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Der Mensch-ärgere-dich-nicht-Spieler

Um Ratko Mladic wurde neu gewürfelt

Von René Heilig *

General a. D. Ratko Mladic musste am Freitagmittag zum zweiten Mal vor Gericht. Eine erste Befragung am Donnerstagabend war abgebrochen worden. Der mutmaßliche Massenmörder war zu schwach, doch immerhin kräftig genug, einen seiner Bewacher anzuherrschen: »Mach Platz – ich will mich setzen!«

Abgemagert, entkräftet, gealtert – nur ein Schatten seiner selbst. Ist dieser Milorad Komadic d e r General Mladic, den man mit einem Gemisch von Angst und Ekel »Schlächter von Srebrenica« und »Himmler des Balkans« nennt? Selbst Staatsanwalt Bruno Vekaric sagt: »Hätte ich ihn auf der Straße mit Mütze und Brille gesehen, hätte ich ihn wohl nicht erkannt.«

Man hat den 69-jährigen Alten in Lazarevo – einem Vojvodina-Dorf nordwestlich von Belgrad – »aus dem Bett heraus« verhaftet. Am Donnerstag, ohne Gegenwehr. Kein Schuss fiel, keine Elitekämpfer stellten sich entgegen. Keine geheimen Kommunikationsanlagen waren zu entdecken. Nicht einmal ein Handy.

Milorad Komadic? Streicht man den Anfang des Vornamens und zieht die ersten beiden Buchstaben zum Vornamen heran, entsteht RadKo Madic. Zufall?

Ratko Mladic wurde 1995 vor dem Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien wegen Völkermordes, Kriegs- und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Begangen im sogenannten Bosnien-Krieg zwischen 1992 und 1995. Das Tribunal legt Mladic vor allem die 44-monatige Belagerung Sarajevos mit wahrscheinlich 10 000 Toten und das Massaker von Srebrenica vom Juli 1995 mit vermuteten 7800 ermordeten männlichen Bosniern zur Last.

Erinnerung. Im Gegensatz zu den mehrheitlich muslimischen Einwohnern von Sarajevo konnte man als ausländischer Journalist die belagerte Stadt bisweilen verlassen. Jedenfalls wenn man in das nahe Pale wollte. Die Stadt war – bis man sich für Banja Luka entschied – die Hauptstadt der Republika Srpska. Hier herrschten so etwas wie Frieden und die Sucht nach Anerkennung. Es war an einem sonnigen Nachmittag, da schoben sich Menschen vor einem Café zusammen. Ratko ist da! Und da saß der gefeierte Heerführer der bosnischen Serben. Er spielte mit Nachbarn Mensch-ärgere-dich-nicht!, grüßte rasch den Journalisten aus Deutschland und überhörte lächelnd die Frage, wann er Sarajevo freigeben werde.

Srebrenica war damals kein Begriff des Schreckens. Noch nicht.

Wieso dauerte es 16 Jahre, bis man Mladic endlich verhaftet hat, um seine Schuld an den Gräueltaten in Bosnien-Herzegowina hinterfragen zu können? Angeblich hatten die SFOR-Einheiten, die das Morden auf dem Balkan beenden und die Einhaltung der Menschenrechte sichern sollten, Elitetrupps zur Ergreifung gesuchter Kriegsverbrecher aufgestellt. Auch auf dem Balkan gab es US-Seals. Doch die SFOR-Generale fürchteten Aufruhr, ihnen war Grabesruhe wichtiger. Nach dem Kriegsende lebte Mladic in Belgrad. Auch nachdem die Herrschaftszeit des erznationalistischen Präsidenten Slobodan Milosevic zu Ende war, tauchte der einstige »Held« nicht unter.

