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Waffenruhe mit Störfällen

Trotz Aufflackerns von Gewalt halten sich Syriens Konfliktparteien offenbar an den Annan-Plan *

Die Waffenruhe in Syrien hält offenbar, bleibt aber brüchig. Bei Protestkundgebungen gegen die Regierung von Präsident Baschar al-Assad wurden am Freitag laut Opposition mindestens elf Menschen getötet.

Ungeachtet der geltenden Waffenruhe wurden aus mehreren Landesteilen Syriens, darunter der Grenze zur Türkei, vereinzelte Schießereien gemeldet. Zur Überwachung der Feuerpause wollen die Vereinten Nationen möglichst rasch Beobachter entsenden.

Landesweit gingen am Freitag Tausende Syrer auf die Straßen, um gegen die Regierung zu protestieren. Der Verlauf der Kundgebungen war mit Spannung als erste große Bewährungsprobe für die seit Donnerstagmorgen geltende Waffenruhe erwartet worden. Zu tödlichen Zwischenfällen kam es nach Angaben der Opposition in den Provinzen Idlib, Hasaka und Hama.

In der nördlichen Provinz Idlib sowie in Randbezirken der Hauptstadt Damaskus hätten Sicherheitskräfte mit scharfer Munition in die Demonstrationen im Anschluss an die Freitagsgebete gefeuert, hieß es. Proteste wurden auch aus der Hafenstadt Latakia, der Unruheprovinz Homs sowie der südlichen Provinz Daraa gemeldet. In der Ortschaft Darkusch nahe der türkischen Grenze schossen Soldaten und Milizionäre nach Angaben von Oppositionellen auf Demonstranten und verletzten fünf. Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete von einem etwa einstündigen Schusswechsel am Morgen zwischen Rebellen und der syrischen Armee nahe dem Grenzdorf Chirbet al-Dschoos. Nach Angaben der syrischen Opposition rückte die Armee mit Panzern auf die Ortschaft vor, um Freischärler der oppositionellen »Freien Syrischen Armee« zu vertreiben.

Der Betreiber der in London ansässigen syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, sagte am Freitag: »Insgesamt hält die Waffenruhe noch immer, in einigen Gebieten ist sie aber gebrochen worden.« Am Donnerstag waren nach Angaben von Oppositionellen in ganz Syrien trotz der Feuerpause mindestens 22 Menschen getötet worden.

Russland begrüßte die Waffenruhe. »Sie ist zwar brüchig, aber - wie Kofi Annan es selbst ausdrückte - es ist auch so ungewöhnlich für die dortige Situation«, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Deutliche Zweifel an einem dauerhaften Ende der Gewalt äußerte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy: »Ich glaube nicht an die Aufrichtigkeit von Baschar al-Assad. Ich glaube leider auch nicht an die Waffenruhe«, erklärte er. Es sei unabdingbar, Beobachter in das Land zu entsenden. »Ich bin überzeugt, dass die internationale Gemeinschaft ihre Verantwortung wahrnehmen muss«, so Sarkozy. Über humanitäre Korridore müsse denjenigen geholfen werden, die heute von einem Diktator massakriert würden.

Der fragile Waffenstillstand ist Teil eines Friedensplans, den der Syrien-Sondervermittler Kofi Annan im März vorgelegt hatte. Wichtigster Punkt ist ein Ende der Gewalt. Zudem sieht der Plan den freien Zugang für humanitäre Helfer und Journalisten und einen vorsichtigen demokratischen Wandel in Syrien vor.

Eine Beobachtermission zur Überwachung der Waffenruhe könnte schon in Kürze vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossen werden. Widerstand gegen eine Entsendung gebe es nicht, hieß es nach einer Sitzung des UN-Gremiums.

Die zuständigen UN-Stellen bereiten schon seit Wochen eine solche Mission vor. Zumindest ein Erkundungsteam soll gleich nach einem entsprechenden Beschluss des Rates abreisen können. Es soll nach Angaben aus UN-Kreisen aus bis zu 30 Soldaten bestehen, von denen die meisten schon bei bestehenden UN-Einsätzen im Nahen Osten im Einsatz sind.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 14. April 2012


Syrer demonstrieren wieder

Waffenruhe ermöglicht Proteste nach Freitagsgebeten. UNO will Beobachter schicken **

In Syrien haben am Freitag mehrere tausend Menschen gegen die Regierung demonstriert. Zu den Aktionen nach den Freitagsgebeten war im Internet mobilisiert worden, um die durch die UNO vermittelte Waffenruhe auf die Probe zu stellen. Die Behörden verschärften daraufhin die Sicherheitsvorkehrungen rund um die Moscheen. Das syrische Innenministerium ließ verlauten, die Syrer hätten das Recht zu Protestdemonstrationen. Es forderte deren Organisatoren jedoch auf, die Kundgebungen anzumelden, um sie in »ordentlicher und zivilisierter Weise« durchführen zu können.

Oppositionelle berichteten, in einigen Gegenden hätten Sicherheitskräfte in die Luft geschossen und Demonstranten verprügelt. Anzeichen für einen Beschuß oder Angriffe durch Scharfschützen gab es den Angaben zufolge jedoch nicht. Die sogenannte Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London meldete hingegen, in Hama, Salkin und Nawa seien drei Demonstranten getötet worden. Im Grenzgebiet zur Türkei soll es wieder zu Gefechten zwischen den Regierungstruppen und bewaffneten Rebellen gekommen sein. Die staatliche Nachrichtenagentur SANA meldete, am Freitag morgen sei in Damaskus ein Oberleutnant der Armee bei einem Bombenanschlag getötet worden. In Daraa wurde zudem der örtliche Sekretär der regierenden Baath-Partei, Naser Bhkeit Naser, aus einem vorbeifahrenden Auto heraus erschossen.

Der UN-Sicherheitsrat wollte noch am gestrigen Freitag über eine Resolution zur Entsendung einer Beobachtermission nach Syrien diskutieren. Dem Papier zufolge sollen 30 unbewaffnete Beobachter nach Syrien entsandt werden. Gefordert wird, daß sich die internationalen Abgesandten frei in dem Land bewegen können und die Möglichkeit zu vertraulichen Gesprächen mit allen Syrern haben, die sie zu treffen wünschen.

** Aus: junge Welt, Samstag, 14. April 2012


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