"Die USA haben den Sudan zu einem Schwerpunkt ihrer Aktivitäten in Afrika ausgebaut"
Bericht über eine Reise der Abgeordneten Norman Paech und Paul Schäfer in den Sudan vom 2. bis 7. Oktober 2006
Unmittelbarer Anlass dieser Reise waren die anstehenden Entscheidungen über die
Verlängerung des Mandats der UN-Mission im Südsudan (UNMIS) und der weiteren
Unterstützung der Truppen der Afrikanischen Union (AU) in der Provinz Darfur (AMIS). An
beiden Missionen ist die Bundeswehr beteiligt: an der gegenwärtig knapp 8000 Soldaten
(Sollstärke: 10 000) umfassenden UNMIS mit 36 Militärbeobachtern (Soll: 75), an der knapp
6000 Soldaten (Soll: 7700, 1600 Zivilpolizisten und 630 Militärbeobachter) umfassenden
AMIS mit 200 Soldaten, die allerdings in Darfur noch nicht eingesetzt sind.
Unsere Reise führte uns nach Khartum, der Hauptstadt des Sudan, nach Nyala, der
Provinzhauptstadt von Süd-Darfur und Juba, der Hauptstadt des Südsudan. Grundlage dieses
Berichtes sind zudem Gespräche in Khartum mit Abgeordneten der National Congress Party
und der südsudanesischen Befreiungsbewegung SPLM sowie mit Repräsentanten der
UMMA-Party und der Communist Party, die nicht im Parlament vertreten sind. In Nyala mit
dem Wali (Gouverneur von Süd-Darfur) sowie in allen drei Städten mit Repräsentanten und
Mitgliedern der UNMIS, der UN-Organisation für die Koordination humanitärer
Angelegenheiten (UN-OCHA), des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, des Deutschen
Entwicklungsdienstes (DED) und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ),
Humedica (Kaufbeuren), dem Joint Donor Office und der US-Konsulin Makila James in Juba.
Begleitet wurden wir jeweils vom deutschen Botschafter Dr. Keller und den Mitgliedern der
Botschaft Dr. Schissau und Frau Müller- Holtkemper, die die Gespräche für uns vorbereitet
hatten. Die von uns aufgesuchten Organisationen stellen nur einen Bruchteil der
Internationalen Organisationen dar, die derzeit in Sudan tätig sind. Das Land steht faktisch
unter genauester internationaler Beobachtung, die manche ausländische Beobachter auch von
einer Kuratel der internationalen Gemeinschaft sprechen lässt.
1. Darfur – AMIS
In der hiesigen Debatte um den Darfur-Konflikt wird gerne mit der Behauptung operiert, dort
fänden Völkermord und ethnische Vertreibungen statt. Daran wird die Forderung geknüpft,
UN-Truppen müssten unverzüglich auch ohne Zustimmung der zentralsudanesischen
Regierung nach Darfur entsandt werden. Nach unseren Erkenntnissen gilt zweierlei:
Die Begriffe Völkermord und ethnische Vertreibung passen auf die Gewaltverbrechen, die in
Darfur begangen werden, nicht. Und ein Kapitel VII-Einsatz gegen den Widerstand Khartums
wäre eine Invasion, die die Lage auf gravierende Weise verschlimmern würde. Das haben
auch nahezu alle unsere Gesprächspartner/innen so gesehen.
Legt man den Begriff des Völkermordes zugrunde, wie er in der Völkermordkonvention von
1948 kodifiziert ist, so verlangt er ein subjektives Element, nämlich die Absicht, „eine
nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu
zerstören „ (Art. II). Dieses Merkmal liegt bei aller Grausamkeit des Geschehens (UN: „the
world worst humanitarian crisis“) jedoch im Gegensatz zum Völkermord in Kampuchea oder
Ruanda nicht vor. In dem Konflikt spielen ethnische, rassische oder religiöse Motive keine
Rolle. Bei allen Parteien und Gruppen handelt es sich um Muslime. Der Grundkonflikt ist
Generationen alt und besteht zwischen sesshaften Bauern und wandernden Viehnomaden um
Wasser und Weideflächen, auf beiden Seiten finden sich „Araber“ und „Afrikaner“. Diese
Konflikte verschärfen sich in Zeiten der Dürre und haben bereits öfters, wie z.B. 1983/84 zu
Hungersnot und einer Anzahl unerklärter und unbeachteter Kriege geführt, in denen das
ansonsten funktionierende Schlichtungssystem zwischen den Stämmen versagte. Der jüngste
Konflikt erklärt sich aber nicht allein aus den ökonomischen und ökologischen Folgen von
Trockenheit und dem Kampf um Ressourcen, sondern aus der generellen Vernachlässigung
und Marginalisierung dieser Provinz.
