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Annans Mission wird letztlich erfolgreich sein

Assad-Kritiker George Jabbour über die mühselige Umsetzung des Sechs-Punkte-Planes des UNO-Sondergesandten *


George Jabbour gehört zu den inländischen Kritikern des syrischen Regimes. Der Geschichtsprofessor aus Damaskus war Parlamentsabgeordneter und Berater des früheren Präsidenten Hafez al-Assad. Mit dem derzeitigen Vorsitzenden der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen telefonierte Karin Leukefeld.


Die Welt blickt auf Syrien. Seit Dienstag 6.00 Uhr soll der Plan des UNO-Sondergesandten Kofi Annan für einen Waffenstillstand in zwei Stufen umgesetzt werden. Wie ist die Lage im Lande?

Soweit ich höre, haben die Spannungen nicht nachgelassen, die Kämpfe halten an. Das ist es, was wir hier in Damaskus Medienberichten entnehmen. Ich gehe davon aus, dass es nach und nach ruhiger wird, aber es wird dauern.

Kämpfe werden vor allem aus den Grenzgebieten mit der Türkei und Libanon gemeldet. Warum konzentrieren sich die Auseinandersetzungen dort?

Wichtiger als diese Kämpfe ist, dass die politischen Spannungen zwischen der Türkei und Syrien nachlassen und dass diese Spannungen nicht die Beziehungen zwischen Syrien und Libanon vergiften.

Gab es eine syrische Forderung nach einer schriftlichen Garantie der bewaffneten Gruppen, ihre Angriffe einzustellen?

Das ist Teil des Plans von Kofi Annan und es ist seine Aufgabe, das von den bewaffneten Gruppen zu fordern. Annans Mission muss sicherstellen, dass ein Waffenstillstand von allen Seiten eingehalten wird. Erst soll die syrische Regierung das Feuer einstellen, dann die bewaffneten Gruppen. Damit die syrische Regierung das Feuer einstellt, braucht man eine schriftliche Garantie, dass auch die Gegenseite das Feuer einstellt. Diese Garantie geht aber nicht an die syrische Regierung, sondern an Kofi Annan. Und nicht die syrische Regierung fordert so eine Garantie, sondern Annan muss sie fordern.

Hat Kofi Annan sich dazu geäußert?

Ich gehe davon aus, dass Herr Annan die Haltung Syriens sehr gut kennt. Möglicherweise diskutiert er darüber noch mit den verschiedenen Gruppen der Opposition. Wie Sie wissen, haben wir nicht eine Opposition, sondern verschiedene Gruppen. Und diese Zersplitterung arbeitet gegen einen Waffenstillstand.

Der Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan wird sehr unterschiedlich interpretiert und ausgelegt. Ist der Text nicht klar und eindeutig formuliert oder wie lassen sich die anhaltenden Diskussionen erklären?

Texte, die einen Konsens zwischen verschiedenen Parteien herbeiführen sollen, sind normalerweise immer etwas vage gehalten. Die verantwortliche Vermittlerperson, in diesem Fall Kofi Annan, interpretiert so eine Vereinbarung dann so, wie er es für richtig hält. Die aktuelle Entwicklung ist meiner Ansicht nach grundlegend und positiv.

Der syrische Außenminister Walid Mou’allem war in Moskau, um sich mit seinem Amtskollegen Sergej Lawrow zu besprechen. Haben sie etwas erreicht?

Zunächst einmal war es natürlich eine Gelegenheit, die jeweiligen Positionen zu erläutern. Und Syrien konnte Russland gegenüber seine Haltung zum Annan- Plan deutlich machen. Ich habe die Pressekonferenz im Fernsehen verfolgt und beide haben sich positiv zum Annan-Plan geäußert. Wir müssen einsehen, dass es Probleme bei der Umsetzung gibt, aber wichtig ist, dass man sich auf zentrale Punkte geeinigt hat. Diese verschiedenen Interpretationen der Präsidialerklärung des UN-Sicherheitsrates und wie Kofi Annan darauf reagiert, all das wird früher oder später gelöst. Ja, die Annan-Mission wurde behindert, aber ich bleibe optimistisch, dass diese Mission richtig ist und erfolgreich sein wird.

Russland und China drängen die syrische Führung, das Feuer einzustellen. Wer muss auf der anderen Seite die bewaffneten Gruppen drängen, das Gleiche zu tun?

Die USA müssen jetzt Druck auf ihre Verbündeten in der Region ausüben, den Annan-Plan umzusetzen, statt Geld und Waffen nach Syrien zu schicken.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 11. April 2012

Der Sechs-Punkte-Plan von Kofi Annan

Der Sondergesandte der UNO und der Arabischen Liga, Kofi Annan, hat mit den beteiligten Parteien einen Sechs-Punkte-Plan ausgehandelt, um das Blutvergießen zu beenden. Auch die Führung in Damaskus hatte ihm zugestimmt. Hier die Punkte im Einzelnen:
  1. Die Regierung in Damaskus verpflichtet sich, in Zusammenarbeit mit Annan einen politischen Dialog mit der Opposition aufzunehmen. Dabei sollen die Forderungen der Demonstranten zur Sprache kommen.
  2. Der vereinbarte Waffenstillstand soll durch die Vereinten Nationen überwacht werden. Zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Stabilisierung des Landes sollen alle Beteiligten die bewaffnete Gewalt in jeglicher Form beenden. Die Armee soll Truppenbewegungen beenden, den Einsatz schwerer Waffen in Wohnvierteln einstellen und mit der Verlegung der Soldaten zurück in die Kasernen beginnen.
  3. In den betroffenen Kampfgebieten muss ein sogenannter humanitärer Zugang gewährleistet werden. Dazu soll täglich eine zweistündige "humanitäre Pause" eingehalten werden.
  4. Des Weiteren soll die syrische Regierung "das Tempo und Ausmaß der Freilassung willkürlich festgenommener Personen" steigern und eine Liste mit allen Orten bereitstellen, an denen die Betroffenen festgehalten werden.
  5. Journalisten müssen sich frei im Land bewegen dürfen. Die Behörden dürfen Visa nicht mehr nur an ausgewählte Reporter ausstellen.
  6. Die syrische Regierung soll "die Versammlungsfreiheit und das Recht, friedlich zu demonstrieren, respektieren".
Quelle: www.tagesschau.de, 12. April 2012




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