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"In Deutschland nicht sonderlich willkommen"

Somalische Flüchtlingsfamilien scheitern an deutscher Botschaftsbürokratie in Kenia. Ein Gespräch mit Hubert Heinhold *


Hubert Heinhold ist Rechtsanwalt in München und stellvertretender Vorsitzender der Bundesarbeits­gemeinschaft Pro Asyl.

Flüchtlinge aus dem von Hungersnot und Bürgerkrieg zerrütteten Somalia mit asylrechtlichem Schutz in Deutschland haben das Recht auf Familiennachzug. Die deutsche Bürokratie vereitelt dies aber laut Pro Asyl.

Der Antrag auf Familiennachzug wird nur bearbeitet, wenn die Angehörigen ihn innerhalb einer Frist von sechs Monaten persönlich bei der deutschen Botschaft in Nairobi stellen. Das ist zur Zeit die einzige Stelle. In Somalia gibt es keine deutsche Botschaft. Wenn somalische Flüchtlinge beispielsweise zur deutschen Botschaft in Äthiopien gehen, verweist man sie nach Kenia. Das Problem dort ist aber: Die halbstündigen Termine werden nur im Computerverfahren über die Homepage vergeben. Die Terminauswahl ist einige Wochen im Voraus möglich. Theoretisch – praktisch gibt es einen Nachteil: Die Termine sind ständig ausgebucht. Jeden Tag um Mitternacht wird ein zusätzlicher Tag mit freien Terminen ins Internet gestellt. Deshalb sitzen Familien nachts vorm Computer und versuchen, einen zu erhaschen – meist vergebens, weil die Nachfrage zu groß ist. Standardauskunft hinter der gewählten Uhrzeit: »In diesem Zeitraum sind keine Termine frei«. Das ist logisch, denn viele Somalier haben eine große Familie. Will aber eine Mutter mit acht Kindern nach Deutschland, muß jedes Familienmitglied einen eigenen Termin buchen, selbst das Baby! Ein Rechtsanspruch auf Familiennachzug nach Deutschland besteht für viele nur auf dem Papier.

Welche Folgen hat das für die Betroffenen?

Wenn sie es von Somalia nach Kenia geschafft haben, sind sie »halblegal«, mit etwas Glück geduldet. Wer Pech hat, gerät in eine Razzia. Immer wieder wird berichtet, daß Flüchtlinge von dort nach Somalia abgeschoben werden. Einige meiner Mandanten wurden bereits beim Grenzübertritt inhaftiert und ausgewiesen. Es ist nicht leicht, zur deutschen Botschaft in Nairobi vorzudringen. Dort heißt es dann: Ein somalischer Paß ist vorzulegen, der wird zwar von Deutschland nicht anerkannt, muß aber dennoch bei der somalischen Botschaft beschafft werden. Zusätzlich ist eine »Befreiung von der Paßpflicht« nötig, eine Geburtsurkunde, Heiratsurkunde oder ähnliches. Auch eine Bescheinigung, daß sie Flüchtlinge sind, des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen muß her. Allein die Wartezeiten bei der somalischen Botschaft in Kenia betragen zur Zeit etwa sechs Wochen. Erst danach kann man versuchen, sich bei der deutschen Botschaft anzumelden, denn ohne Paßnummer geht da gar nichts. Flüchtlinge hängen also oft monatelang in Nairobi in Sammelunterkünften herum, stets in Gefahr, abgeschoben und Hungersnot und Gewalt ausgesetzt zu werden. Nairobi soll teuer sein. Möglicherweise ist am Ende ihre Frist bei der deutschen Botschaft abgelaufen, dann gilt ihre »Privilegierung« nicht mehr. Das heißt: Dem Antrag wird nur stattgegeben, wenn Angehörige in Deutschland Wohnung und Unterhalt zahlen können.

Vermuten Sie Absicht hinter diesen fast unüberwindbaren bürokratischen Hürden?

Diese Menschen sind in Deutschland nicht sonderlich willkommen. Deshalb unternimmt man wenig, um die bürokratischen Abläufe zu vereinfachen und beispielsweise einen Termin für die ganze Familie vergeben.

Ist es eine deutsche Spezialität, auf diese Art Menschen an der Einreise zu hindern?

Flüchtlinge haben berichtet, das soll es auch in anderen europäischen Ländern geben.

Was fordern Sie, um den Mißstand abzustellen?

In der Verantwortung stehen der deutsche Außenminister Guido Westerwelle und die deutsche Botschafterin in Nairobi, Margit Hellwig-Bötte. Ich fordere, daß es möglich sein muß, an die Botschaft schneller heranzukommen. Es muß Sondertermine für große Familien geben. Auch die deutsche Botschaft in Äthiopien muß tätig werden. Es kann nicht sein, daß Familienangehörige, denen die Flucht dorthin gelungen ist, sich erst nach Kenia durchschlagen müssen, um einen Antrag zu stellen. Gerade weil die Reise beschwerlich und gefährlich ist, muß das bürokratische Verfahren vereinfacht werden. Außerdem geht es hier nicht um Massen von Flüchtlingen, sondern um höchstens 1500 Personen.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, 29. Juli 2011


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