Allerdings ist auch richtig: Es gibt keinen Zweifel an der hohen Zahl der Toten (ca. 300 000),
Vertriebenen (ca. 2 Mio.) und zerstörten Dörfer, den zahllosen Kriegsverbrechen und
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die immer noch andauern.
Und richtig ist auch: Die Vereinten Nationen und die Regionalorganisation Afrikanische
Union sind gefordert, alles Mögliche zu tun, um zu einer Beendigung dieser Gewalt
beizutragen.
Darfur („Land der Fur“) war über drei Jahrhunderte bis Ende des 19. Jhdts. ein unabhängiges
Sultanat, bis es zunächst unter türkisch-ägyptische Oberhoheit fiel und dann von einem angloägyptischen
Kondominium bis zum ersten Weltkrieg verwaltet wurde. Darfur erlangte in
dieser Zeit zwar wieder eine gewisse Autonomie, blieb aber außerhalb jeglicher
ökonomischer Entwicklung. Das änderte sich auch nicht, nachdem das Sultanat 1916 voll in
den Sudan integriert und noch stärker von Khartum abhängig wurde. Die nachfolgenden
Änderungen in der Verwaltungsstruktur und die Rekrutierung der Männer von Darfur für die
nationale Armee diente in keiner Weise den Interessen der Bevölkerung, sondern stärkte nur
noch die Abhängigkeit von der Zentralregierung nach der Devise „teile und herrsche“. 1994
wurde Darfur in drei Staaten: Nord-, West- und Süd-Darfur aufgeteilt. Die Aufhebung dieser
Teilung ist eine der Hauptforderungen der Rebellen, insbes. des „Justice and Equality
Movement“ (JEM).
In vielen Aspekten sind die Probleme Darfurs denen anderer marginalisierter und
vernachlässigter Regionen im Osten, Süden oder Norden des Sudan vergleichbar. Deshalb ist
der Darfur-Konflikt über seine regionalen Grenzen hinaus so gefährlich. Die ursprüngliche
Frontstellung, die sich aus den ersten Angriffen der „Sudanesischen Befreiungsbewegung“
(SLM) auf Regierungstruppen im Februar 2003 in der El Fasher (Nord-Darfur) ergab, ist
schon lange nicht mehr gültig. Nicht nur politische und strategische Meinungsunterschiede
und persönliche Rivalitäten, sondern auch das am 5. Mai 2005 nach langen Verhandlungen in
Abuja (Nigeria) geschlossene Darfur Peace Agreement (DPA) zwischen den Rebellen und der
Regierung hat die ohnehin zahlreichen Rebellengruppen weiter gespalten. Denn nur ein Teil
der SLM unter Mini Minnawi unterschrieb das Friedensabkommen, der andere unter Abdul
Wahid Nour nicht. Auch die JEM unterschrieb nicht und verband sich mit anderen
oppositionellen Gruppen im Juni 2006 in Asmara (Äthiopien) zur „National Redemption
Front“ (NRF), der sich jedoch Abdul Wahid nicht anschloss. Aber auch Minnawis Fraktion
der SLM hat sich inzwischen in zwei Flügel aufgespalten: einer, die sich mit Khartum für die
Umsetzung des DPA einsetzt und ein anderer, der die Aussetzung des Vertrages fordert.
Weitere Rebellengruppen wie die G-19 oder „Free Will“ des Stammes der Birgit lehnen
ebenfalls das Abkommen ab. Das hat zu dem weiteren Zerfall der Rebellenbewegung geführt,
deren einzelnen Gruppen nun übereinander herfallen. Am Freitag vor unserer Ankunft hatte es
bei einem Gefecht der Minnawi-Fraktion der SLM und der JEM südlich von Nyala wieder 11
Tote gegeben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Regierung in Khartum diese
Zersplitterung benutzt, um die einzelnen Gruppen durch Waffenlieferungen und
Unterstützung weiter gegeneinander auszuspielen.