Serbische Geheimdienstler und einflussreiche Armeekameraden hätten Mladic weiter versteckt, als er 2005 Belgrad verlassen hat. Immer wieder wurden Gerüchte gestreut, dass jeder, der in verräterischer Absicht nach Mladic frage, mit dem Leben bezahlen müsse. Mag sein, dass es so war. Trotzdem wusste Carla del Ponte – bis 2007 war die Schweizerin Chefanklägerin des Jugoslawien-Tribunals in Den Haag – fast immer, wo der Gesuchte steckt. Sollte es für trainierte Teams wirklich unmöglich gewesen sein, ihn zu ergreifen? Del Ponte mag und darf nicht reden über die oft schwierigen Verhandlungen in Belgrad sowie über den Widerstand, den die USA und mehrere EU-Länder gegen ihre Arbeit aufboten.

Am 6. Juni will Chefankläger Serge Brammertz einen neuen Bericht über die Kooperation Serbiens mit dem Haager Gericht vorlegen. Er wäre verheerend und eine mögliche EU-Annäherung Serbiens total ausgefallen. Also wurde in Belgrad und Brüssel neu gewürfelt. Mladic ist aus dem Spiel.

* Aus: Neues Deutschland, 28. Mai 2011


Triumph des Westens

Euphorische Berichte über Mladic-Festnahme. Exgeneral "psychisch und körperlich" in schlechter Verfassung

Von Cathrin Schütz **


Einen Tag nach der Verhaftung von Radko Mladic in Serbien, der in der Zeit des bosnischen Bürgerkriegs Oberbefehlshaber der bosnisch-serbischen Streitkräfte war, sind Details über dessen Gesundheitszustand bekannt geworden. Meldungen aus Polizeikreisen, wonach Mladic nach einem Schlaganfall erhebliche gesundheitliche Probleme habe, wurden durch dessen Anwalt Milos Saljic bestätigt. Mladic sei »psychisch und körperlich« in schlechter Verfassung. So mußte auch die Befragung Mladics durch den Haftrichter am Donnerstag abgebrochen und vertagt werden, weil es nicht gelang, eine ausreichende Verständigung mit ihm aufzubauen. Saljic gab jedoch an, daß sein Klient ihm gegenüber seine bekannte Position bekräftigte, wonach dieser das NATO-gesteuerte Ad-Hoc-Tribunal für Jugoslawien (ICTY) in Den Haag nicht anerkenne.

Ungeachtet der Drohungen des serbischen Präsidenten Boris Tadic, keinen Aufruhr zu dulden, kam es noch am Donnerstag abend zu Protesten im Land. In der Hauptstadt Belgrad versammelten sich spontan rund 1000 meist junge Menschen, die ihre Wut über den westhörigen Kurs der Regierung zum Ausdruck brachten. Nach Zusammenstößen mit der Polizei kam es zu zahlreichen Verhaftungen. Während die Regierungsparteien ihren Erfolg und einen nun offenen Weg in die EU feierten, warnte die Demokratische Partei Serbiens (DSS) um Vojislav Kostunica vor dem Irrglauben, mit der Ausliefung Mladics würde der Druck auf Serbien beendet. Die Serbische Radikale Partei (SRS), deren Vorsitzendem Vojislav Seselj seit 2003 vor dem ICTY der Prozeß gemacht wird, rief für Sonntag (29. Mai) zu einer Großkundgebung in der Belgrader Innenstadt auf.

Derweil überschlagen sich die westlichen Medien weiterhin in bekannter antiserbischer Manier in Euphorie über die Verhaftung des »Schlächters von Srebrenica«. Obwohl die Angaben über den Gesundheitszustand Mladics dessen Verhandlungsunfähigkeit nahelegen, heißt es weiterhin, Mladic solle spätestens am Mittwoch an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt werden. Die serbische Unterwürfigkeit gegenüber den USA und der EU läßt vermuten, daß ein Einspruch Mladics zu dessen Auslieferung vor Gericht scheitern wird, unabhängig davon, wie schlecht sein Zustand ist. Das Hamburger Abendblatt vom Freitag gibt bereits eine Vorlage, wenn es Mladic mit der Bemerkung, dieser »präsentiere sich als schwacher, kranker Mann«, offenbar unterstellt, seine Krankheit lediglich zu inszenieren.

** Aus: junge Welt, 28. Mai 2011


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