aktiver Dialog sei unumgänglich und gleichzeitig eine »kompliziertere und sensiblere Aufgabe, als mit einer militärischen Intervention aufzutrumpfen.« Nur eine diplomatische Lösung könne langfristig Frieden und Stabilität in der Region sichern.

Unter Syrern ist derweil die Hoffnung auf wirkliche Einflußnahme der Vereinten Nationen und des UN-Beobachterteams weiter gesunken. »Was hier geschieht ist nicht mehr in unseren Händen und nicht in den Händen der UN«, sagt ein Ladenbesitzer, der seinen Namen nicht in der Zeitung haben will. Jeder wisse, daß es das Vernünftigste wäre, sich zusammenzusetzen und zu reden, »aber es gibt zu viele Interessen um Syrien herum, die das verhindern.« Das aktuelle Mandat der UN-Beobachtermission läuft am 20. Juli aus. Der UN-Sicherheitsrat wird sich am morgigen Mittwoch mit Syrien befassen, eine Abstimmung über die UN-Mission (UNSMIS) ist für den 18. Juli vorgesehen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 10. Juli 2012


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