Die Janjaweed, ursprünglich eine Art Privatmiliz der nomadisierenden Stämme, wurde im
Zuge der Aufstandsbekämpfung von der Regierung instrumentalisiert und „politisiert“: Wie
ein jüngster Report der BBC nachgewiesen hat, wurden die Janjaweed von Khartum ausgerüstet und militärisch ausgebildet; bei der Zerstörung von Dörfern und der Vertreibung
der Bevölkerung gab es häufig ein Zusammenspiel zwischen Luftangriffen der sudanesischen
Armee (Mit Antononvs und Helikoptern) und anschließender Brandschatzung durch die
Miliz. Für ihre Terrorakte erhielten die Janjaweed reichlich Lohn: Land und Vieh. Daher ist
davon auszugehen, dass diese Milizen inzwischen auch auf eigene Rechnung arbeiten und
teilweise einer Horde von Banditen und Marodeuren gleichen. In Folge des Darfur Peace
Agreements hat Khartum begonnen, die Janjaweed zu sogenannten Popular Defense Forces in
den von ihr kontrollierten Gebieten umzuformen.
Von gezielten Angriffen auf einzelne ethnische Gruppen, um sie zu vernichten, haben wir
nicht gehört. Allerdings berichtete das UN-Office des High Commissioner for Human Rights
(OHCHR) am 6. Oktober von Angriffen bewaffneter Milizen (ca. 300 bis 1000) des
„arabischen“ Habbania Stammes im späten August auf 45 Ortschaften in Süd-Darfur. Dort
leben ca. 10 000 Angehörige „afrikanischer“ Stämme der Massalit, Zaghawa, Fur und
Misserya Jebel. Die Angriffe sollen mit Kenntnis und Unterstützung von Regierungsstellen
geführt worden seien und einige hundert Tote hinterlassen haben. Die Dörfer sollen
angezündet, ausgeraubt und zahlreiche Einwohner vertrieben worden sein. Die Ursachen
dieses Konflikts reichen bis in die 1970er Jahre zurück, als Mitglieder dieser Stämme vor der
Dürre im Norden nach Süd-Darfur in die Umgebung von Buram flohen, sich dort ansiedelten
und Ackerbau begannen. Mit der Hungersnot von 1984 kamen weitere Migranten. Sie
behielten ihre alten Bräuche und Scheichs, fügten sich jedoch der Verwaltungshoheit der
Habbania, die dort lebten. Als der Konflikt 2003 begann, fanden die Rebellen Sympathie und
Unterstützung bei den zugezogenen Stämmen, während die Habbania enge Verbindungen zur
Regierung und ihren Milizen unterhielten. Bei einem Angriff der National Redemption Front
(NRF) am 24. August auf eine kleine Ortschaft nahe Buram wurden 30 Militärfahrzeuge der
Regierung entwendet, 7 Militärangehörige getötet und etliche verwundet. Es wird
angenommen, dass dieses Ereignis die Überfälle der Habbania zwischen dem 28. und 30.
August ausgelöst hat. Soldaten der AMIS haben nicht eingegriffen. Der HCHR hat die
Regierung aufgefordert, eine unabhängige Untersuchung einzuleiten, die Versorgung mit
humanitärer und medizinischer Hilfe zu erleichtern, die Zusammenführung der Familien zu
unterstützen und die Sicherheit für ihre Rückkehr sowie für die gesamte Bevölkerung durch
häufigere Polizeipatrouillen zu gewährleisten. Letzteres wird auch von AMIS mittels
Stationierung von Schutztruppen gefordert.
Für die vor Ort seit langem tätigen UN-Organisationen und NGO ist die Lage inzwischen
unübersichtlicher und schwieriger geworden. Hauptleidtragende ist die Zivilbevölkerung, die
sich nach wie vor in die Camps um die größeren Städte flüchtet und zum Teil in den Tschad
gegangen ist. Um Nyala mit seinen knapp 230 000 Einwohnern hat sich ein Gürtel von acht
Camps mit 400 000 Flüchtlingen (Internal Displaced Persons, IDP) gebildet. Nach UNHCRAngaben
gibt es derzeit 439 300 IDP in Nord-Darfur, 700 000 in West-Darfur und 770 811 in
Süd-Darfur. In den Camps werden die Menschen von zahlreichen internationalen
Organisationen mit dem Nötigsten an Nahrung, Medizin und Schulen für die Kinder versorgt.
