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Wenn die Heizung zu teuer wird

Serbien: Proteste gegen steigende Energiepreise in Niš. EU und IWF fordern "Strukturreformen"

Von Daniel Kerekeš *

Mehr als 1.000 Bewohner der drittgrößten serbischen Stadt Niš sind in der vergangenen Woche gegen steigende Heizkosten auf die Straße gegangen. Der städtische Mieterbund – Hauptinitiator der Proteste – verlangt eine Senkung der Heizkosten um zehn Prozent und die Möglichkeit, sich vom Fernwärmenetz abzumelden. Schon seit Monaten rumort es deswegen in der Bevölkerung.

Viele Einwohner können sich die Gebühren nicht mehr leisten. »Das hier ist unsere letzte Möglichkeit, uns zu wehren,« erklärte der Vorsitzende des örtlichen Mieterbundes, Djokica Jovanović, gegenüber dem Sender B92. Die Demonstranten haben für Ende Juli neue Proteste angekündigt, sollten die Heizbetriebe ihren Forderungen nicht nachkommen.

Es sind vor allem neoliberale »Reformen«, die für die sozialen Verwerfungen des Landes verantwortlich sind. Diktiert werden diese vor allem von der EU, mit der Serbien ein Assoziierungsabkommen geschlossen hat, und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). So musste das Land 2014 seine Ausgaben kürzen, um einen Kredit des IWF zu erhalten. Andernfalls drohte Belgrad die Zahlungsunfähigkeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte bei ihrem jüngsten Besuch Anfang Juli ausdrücklich, dass das Haushaltsdefizit auf unter drei Prozent gedrückt werden soll.

Die Maßnahmen, die dafür ergriffen wurden, gingen zu Lasten der Rentner und Angestellten im öffentlichen Dienst: Pensionen und Gehälter wurden im Januar um zehn Prozent gekürzt. Die Gewerkschaften wurden bei diesem harschen Eingriff außen vor gelassen.

Noch heute lobt sich die Regierung selbst für diese »Reformen«. Sie seien der »erste große Schritt aus der wirtschaftlichen Krise des Landes«, erklärte der Fiskalratsvorsitzende Pavle Petrović gegenüber der Zeitung Večernje Novosti. Das Land stehe jedoch erst am Anfang. Nach rumänischem Vorbild solle die Mehrwertsteuer weiter angehoben werden, Stellen und Mittel im öffentlichen Dienst werden gestrichen und Strom-, Heiz- und Wasserpreise sowie Steuern erhöht.

Darüber hinaus fordert der IWF den Verkauf sämtlicher Staatsbetriebe. In einer ersten Privatisierungswelle standen bereits über 500 Staatsbetriebe zum Verkauf. Darunter auch Fußballklubs wie Rad Belgrad aus der obersten serbischen Liga. In einer weiteren Runde sollen die Staatsbahn, Telekom, Gasversorger Srbijagas und der größte Stromproduzent EPS privatisiert werden. Außerdem sollen Betriebe geschlossen werden, die nach marktwirtschaftlichen Standards nicht profitabel sind. Bisher sind davon 188 Unternehmen betroffen. »Serbien verkauft heute alles, führte Haushaltskürzungen und Antistreikgesetze ein, nur um Kreditlaufzeiten zu verlängern, die Währung stabil zu halten und um neue Kredite abzubezahlen«, kritisiert Vladimir Unkovski-Korica vom Linksbündnis Levi samit Srbije (Linker Gipfel Serbien).

Die hohe Arbeitslosigkeit ist die Folge von Privatisierungen und Massenentlassungen im öffentlichen Dienst. Nach offiziellen Angaben des Nationalen Dienstes für Arbeit betrug die Erwerbslosenquote Serbiens im Juni 19,2 Prozent.

Der nationalkonservative serbische Premierminister Aleksandar Vučić verbucht den minimalen Rückgang der Arbeitslosigkeit von drei Prozent als seinen Erfolg. Obwohl gerade einmal knapp die Hälfte der arbeitsfähigen Bewohner des Landes eine Anstellung mit dem Mindestlohn von einem Euro pro Stunde haben.

In Niš zeigen sich die Auswirkungen dieser neoliberalen Verarmungspolitik. Die Demonstranten wollen nun in immer kürzeren Abständen auf die Straße gehen. Gleichzeitig werden sie gegen die Stadt juristisch vorgehen. Der Oberbürgermeister ruderte daraufhin zurück und kündigte an, die Heizkosten für 2016 um 0,09 Cent pro Kilowattstunde zu senken.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 21. Juli 2015


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