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Botschaft steuert syrische Agenten

Als Diplomaten getarnte Spione spähen Exil-Opposition in Deutschland aus

Von Martin Kröger *

Aus der syrischen Vertretung in Berlin wird ein Spionagenetzwerk betrieben, das die regimekritische Exil-Opposition überwacht und Spitzel anwirbt, erklärte gestern die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes.

Diplomaten und Journalisten, die als Mitarbeiter der syrischen Botschaft getarnt sind, spähen verstärkt die Exil-Opposition des nahöstlichen Landes in Deutschland aus. »In der Botschaft sind die hauptamtlichen Nachrichtendienstmitarbeiter stationiert, die das Agentennetz führen und die Spionage betreiben«, erklärte gestern die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, im zuständigen Geheimdienstausschuss des Abgeordnetenhauses. Laut Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) haben sich »seit Beginn des arabischen Frühlings in Syrien die Aktivitäten der Nachrichtendienste dieses Landes hierzulande gesteigert«.

Erst Anfang Februar waren in der Hauptstadt zwei mutmaßliche Agenten des Assad-Regimes festgenommen worden. Die beiden Männer im Alter von 47 und 34 Jahren sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Gegen sechs weitere Verdächtige wird derzeit ermittelt. Jüngst hatte zudem die Bundesregierung vier syrische Diplomaten ausgewiesen.

Details zu den laufenden Verfahren wollte der Berliner Verfassungsschutz gestern mit Verweis auf die Ermittlungshoheit der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe nicht nennen. Laut Verfassungsschutz sind die nachrichtendienstlichen Aktivitäten Syriens in Deutschland jedoch nicht auf die bloße Informationsbeschaffung beschränkt: Die Agenten versuchen nämlich auch, gezielt Spitzel in den Exilorganisationen hierzulande anzuwerben. Besonders betroffen sind demnach kurdische sowie islamistische Gruppen, aber auch Menschenrechtsorganisationen.

Wer sich den Geheimdiensten nicht fügt, muss mit »Repressalien« rechnen, sagte Schmid. So werde beispielsweise Druck auf Familienmitglieder in Syrien ausgeübt, um Exil-Syrer in Deutschland zur Mitarbeit mit den Geheimdiensten zu zwingen.

»Für eine konkrete Gefährdung durch Anschläge für Exil-Syrer gibt es jedoch keine Anhaltspunkte«, sagte Schmid. In Berlin hatte es im Dezember vergangenen Jahres einen bis heute unaufgeklärten Fall gegeben, bei dem der syrische Exilpolitiker Ferhad Ahma nach eigener Aussage Opfer einer gewalttätigen Geheimdienstattacke wurde. Mit den Festnahmen von Anfang Februar hat der Fall Ahma laut Bundesanwaltschaft allerdings nichts zu tun.

Hauptverantwortlich für die Spionageabwehr in Deutschland ist das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Landesämter arbeiten der Bundesbehörde zu. CDU-Innensenator Frank Henkel bezeichnete die Spionageabwehr Deutschlands gestern »als funktionierend und erfolgreich«. Das habe die Enttarnung der syrischen Agenten gezeigt.

* Aus: neues deutschland, 16. Februar 2012


Herr Shaukat und andere Gäste

Deutschland jagt syrische Spione – und hat unlängst noch bestens mit Assads Schergen kooperiert

Von René Heilig **


Syriens Geheimdienst bespitzelt syrische Oppositionelle in Deutschland. Was für eine Erkenntnis, dem Verfassungsschutz sei Dank. Doch warum redet niemand über die traditionell guten Beziehungen deutscher Dienste zu Assads Folterknechten?

Am Dienstag vergangener Woche (7. Feb.) waren in Berlin zwei Syrer festgenommen worden, weil sie syrische Oppositionelle ausspioniert haben sollen. Drei Männer und eine Frau, die offiziell für die Botschaft gearbeitet haben, sind als Spione ausgewiesen worden.

Es gibt um die 15 Geheimdienste in Syrien – für welchen haben sie gearbeitet? Das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz weiß es nicht. Logisch, das Amt ist die falsche Adresse für solche Fragen. Doch der kundigere Bundesnachrichtendienst (BND) wird sich hüten, Wissen zu offenbaren. Beim Thema Syrien herrscht Schweigen. Zu schnell wäre man bei den SSMassenmördern Alois Brunner und Walter Rauff, die dem deutschen Auslandsnachrichtendienst wie dessen syrischen Partnern zu Diensten waren.

Alte Geschichten? Ja. Aber so verbürgt wie die aus jüngster Zeit. Der BND hat bestens mit syrischen Diensten zusammengearbeitet, wenn es mal wieder um »vitale deutsche Sicherheitsinteressen« ging. Man wollte Informationen über islamistischen Terror, die Sicherheitslage im Nahen und Mittleren Osten, über mögliche Migrationsbewegungen.

Was machte es da, dass syrische Geheimdienste in den 1980er Jahren weltweit Terroristen unterstützte, die auch in Deutschland Anschläge verübten? Damaskus gehörte zu den Hauptsponsoren der Carlos-Terrorbande. Die syrische Botschaft in der DDR half Sprengstoff nach Westberlin zu schaffen, mit dem das Kulturzentrum »Maison de France« in die Luft gesprengt wurde. Besonders effektiv war die BND-Kooperation mit »Silberfuchs«, so der Codename für den syrischen Militärgeheimdienst. Man muss sich ja nicht mögen, um sich auf »professioneller Ebene« zu nutzen.