Die Möglichkeiten, in die entlegenen Dörfer zu fahren, haben sich in letzter Zeit für die
humanitären Organisationen erheblich verschlechtert: zwischen Mai und Juli hat es die
höchste Zahl an Überfällen auf ihre Mitarbeiter seit 2003 gegeben.
Die afrikanischen Truppen der AMIS, die nach langen Verhandlungen in N’Djamena
(Tschad) und Abuja im Juli 2004 von der AU nach Darfur gesandt wurden, waren der auf sie
zukommenden Aufgaben offensichtlich nicht gewachsen. Ihr Mandat, welches sie vom
Friedens- und Sicherheitsrat der AU erhalten hatten, umfasste die Herstellung einer sicheren
Umgebung für humanitäre Hilfe und für die Rückkehr der IDP in ihre Dörfer sowie die Verbesserung der Sicherheit in ganz Darfur. Das Darfur-Friedensabkommen von 2005 hat diese Aufgaben noch einmal erweitert auf Überwachungs- und Kontrollaufgaben bei der Entwaffnung sowie die Einrichtung und Durchsetzung von Pufferzonen mit dem „robusten
Schutz der Zivilisten, humanitären Organisationen und humanitären Versorgungsrouten durch
AMIS“.
An dem Mandat kann das bisherige Scheitern der AMIS kaum liegen. Vorwiegend werden die
offensichtliche Unterausstattung der Truppen, die immer nur kurzfristige Verlängerung ihres
Mandats, die daraus mangelnde Motivation der Soldaten genannt. Die Spaltung der SLM hat
zudem die Sicherheitsanforderungen in und um die Camps deutlich erhöht – Aufgaben, die
die AMIS in ihrer derzeitigen Verfassung nicht effektiv bewältigen kann. Ob die kürzlich
angekündigte Verstärkung und weitere 4000 Soldaten die Situation grundsätzlich ändern, ist
zu bezweifeln, wenn sie nicht von einer substantiellen Verbesserung ihrer Ausrüstung und
Aktionsmöglichkeiten begleitet wird.
Forderungen nach dem Einsatz eines größeren UN-Kontingents mit einem erweiterten
UNMIS-Mandat ohne die Zustimmung der Regierung in Khartum werden vor Ort von
niemand erhoben und bis auf die Konsulin der USA in Juba, Makila James, ausdrücklich
abgelehnt. Eine Resolution des UN-Sicherheitsrats auf der Basis von Kapitel VII UNO-Charta,
die ein Eingreifen ohne Zustimmung erlauben würde, wird zudem nach Ansicht aller
am Veto der Chinesen und Russen scheitern. Der Gouverneur von Süd-Darfur machte darüber
hinaus deutlich, dass die Entsendung einer namhaften UNO-Truppe die Kriegssituation
erheblich verschärfen und ganz Darfur in Aufruhr bringen würde.
