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Protest gegen NATO

Demo gegen Konferenz des Militärpaktes in Belgrad gewaltsam aufgelöst

Von Annemarie Hummel *

In der serbischen Hauptstadt Belgrad haben Polizeieinheiten am Sonntag (12. Juni) eine Demonstration gegen eine derzeit vor Ort stattfindende NATO-Konferenz über eine strategische Militärpartnerschaft gewaltsam aufgelöst. Wie Goran Music, einer der Organisatoren des Anti-NATO-Protestes, auf jW-Anfrage mitteilte, wurden Teilnehmer der friedlichen Protestaktion in der Belgrader Innenstadt festgenommen. Ihnen wird nun in laufenden Schnellverfahren die »Störung der öffentlichen Ordnung« und »Behinderung der Polizeieinsatzes während einer Festnahme« vorgeworfen. Die Polizei weigere sich, Informationen über die Festnahme zu veröffentlichen, so Music. Er gehe davon aus, daß die Festgenommenen und Angeklagten in den Schnellverfahren »nicht in der Lage sein werden, sich angemessen zu verteidigen, um z. B. mit Fotos und Filmaufnahmen nachzuweisen, daß ihr Protest absolut gewaltfrei war und auch nicht die öffentliche Ordnung gestört hat.« Eltern und Freunde der Festgenommen, die sich am Montag im Radio- und Fernsehsender B92 nach dem neuesten Stand erkundigen und ihre Erfahrungen weitergeben wollten, wurden von Polizeikräften zum Verlassen des Senders gezwungen. Am Dienstag wurde bekannt, daß mehrere Demonstranten in den Schnellverfahren zu Haftstrafen zwischen 14 Tagen und einem Monat verurteilt wurden.

Music hatte zusammen mit anderen linken Aktivisten in Serbien die Kampagne gegen die dreitägige NATO-Versammlung gegründet, die am heutigen Mittwoch (15. Juni) in Belgrad zu Ende geht. An ihr nehmen hochrangige Vertreter der NATO-Mitgliedsstaaten ebenso teil wie Regierungsmitglieder aus Serbien, Bosnien und Herzegowina und Montenegro. Serbien gehört nicht der NATO an, ist aber seit 2006 im Rahmen der »Partnerschaft für den Frieden« näher an sie herangerückt. Im Mittelpunkt der Konferenz steht dem Vernehmen nach die Weiterentwicklung der NATO-Strategie im Mittelmeerraum, im Mittleren Osten und in Südosteuropa.

Über die Veranstaltung sei die serbische Öffentlichkeit in den meisten inländischen Medien nicht unterrichtet worden, so Music. Er selbst und die anderen Mitinitiatoren der Protestbewegung hatten davon erst durch einen NATO-Internetauftritt erfahren. Belgrad, das im Frühjahr 1999 von NATO-Einheiten im Zuge eines Angriffskriegs heftig bombardiert worden war, sei »als Veranstaltungsort der NATO-Konferenz inakzeptabel«, heißt es in der Bündnisplattform, die sich »gegen alle Formen von Rassismus, Chauvinismus und religiösem« Fanatismus wendet. Die NATO sei jedoch »nicht nur das Problem des Volks in Ser­bien, sondern der ganzen Welt«, so der Appell. Das Bombardement Serbiens sei »nur ein Glied einer langen Kette zerstörerischen, gegen die Menschheit gerichteten NATO-Aktionen, die heute auch in Libyen fortgeführt werden«, so der Aufruf zur Organisierung eines Protestcamps und einer friedlichen Demonstration.

Weil sich die serbische Regierung jedoch in den letzten Tagen entschlossen zeigte, ein Gesetz rigoros anzuwenden, das Demonstrationen aus Anlaß von zeitgleich stattfindenden hohen Staatsbesuchen verbietet, hatten die Organisatoren das geplante Protestcamp abgesagt.

Schon in den letzten Tagen habe es ein hohes Maß an Repression gegen die Aktivisten der Anti-NATO-Kampagne mit Verhaftungen, Verhören und Drohungen durch die Polizei gegeben. Urheber des harten Vorgehens der Polizei ist laut Music der serbische Innenminister Ivica Dacic. Er war zwischen 1992 und 2000, also während des NATO-Angriffskrieges, Pressesprecher der Sozialistischen Partei Ser­biens des früheren Präsidenten Slobodan Miloševic und seit Dezember 2006 ihr Vorsitzender. Seit Juli 2008 ist Dacic Vizepremier und Innenminister einer Koalitionsregierung mit der Demokratischen Partei. Offenbar wolle die Dacic-Polizei nun alle Stimmen gegen einen serbischen NATO-Beitritt zum Schweigen bringen, argwöhnt Music.

* Aus: junge Welt, 15. Juni 2011


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