Guido Steinberg – von 2002 bis 2005 Referent für internationalen Terrorismus im Bundeskanzleramt – bekannte 2007 vor dem BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages, er habe vor einer Kooperation mit Syrien »wegen der dort praktizierten Menschenrechtsverletzungen gewarnt«. Wer war Steinbergs Chef? Frank-Walter Steinmeier heißt der, ist heute SPD-Fraktionsvorsitzender und demnächst vielleicht sozialdemokratischer Kanzlerkandidat.

Auch das Menschenrecht von Mohammed Haydar Zammar war den Verantwortlichen egal. Der Mann mit deutschem Pass, der in Hamburg lebte, war in Verdacht geraten, Terrorhelfer zu sein. Beweisen ließ sich das nicht. Deutsche Dienste halfen den USA, Zammar nach Syrien zu bringen.

Dort ist Foltern erlaubt. Schon »im normalen Polizeigewahrsam sind Misshandlungen an der Tagesordnung «, hieß es im Bericht des Auswärtigen Amts vom 7. Oktober 2002 über »die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Syrien«. Zammar war vom Tode bedroht, Berlin kümmerte sich – und entsandte Verhörexperten von BND, BKA und Verfassungsschutz.

Das alles lief auf Weisung von »oben«. Kanzleramtschef Steinmeier hatte im Mai 2002 eine hochrangige Delegation unter Leitung des damaligen BND-Präsidenten August Hanning in die syrische Hauptstadt geschickt. Sogar das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständige Bundestagsgremium reiste nach Damaskus, um ein gutes Klima für die Agentenkooperation zu schaffen.

Der Gegenbesuch des damaligen Vize-Militärgeheimdienstchefs namens Assef Shaukat erfolgte im Juli 2002. Shaukat ist mit Bushra, Präsident Assads Schwester, verheiratet, er machte eine Blitzkarriere und galt zeitweise als stärkster Mann Syriens. Am 10. Juli wurden er und andere Assad- Günstlinge vom damaligen Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt Ernst Uhrlau empfangen. Uhrlau war bis Ende 2011 Chef des BND und berät jetzt die Deutsche Bank in punkto Sicherheit.

Quasi als Gastgeschenk übergab Uhrlau seinem Besucher, der heute Vizegeneralstabschef der bürgermordenden syrischen Armee ist, zwei syrische Spione, die in Deutschland vor Gericht standen. Das Kanzleramt setzte via Justizministerium die Einstellung des Verfahrens durch. Die Bundesanwaltschaft betrachtete das wegen der schweren Vorwürfe als außergewöhnlichen Schritt. Bundesanwalt Bruno Jost, der jetzt im Ruhestand zur Aufklärung der NSU-Nazi-Morde beitragen soll, kann sich an keinen vergleichbaren Vorgang erinnern. Einen Tag bevor der Richter das Urteil verkünden wollte, flog man die syrischen Agenten aus. Kurze Zeit später flog der BND-Chef erneut nach Damaskus. Jahre später behauptete die Bundesregierung dann, die deutschen Geheimdienstler seien von den Syrern über den Tisch gezogen worden.

Auch wenn sich der Schwerpunkt des deutschen Syrien-Interesses inzwischen verschoben haben dürfte – aus dem Blick lässt man das Land nicht. Im Januar flog der Einsatz des deutschen Flottendienstbootes »Alster« vor der syrischen Küste auf. Was das Aufklärungsschiff dort gemacht hatte, erfahren nicht einmal die Mitglieder des Verteidigungsausschusses. Lediglich Mitglieder des geheimen Geheimdienstkontrollgremiums wurden (nachträglich) informiert.

** Aus: neues deutschland, 16. Februar 2012


Politischpragmatisch

Von René Heilig ***

Dass eine Berufung auf den Verfassungsschutz höchst zweifelhaft ist, muss man nach dem Versagen gegenüber dem Neonazi-Terrorismus nicht betonen. Doch so allgemein, wie die Aktivitäten syrischer Dienste im jüngsten Verfassungsschutzbericht beschrieben sind, kann man dem wohl folgen. Zumal die Beschreibung auch auf viele befreundete »Diplomaten« zutrifft.

Assads Agenten, so liest man, »überwachen im In- und Ausland oppositionelle Gruppierungen und Einzelpersonen, in denen sie eine Gefahr für das Regime sehen«. Oh ja, jüngst noch galt uns die Stabilität Syriens sehr viel. Und so lange - wie vom Verfassungsschutz beobachtet - »islamistische und kurdische Gruppierungen« verfolgt wurden, ist man den Kollegen aus Damaskus ja sogar irgendwie dankbar. Inoffiziell. Dass auch - wie gleichfalls beobachtet - Regimekritiker und Menschenrechtsaktivisten verfolgt werden, hat bisher kaum gestört.

Wie auch, wenn man doch nicht nur auf Arbeitsebene einen engen Austausch pflegte? Es ist noch gar nicht so lange her, da buhlten Kanzleramt, BND, ja sogar das BKA um die Anti-Terror-Unterstützung der syrischen Kollegen. Und die hatten bisweilen so eine gewisse ekelhafte Affinität zu Deutschland - ob dessen jüngerer massenmörderischer Geschichte.

Aufflackerndes demokratisches Gewissen beruhigte man mit dem Zweck, der die Mittel heiligt. So ist es auch jetzt, nur unter anderen politischen Prämissen. Manch politischer Pragmatismus treibt einem den Mageninhalt nach oben.

*** Aus: neues deutschland, 16. Februar 2012 (Kommentar)


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