Der Stellvertreter von Jan Pronk, Sondergesandter des UN-Generalsekretärs bei der UNMIS,
Tayé-Brook Zerihoun hat daher am 22. September der Regierung in Khartum einen neuen
Vorschlag „AMIS-Plus“ unterbreitet, der die finanzielle und logistische Unterstützung der
Mission durch EU und UN enthält. Er deutete zugleich die Erweiterung dieses Hilfsangebots
an. Wesentlich seien glaubhafte internationale Sicherheitsgarantien, eine sichtbare
Entwaffnung der Janjaweed, mehr Geld für Kompensation und ein spürbarer Aufbau der
Gebiete, wo die Flüchtlinge und Vertriebenen einst lebten. Eine Antwort der Regierung ist
bisher nicht bekannt. Der Leiter des UN-OCHA-Büros in Nyala, Woel Haj-Ibrahim, betonte
den tribalen Charakter der Konflikte, der um Ressourcen aber auch um politischen Einfluss
und Dominanz im Friedensprozess des DPA gehe. Hinzu träten die immer schon bestehenden
Probleme mit der Bank- und Finanzkapitale Khartum. Er kam gerade aus der südlichen Stadt
El Gereida und berichtete von Gefechten zwischen der Minnawi-SLM und den Massalit aber
auch von der Bombardierung von Dörfern durch die Regierung im nördlichen Jebel Marra,
einem Berggebiet, von dem die Rebellion ihren Ausgang genommen hatte. Der besondere
Charakter des Kriegsgeschehens mit den ständig an verschiedenen Orten aufflammenden
Gefechten und Überfällen mit oft nur wenigen Beteiligten, die Unübersichtlichkeit und der
ständige Wechsel des Frontverlaufs haben ihn zu der Überzeugung gebracht, dass die
dringend notwendigen Sicherungsaufgaben am besten von einer starken, mindestens 30 000
bewaffnete Polizisten umfassenden Polizeitruppe mit ständiger Präsenz vor Ort
wahrgenommen werden könnten. Er plädiert für eine Ausstattung der AMIS mit einem
starken Mandat und ihre Unterstützung durch die UNO auf zivilem Gebiet – also ähnlich wie
Zerihoun für ein AMIS-Plus Konzept. Er äußerte darüber hinaus den Verdacht, dass einige die
AMIS gern diskreditiert sähen, um die UNO nach Darfur zu bringen.
Es sollte aber in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, dass alle unsere
Gesprächspartner/-innen für einen militärischen Schutz der Zivilbevölkerung in Darfur für
unausweichlich gehalten haben – ob es sich dabei um die unmittelbaren Opfer in den Lagern,
um die deutschen und internationalen NGOs oder um die politische Opposition in Khartum
handelte.
UNMIS hat bereits zivile Aktivitäten der Mediation und des Monitoring in Darfur, allerdings
auf niedrigem Niveau. Ihre Repräsentanten (vier in Nyala) halten Kontakt zu allen (!)
Rebellengruppen einschließlich den Janjaweed. Sie vermitteln, halten Seminare ab und
bemühen sich um die Verbreitung und Popularisierung des DPA unter der Bevölkerung. Auch
sie bestätigten die Vorwürfe, dass die Regierung die einzelnen Gruppen gegeneinander
ausspielen, um den Widerstand zu schwächen.
2. Südsudan - UNMIS
Das Mandat der United Mission In Sudan (UNMIS) bezieht sich auf die Überwachung und
Unterstützung der Durchsetzung des Comprehensive Peace Agreement (CPA), welches im
Januar 2005 zwischen der Regierung und dem Sudan People Liberation Movement (SPLM)
unter Führung von John Garang geschlossen wurde. Damit endete ein über zwanzig jähriger
Bürgerkrieg zwischen dem Norden und den Südprovinzen. Letztere weisen einen ähnlichen
Grad der Vernachlässigung und Marginalisierung auf wie Darfur. Allerdings charakterisieren
den Süden eine Reihe von Merkmalen, die beide Konflikte deutlich voneinander
unterscheiden: die Südprovinzen sind überwiegend christlich, sie verfügen auf Grund
reichlichen Wassers über ausreichend Acker- und Weideland und haben reiche
Ölvorkommen, wenn auch über ihren realen Umfang keine genauen Angaben gemacht
werden können. Schließlich ist der Widerstand nie in der Weise zersplittert und paralysiert
gewesen wie in Darfur. Der Konflikt mit dem Norden (Khartum) ist allerdings auch als
Antwort auf die Marginalisierung und Vernachlässigung des Südens zu verstehen.
