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Vucic diktiert in Serbien Tempo und Themen

Für die Parlamentswahlen wird ein erdrückender Sieg der konservativ-neoliberalen Fortschrittspartei prognostiziert

Von Boris Kanzleiter, Belgrad *

Serbiens neuer Politstar Aleksandar Vučić will die erwartete satte Mehrheit bei den vorgezogenen Wahlen zu tief greifenden, aber schmerzhaften Reformen nutzen.

Wenn die Meinungsforscher richtig liegen, kann sich Aleksandar Vučić auf einen überwältigen Wahlsieg freuen. Seine Serbische Fortschrittspartei (SNS) hat bei den Parlamentswahlen am Sonntag Aussichten, über 45 Prozent der Stimmen zu erlangen. Damit könnte sie sogar die absolute Mehrheit der Mandate erreichen. Als zweite Kraft dürften die Sozialisten (SPS) abschneiden. Deklassiert werden dagegen wohl die liberalen Parteien. Die einst mächtige Demokratische Partei (DS) liegt bei unter zehn Prozent, so wie die Neue Demokratische Partei (NDS) des ehemaligen Präsidenten Boris Tadić, der die DS verlassen hat, und die Liberaldemokratische Partei (LDP).

Wie das voraussichtliche Wahlergebnis sah auch der Wahlkampf aus. Der Frontmann der Fortschrittspartei stellte alle seine Konkurrenten in den Schatten. Der amtierende Vizepremier diktierte Tempo und Themen. Die Stichworte seiner Kampagne lauteten »Reformen« und »Kampf gegen Korruption«. Vučić verspricht Investitionen, Arbeitsplätze und Wohlstand in einem Serbien, das bald der Europäischen Union beitreten wird. Dabei fordert der 43-Jährige die Bürgerinnen und Bürger auf, seinem persönlichen Beispiel zu folgen: früh aufzustehen, hart zu arbeiten und nicht nach persönlichem Vorteil zu trachten, sondern sich dem Gemeinwohl zu opfern. Neben dieser Stilisierung Vučićs liegt das Erfolgsrezept der Fortschrittspartei in der Neutralisierung der liberalen Kräfte.

Vučić distanziert sich deutlich von seiner rechtsextremen Vergangenheit in der Serbischen Radikalen Partei (SRS). Statt um Kosovo zu kämpfen, will sich Vučič mit den Nachbarn in der Region versöhnen. Statt wie noch vor wenigen Jahren Lobeshymnen auf Radovan Karadžić zu singen, verehrt er jetzt Angela Merkel. Vor allem in der neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundeskanzlerin sieht er ein Vorbild. Und über allem steht: Serbien muss sich von »korrupten Oligarchen und Politikern« befreien und »Reformen« durchführen, um Investitionen ins Land zu holen. Nur so könne die stagnierende Wirtschaft in Gang gebracht werden.

Der Reformeifer der Fortschrittspartei bringt vor allem die etablierten liberalen Kräfte in Bedrängnis. Seitdem das Schreckgespenst des Rechtsextremismus verschwunden ist, haben sie plötzlich keine Themen mehr. Diese politische Schwäche wird durch die Eitelkeit des Führungspersonals verstärkt. Die Demokratische Partei des 2003 ermordeten Premierminister Zoran Djindjić ist mittlerweile in mehrere Parteien zerfallen, deren Galionsfiguren sich bitter bekämpfen.

Die Sozialisten fungieren indes als fünftes Rad am Wagen der SNS. Seit Sommer 2012 koalieren sie mit der Fortschrittspartei. Obwohl die SPS damals deutlich weniger Stimmen erhalten hatte, durfte ihr Chef Ivica Dačić sogar Premier- und Innenminister werden. Dafür musste der ehemalige Pressesprecher Slobodan Miloševićs aber die Kastanien aus dem Feuer holen. Es war Dačić, der im Herbst des vergangenen Jahres in Brüssel den unpopulären Kosovo-Kompromiss geschlossen hat. Und Aleksandar Vulin von der kleinen Bewegung der Sozialisten (PS), einer nationalistischen Abspaltung der SPS, musste den Kompromiss als Kosovo-Minister gegen die Serben in der südlichen Provinz durchsetzen. Damit haben sich SPS und PS gleich doppelt geschadet: Einerseits enttäuschen sie ihre nationalistische Klientel, andererseits tragen sie eine neoliberale Regierung mit. Von einem linken programmatischen Profil keine Spur.

Aufwind für die kleine außerparlamentarische Linke könnte dagegen bald durch gewerkschaftliche Kämpfe entstehen. Auf dem Programm der Fortschrittspartei stehen die Flexibilisierung der Arbeitsgesetzgebung, die Privatisierung verbliebener Staatsbetriebe und eine Kürzungsorgie im Öffentlichen Dienst. Gewerkschaften und soziale Bewegungen haben Protest angekündigt.

* Boris Kanzleiter leitet das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Südost-europa in Belgrad.

Aus: neues deutschland, Samstag, 15. März 2014



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