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Geschichte vor Gericht

Serbien: Die Rehabilitierung des Tschetnik-Führers und Nazikollaborateurs Mihailovic soll kommunistische Partisanen in Misskredit bringen

Von Roland Zschächner *

Nach dem Anführer der nationalistischen Tschetniks, Dragoljub »Draža« Mihailovic, soll in Belgrad ein Straße benannt werden. Das verlangte am vergangenen Freitag Dejan Culic, Mitglied der rechten Demokratischen Partei Serbiens (DSS) und Stadtrat der serbischen Hauptstadt. Möglich wurde culics Forderung, nachdem das Höhere Gericht am Donnerstag Mihailovic rehabilitiert hatte. Das verhängte Todesurteil vom 15. Juli 1946 sei »aus politischen und ideologischen Gründen ungesetzlich« gewesen, hieß es in der Urteilsbegründung. Die Entscheidung ist endgültig und kann nicht angefochten werden.

Laut dem serbischen Fernsehsender RTS hat das Gericht nur darüber geurteilt, ob dem ehemaligen General der Königlichen Jugoslawischen Armee ein »faires und rechtmäßiges Verfahren« zuteil geworden sei. Ausgeklammert wurde, ob Mihailovic, der nun die damals aberkannten Bürgerrechte zurückerhält, ein Kriegsverbrecher war.

2006 hatte Mihailovics Enkel Vojislav, wie auch andere Nachfahren von Tschetniks, gegen das Todesurteil geklagt. Unterstützung erhielt er von nationalistischen Parteien. Immer wieder stand die Einstellung des Verfahrens im Raum. Doch die mitregierende Sozialistische Partei, die als Statthalterin der Interessen der Veteranen des Befreiungskampfes gilt, konnte sich nicht gegen den größeren Koalitionspartner, die rechte »Serbische Fortschrittspartei«, durchsetzen.

Die Verhandlungen wurden von antifaschistischen Protesten begleitet. Oft standen linke Demonstranten den Anhängern der Ravna-Gora-Bewegung von Mihailovic gegenüber. In der vergangenen Woche tauchte zudem der Vorsitzende der nationalistischen Radikalen Partei, Vojislav Šešelj, vor dem Gerichtsgebäude auf, um für den Tschetnik-Anführer das Wort zu ergreifen. Neben Šešelj waren laut einer Meldung der Nachrichtenagentur Tanjug am vergangenen Donnerstag auch Aleksandar Karacorcevic, Kronprinz der serbischen Königsfamilie, sowie Anhänger verschiedener rechter Gruppierungen im Gerichtssaal, um der Urteilsverkündung beizuwohnen.

Partisanenorganisationen kritisierten die Entscheidung und verwiesen auf die Verbrechen der Tschetniks im Zweiten Weltkrieg. Die Vereinigung der Kämpfer des Volksbefreiungskrieges SUBNOR nannte das Urteil in einer Stellungnahme »schändlich« und »gefährlich«. Das Andenken an die Rolle der Partisanen bei der Befreiung Europas vom Nazismus werde dadurch getilgt. Auch der Bund der Antifaschisten Serbiens kritisierte das Urteil als Geschichtsrevisionismus. Nun würden Schülern Lügen beigebracht.

Ziel der Rehabilitierung Mihailovics und der Tschetnik-Bewegung ist, die Partisanen unter der Leitung der Kommunistischen Partei in Misskredit zu bringen. Letztere hatten das Land von den faschistischen Besatzern befreit und das zweite Jugoslawien als sozialistischen Staat errichtet. Nach dem Sturz von Slobodan Miloševic im Jahr 2000 und der konsequenten Durchsetzung des Kapitalismus sollte die historische Rolle der Kommunisten umgeschrieben werden: Sie wurden zu Tätern und die Kollaborateure zu Helden erklärt. 2004 wurden ehemalige Tschetniks rechtlich und sozial den Partisanen von einst gleichgestellt.

Mihailovic war nach dem Überfall der Faschisten auf Jugoslawien 1941 und der Flucht des Königshauses nach London zum Kriegsminister der Exilregierung ernannt worden. Er verblieb im Land und wurde zum Anführer der »Jugoslawischen Armee im Vaterland«. Diverse Freischärlertrupps, die sich in Anlehnung an historische Kämpfer als »Tschetniks« bezeichneten, stellten sich unter sein Kommando, ohne gänzlich von ihm kontrolliert zu werden.

Anfangs leisteten Tschetnik-Einheiten Widerstand gegen die Wehrmacht. Doch mit dem Erstarken der Tito-Partisanen kollaborierten die Nationalisten mit den faschistischen Besatzern. Ideologische Klammer war der Antikommunismus. So wurden Tschetnik-Verbände in Offensiven gegen den antifaschistischen Widerstand eingebunden, etwa bei der Zerschlagung der Republik von Užice Ende September 1941 oder der Schlacht an der Neretva im Frühjahr 1943.

Die Tschetniks folgten der Strategie, sich mit den Besatzern zu arrangieren, um sich so ihrer Feinde zu entledigen. Ihr Ziel war ein ethnisch homogenes und orthodoxes »Großserbien«, das sich über Serbien, Mazedonien, Montenegro, Bosnien und Kroatien erstrecken sollte. Tausende Muslime, Katholiken, Kommunisten und Serben fielen ihnen zum Opfer.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. Mai 2015


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