Der Friedensvertrag (CPA) ermöglichte die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit
und einer autonomen Übergangsregierung des Südsudan in Juba. Die Übergangszeit endet im
Jahr 2011 mit einem Referendum der Bevölkerung über den zukünftigen Status der
Südprovinzen, d.h. über den Verbleib in einem „Neuen Sudan“, wie es die Vision von John
Garang gewesen war, oder der Sezession in einen separaten Staat. Mit dem Tod von Garang
verlor die Idee eines vereinten „Neuen Sudan“ seinen stärksten Protagonisten. Sein
Nachfolger Salvar Kiri sieht trotz verbalem Festhalten an der Einheit die Zukunft des
Südsudan in einem eigenen Staat. Dies ist – nach allen Auskünften, die wir erhielten - auch
die Ansicht von 95 % der Bevölkerung. Das liegt vor allem daran, dass weder die Regierung
der nationalen Einheit, in der die SPLM einige Minister hält, noch die SPLM-Regierung im
Süden irgendwelche sichtbaren Anstrengungen zur Umsetzung des CPA und für eine
gemeinsame staatliche Zukunft unternehmen. Selbst aus dem Norden kommen jetzt Stimmen,
die dem Fortbestand des Sudan in seinen jetzigen Grenzen keine Zukunft geben. Abgesehen
von der Teilung der Öleinnahmen zwischen Norden und Süden (dieser erhielt in den ersten
fünf Monaten von 2006 473 Mio. $) lassen sich Erfolge des CPA nur bei der spürbaren
Eindämmung größerer Feindseligkeiten, der Wiederherstellung normaler Lebensbedingungen
und der Einrichtung verschiedener gemeinsamer Institutionen zur Überwachung und Stärkung
der Sicherheit verzeichnen. Alle diese Erfolge basieren jedoch stark auf der Präsenz der
UNMIS, der UNDP und zahlreicher internationaler Regierungs- und
Nichtregierungsorganisationen.
Das Mandat der UNMIS ist ein in neuerer Zeit häufig vorkommender Zwitter auf der Basis
von Kapitel VI UNO-Charta („Friedliche Beilegung von Streitigkeiten“) mit Elementen von
Kapitel VII („Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandeln“)
zur Ausübung auch gewaltsamen Zwanges in begrenztem Umfang. Letzteres ist insbes.
notwendig für die Aufgaben der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der
Soldaten, der Durchsetzung des Waffenstillstandsabkommens und der Untersuchung von
Gewalt. Von eher größerem Umfang sind ihre zivilen Aufgaben wie die Einrichtung einer
unabhängigen Justiz und eines nationalen rechtlichen Netzwerkes zum Schutz der
Menschenrechte, Hilfe bei dem Aufbau einer zivilen Verwaltung, die Unterstützung der
Wahl- und Referendumsvorbereitungen, die Hilfe bei der freiwilligen Rückkehr von
Flüchtlingen und Vertriebenen (aktuell noch ca. zwei Mio., die sich im Norden aufhalten),
die Minenbeseitigung auf wichtigen Straßen sowie die Verbreitung des CPA in der
Bevölkerung etc. Entsprechend ist das zivile Element bei der UNMIS stark vertreten: auf
4400 (Soll) Infanterie kommen 4800 anderes Personal (Ingenieure, Minenbeseitiger etc.) und
750 unbewaffnete Militärbeobachter (75, aktuell 36, davon deutsche Soldaten). Hinzu kommt
eine rein ziviler Apparat von 1065 Mitarbeitern.
Das Vertrauen in die UNMIS und die Akzeptanz ihrer Arbeit ist allgemein sehr groß. Sie hat
zudem eine nicht unerhebliche Anzahl von Arbeitsplätzen für die einheimische Bevölkerung
geschaffen. Sie ist derzeit der einzige Garant für Sicherheit in einer Situation, die von
deutschen Beobachtern in Juba immer noch als äußerst labil eingeschätzt wird. Ein Abzug der
UNMIS würde ihrer Meinung nach die alten Auseinandersetzungen und Kämpfe wieder
aufleben lassen, da vor allem drei Grenzgebiete zwischen dem Norden und Süden streitig
sind: Abyei in West-Kordofan, die Nuba-Berge in Süd-Kordofan und Upper Nile. Hier sind
die Konflikte immer noch virulent und tragen stark politischen Charakter.
Die USA haben den Sudan zu einem Schwerpunkt ihrer Aktivitäten in Afrika ausgebaut. Er
ist ihr größter Entwicklungshilfeempfänger in Afrika. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die
USA das Militär der SPLM ausrüsten und trainieren, was nur von der Konsulin bestritten
wird. Sie arbeiten vornehmlich im Süden und dort auf allen modernen Feldern der sog.
Demokratisierung: „good governance“, Rechts- und Verfassungsberatung, Medieninformation
und Radioservice, Schulen etc. Aber auch auf den klassischen Gebieten der Entwicklungshilfe
wie Aufbau einer ökonomischen Infrastruktur, Straßen- und Brückenbau, Flusstransport und
Klinikstationen im ländlichen Bereich sind die USA aktiv, wobei sie eng mit nationalen und
internationalen NGO zusammenarbeiten. Sie sind von der Trennung des Südens vom Norden
nach 2011 überzeugt und unterstreichen dies mit dem Bau eines ausgedehnten
Konsularkomplexes, der schon jetzt die Dimensionen einer Botschaft hat.
