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Mladic-Verhaftung spaltet Serbien

Belgrader Regierung: Auslieferung des Exgenerals ans Haager Tribunal in zwei bis vier Tagen *

Die Auslieferung des serbischen Exgenerals Ratko Mladic, der vom Jugos-lawien-Tribunal in Den Haag schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt wird, dürfte noch ein paar Tage dauern. Mladic verlangte am Montag (30. Mai) weitere Gesprächspartner und will das Grab seiner Tochter besuchen.

Die Auslieferung des bosnisch-serbischen Exgenerals Ratko Mladic an das Internationale Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag wird nicht so schnell geschehen, wie von den Belgrader Behörden ursprünglich mitgeteilt. »Das ganze Verfahren kann von heute an gerechnet wenigstens zwei und maximal vier Tage dauern«, sagte der Staatssekretär im serbischen Justizministerium, Slobodan Homen, am Montag dem Belgrader TV-Sender B92. Mladic selbst verlangt in seiner Zelle weitere Gesprächspartner und äußerte den Wunsch, das Grab seiner Tochter zu besuchen, die sich 1994 angeblich aus Gram über den Vater umgebracht hatte.

Mladic ist aus ärztlicher Sicht gesundheitlich in der Lage, einen Prozess vor dem Tribunal in Den Haag durchzustehen. »Der Patient Mladic ist in der Lage, den Gerichtsprozess zu verfolgen«, heißt es in der Diagnose eines fünfköpfigen Ärzteteams, die am Montag von den Zeitungen in Belgrad veröffentlicht wurde. »Der aktuelle Krankheitszustand erfordert keine Behandlung im Krankenhaus, zusätzliche Diagnosen können ambulant gemacht werden.«

Mladic leidet nach Darstellung der Ärzte dauerhaft unter den Folgen eines Schlaganfalls und eines Herzinfarktes. Nach dem Schlaganfall sei der rechte Arm nur eingeschränkt einsatzfähig, das rechte Bein mache Schwierigkeiten beim Gehen. Schließlich leide der 69-Jährige an Bluthochdruck. Diagnostiziert wurden »chronische Erkrankungen ohne akute Verschlechterungen«.

Demgegenüber will die Familie des Exgenerals eine neue ärztliche Untersuchung erreichen, weil der Angeklagte angeblich psychisch und körperlich zu erschöpft sei, um nach Den Haag gebracht werden zu können. Der stellvertretende serbische Staatsanwalt für Kriegsverbrechen, Bruno Vekaric, zweifelt die Darstellung der Familie allerdings an. Die Probleme würden aufgeblasen, um die Mladic-Auslieferung zu verzögern.

Die Polizei hat am Montag eine Bilanz der schweren Ausschreitungen am Rande einer Demonstration von Mladic-Anhängern am Sonntag vor dem Parlament in Belgrad vorgelegt. Rund 180 meist junge Randalierer wurden festgenommen, 34 von ihnen seien minderjährig. Zehn Polizisten und 20 Demonstranten seien verletzt worden. Innenminister Ivica Dacic hat erklärt, dass Angehörige bekannter rechtsextremistischer Organisationen für die Straßenschlachten mit der Polizei verantwortlich seien.

Mladic hat noch vor seiner Auslieferung nach Den Haag Treffen mit dem früheren serbischen Präsidenten Milan Milutinovic und dem serbischen Schriftsteller Dobrica Cosic verlangt. Cosic, der 1992/93 Präsident der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien war, unterstützte am Montag in der Zeitung »Politika« die Sicht von Mladic auf den Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina. Es habe sich nicht um einen Eroberungskrieg zur Schaffung Großserbiens gehandelt. Vielmehr sei das »ein internationaler Glaubenskrieg gewesen, den politisch die USA in Zusammenarbeit mit der EU angeführt haben«.

Nach Berichten der kroatischen Zeitung »Jutarnji list« soll der frühere serbische Regierungschef Vojislav Kostunica jahrelang die Ergreifung Mladics verhindert haben. Seit 2006 habe die Regierung genau gewusst, wo sich Mladic versteckt hielt, berichtete die Zeitung am Sonnabend unter Berufung auf Depeschen der USA-Botschaft in Belgrad, die von der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht wurden. Erst nach dem Ende der Kostunica-Regierung habe die neue Regierung unter Führung der Partei von Präsident Boris Tadic seit 2009 ernsthaft mit der Suche nach Mladic begonnen.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Mai 2011

Der Liberale

Christoph Flügge / Der 63-Jährige wird den Prozess gegen Ratko Mladic in Den Haag leiten

Von Martin Kröger **


»Selbst der Straftäter, und sei es der übelste, hat noch eine Menschenwürde«, gab Christoph Flügge im November 2008 als Credo bei seinem Amtsantritt als Richter am Den Haager Tribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) an. Im kommenden Prozess gegen Ratko Mladic, der wegen Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt ist, soll der 63-jährige Flügge jetzt den Vorsitz haben. Unterstützt wird der liberale deutsche Experte für Straf- und Völkerrecht dabei von einem niederländischen und einem südafrikanischen Kollegen.

Dass Flügge für das komplexe Verfahren gegen Mladic die nötige Kompetenz besitzt, bezweifelt niemand. Ziemlich bemerkenswert für einen, der schließlich noch nicht allzu lange am ICTY ist. Doch in der vergleichsweise kurzen Zeit von zweieinhalb Jahren hat er sich auch hier einen guten Ruf als Experte erarbeitet: Mit den Massakern an muslimischen Männern und Jungen in und um Srebrenica 1995 etwa, die im Prozess eine große Rolle spielen dürften, ist der Deutsche bereits durch ein anderes Verfahren vertraut. Denn Flügge führt bereits den Vorsitz im Verfahren gegen den Mladic-Stellvertreter Zdravko Tolimir. Auch im Prozess gegen Radovan Karadžzic saß er mit auf der Richterbank.

Überhaupt dürften dem Deutschen, der bis 2007 Justizstaatssekretär im Berliner Senat war, seine großen internationalen Erfahrungen beim Erlangen des Postens in Den Haag behilflich gewesen sein. Engagierte sich der an der Freien Universität in Berlin und in Bonn ausgebildete Jurist doch jahrelang in der Deutschen Stiftung für Internationale Rechtliche Zusammenarbeit, die seit Beginn der neunziger Jahre osteuropäische Staaten unterstützt. 1996 beispielsweise inspizierte Flügge sieben Wochen lang ukrainische Knäste, um dem Land bei seiner Gefängnisreform behilflich zu sein.

Der Strafvollzug war auch das Kernthema in seiner Berliner Zeit. Flügge, der ein SPD-Parteibuch besitzt, war seit 1989 für die Gefängnisse der Hauptstadt zuständig. Die sogenannte Medikamentenaffäre in Moabit beendete 2007 abrupt seine Laufbahn. Seiner Karriere tat dies dennoch keinen Abbruch: Nicht wenige sahen den Rausschmiss aus der Senatsverwaltung damals als völlig übertrieben an.

** Aus: Neues Deutschland, 31. Mai 2011




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