Konsulin James gibt zwei Gründe für das auffällige Engagement der USA an: die humanitäre
Krise des Sudan und die noch immer nicht aufgegebene Unterstützung des internationalen
Terrorismus. Ob mit Blick auf diesen noch größten afrikanischen Staat zwischen den
rohstoffreichen Ländern West- und Zentralafrikas, dem Horn von Afrika und den Maghreb-
Staaten im Norden auch strategische Überlegungen im Spiel sind, ließ sie wohlweislich offen.
Aus dem Ölreichtum des Südens ziehen die USA bisher keinen Nutzen. Chevron hat seine
frühen Investitionen Mitte der achtziger Jahre wieder aufgegeben. Derzeit beherrschen
chinesische und malaysische Firmen mit langfristigen Verträgen das Feld. Die französische
Total-Fina-ELF versucht, ihre lange brachliegende Konzession wiederzubeleben, worüber es
juristische Auseinandersetzungen gibt. Zweifellos spielen auch die Öl- und Gasvorkommen in
der langfristigen Strategie der USA eine Rolle. Die gegenwärtig vergebenen Konzessionen
reichen bis in das Gebiet von Süd-Darfur. Die Regierung in Khartum hat auch Konzessionen
für West- und Nord-Darfur ausgeschrieben, in denen ebenfalls Ölvorkommen vermutet
werden. Sie sind bisher jedoch noch nicht vergeben worden. Deutsche Firmen sind nicht an
der Ölförderung beteiligt, sie engagieren sich vorwiegend bei Infrastrukturprojekten. Der
zeitweilig in der deutschen Presse hochgespielte Bau einer Eisenbahnlinie zum Öltransport
nach Kenia durch die Thormählen Schweißtechnik AG ist offensichtlich eine Chimäre und
spielt im Sudan selbst keine Rolle.
3. Schlussfolgerungen
Eine Verlängerung des UNMIS-Mandats erscheint, soweit es auf den Süden beschränkt bleibt,
unproblematisch. Die UNMIS hat dort erheblich zur Stabilisierung des Friedensprozesses
zwischen dem Norden und Süden beigetragen. Ihre Präsenz wird wohl auch in den nächsten
Jahren notwendig sein, da die Sicherheitslage nach wie vor sehr labil ist.
Norman Paech:
Die Rolle des kleinen deutschen Kontingents ist – abgesehen von seiner hervorragenden
Reputation – fragwürdig. Große Zeit des halbjährigen Einsatzes der Soldaten wird mit
Vorbereitung am Anfang und Übergabe am Ende ausgefüllt. Die kurze Zeit ihres
Patrouilleneinsatzes ist den Aufwand kaum wert, den er kostet. Die Posten sind nicht begehrt,
da sie eher die Karriere behindern. Es liegt die Vermutung nahe, dass die deutsche
Beteiligung an UNMIS eher zur Abstützung der deutschen Forderung nach einem ständigen
Sitz im UNO-Sicherheitsrat erfolgte, als aus Gründen der besonderen Qualifikation des
deutschen Personals. Die Bundesrepublik gibt derzeit etwa 100 Mio. Euro für die UNMIS
aus, mit 32,5 Mio. Euro ist sie einer der größten Geber für humanitäre Hilfe für den
Sudan/Darfur. In der Entwicklungszusammenarbeit spielt sie jedoch mit 13 Mio. Euro für den
Südsudan gegenüber anderen europäischen Ländern nur eine geringe Rolle. Die Mittel für das
deutsche Kontingent sollten sinnvoller für Projekte der humanitären Hilfe, des DED, der GTZ
oder des UNDP verwendet werden. Hier tut sich ein weites Feld sinnvoller Tätigkeiten in
Anknüpfung an alte Projekte der GTZ auf, die nicht fortgeführt wurden. Auch Projekte
gemeinsam mit der UNDP (Minenräumung, Waffenkontrolle und Entwaffnung, Vorbereitung
von Volkszählung, Wahlen und Referendum) wären eine sinnvolle und effektive Alternative
zu dem wenig überzeugenden Einsatz der Militärbeobachter.
Paul Schäfer:
Die deutschen Militärbeobachter und das deutsche Personal im Stab von UNMIS (insgesamt
36 Menschen) leisten im Rahmen des Mandats – soweit wir dies erkennen konnten –
nützliche Arbeit, die auf die Umsetzung des Friedensabkommens und die Gewährleistung des
Waffenstillstandes gerichtet ist. Konkret tragen sie dazu bei, gemeinsam mit Repräsentanten
der Sudanese Armed Forces und der SPLA, die Milizen zu registrieren, deren Einordnung in
die regulären Streitkräfte bzw. deren Auflösung inkl. Waffenabgabe zu verifizieren. Die
Mission stärkt die Vereinten Nationen, denen auch nach unserem Verständnis die Aufgabe
zukommt, Gewalt einzudämmen und Konflikte friedlich zu lösen.
Warum sich Deutsche nicht an einer solchen Mission, die der Entmilitarisierung und der
Zivilisierung dient, beteiligen sollen, erscheint mir nicht plausibel. Der Beitrag der
Bundeswehr ist sehr zurückhaltend und daher angemessen. Und diese Aufgaben können in
einem noch militarisierten Umfeld offenkundig nur von Soldaten wahrgenommen werden.
Was die Übertragung von AMIS auf die UN und damit die Ausdehnung von UNMIS auf
Darfur angeht, teilen wir die Ansicht, dass es keine Militärmission gegen den Willen der
Regierung in Khartum geben darf. Ein solcher Militäreinsatz ist allerdings gegenwärtig auch
schwerlich vorstellbar, da die aktuelle Resolution kein Mandat dazu enthält. Es gibt derzeit
keine Anzeichen dafür, dass die Regierung ihre Zustimmung geben wird. Eine Resolution auf
der Basis von Kapitel VII wird an der Ablehnung Chinas und Russlands scheitern.
Norman Paech:
Der Vorschlag des Repräsentanten des UN-Generalsekretärs Jan Pronk, das Mandat der
AMIS mit substantieller ziviler und logistischer Unterstützung der EU oder UNO
auszustatten, erscheint derzeit als die einzig realistische Alternative, da er an das bestehende
Mandat anknüpft. Die Antwort der Regierung steht noch aus. Ohne diplomatischen Druck auf
die Regierung, ihre Verpflichtung zur Entwaffnung der Janjaweed und Beendigung der
Bombardierungen einzulösen, wird sich die Situation für die Bevölkerung kurzfristig nicht
verbessern lassen. Die Chinesen und Russen müssen in diese diplomatischen Aktivitäten
eingebunden werden, inwieweit das geschieht, konnten wir nicht in Erfahrung bringen.
Für uns sollte der diplomatische (zivile) Prozess zur Lösung des Darfur-Konflits im
Vordergrund stehen. D.h. der DarfurDarfur Dialog (d.h. die Verhandlungen zwischen allen
beteiligten Gruppen in der Region) und die Verhandlungen über eine Nachbesserung des
Darfur PeaceAgreements, an denen neben der Regierung in Khartum alle Gruppen der Region
(!) beteiligt sein müssen, sind für uns elementar. Zugleich scheint zum Schutz der
Zivilbevölkerung und zur Sicherung der Versorgung der Menschen in den Camps eine
internationale Sicherheitspräsenz unvermeidlich. Klar ist, dass wir eine militärische
Erzwingungsintervention entschieden ablehnen.
Paul Schäfer:
Wie die Lösungsformel für einen Peace-Keeping-Einsatz in Darfur aussehen könnte, kann
von uns nur schwer beantwortet werden. Aber wir sollten darauf bestehen, dass der
Afrikanischen Union eine herausgehobene Stellung bei dieser Mission zukommen sollte. Der
Vorschlag, die Soldaten der AMIS durch 30.000 oder mehr Polizisten der AU zu ersetzen, ist
gut gemeint und geht in die richtige Richtung; er ist aber auf mittlere Sicht nicht praktikabel
und daher kurzfristig unrealistisch. Den Menschen muss jedoch unmittelbar geholfen werden
– wenn dies möglich ist.
Berlin, d. 23. Oktober 2006
Norman Paech, Paul Schäfer
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