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Vidovdan der Serben Schicksalstag

Der serbische Jugoslawe Milosevic vermochte den Zerfall Jugoslawiens nicht aufzuhalten

Von Hannes Hofbauer *

Es war ein schöner Sommertag, dem Heiligen Vitus geweiht, als der damals 48-jährige, international noch wenig bekannte Vorsitzende des Präsidiums der Sozialistischen Republik Serbien (im Rahmen der SFR Jugoslawien) seinen steilen politischen Aufschwung begann. Von Belgrad kommend, ließ sich Slobodan Milosevic am 28. Juni 1989 per Hubschrauber auf das Amselfeld in die Nähe der kosovarischen Stadt Pristina fliegen, wo ihn Hunderttausende zu seiner vielleicht wichtigsten Rede erwarteten.

Man schrieb den 600. Jahrestag der mittelalterlichen Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo Polje). Seinerzeit hatten osmanische Reiterheere einer Allianz aus christlichen Adligen, geführt vom Serbenfürsten Lazar Hrebeljanovic, eine schwere Niederlage zugefügt. Der gleichzeitige Tod Sultans Murad I. sowie die an die Schlacht anschließende, jahrhundertelange osmanische Fremdherrschaft auf dem Balkan, während der gleichwohl die serbisch-christliche Identität überdauerte, machte in der serbischen Geschichtsschreibung aus der geopolitischen Niederlage einen kulturellen und moralischen Sieg. Der Sozialist Slobodan Milosevic war sich dessen bewusst, als er die Gedächtnisfeier nutzte, um einen politischen Neuanfang zu verkünden.

Der 28. Juni – nach julianischem Kalender war es der 15. Juni gewesen – gilt in Serbien seit jener Schlacht als Wendetag. Vor fast einer Million begeisterten Zuhörern, Serbinnen und Serben allesamt, spannte Milosevic den Bogen vom verloren gegangenen mittelalterlichen serbischen Fürstentum zu einem neuen Serbien, das »nach vielen Jahrzehnten seine staatliche, nationale und geistige Integrität wiedergefunden hat.« Gemeint war mit dieser Anspielung auf eine nationale Wiedergeburt die Einschränkung des Autonomiestatuts für Kosovo innerhalb der Serbischen Republik, die drei Monate zuvor in Belgrad beschlossen worden war.

Deutliche Ablehnung der »Republik Kosovo«

Die 1974 unter Tito in Kraft gesetzte jugoslawische Verfassung hatte dem Serbien zugehörigen Gebiet Kosovo einen Autonomiestatus zuerkannt, der es faktisch, wenn auch nicht formell, auf die gleiche Stufe hob wie die jugoslawischen Republiken. Dieser Zustand war zum Zeitpunkt der Amselfeldrede schon seit längerem unter vielfachen Beschuss geraten. National denkende Albaner forderten bereits seit den Unruhen des Jahres 1981 eine tatsächliche »Republik Kosovo«; der streng antijugoslawisch ausgerichteten serbischen Opposition galt der hohe Grad der kosovarischen Autonomie dagegen als Bedrohung der serbischen Identität; und für die serbische Führung war es im einsetzenden Zerfallsprozess Jugoslawiens zunehmend unerträglich geworden, dass von den drei »serbischen« Stimmen (Serbien, Kosovo, Vojvodina) im insgesamt achtköpfigen jugoslawischen Staatspräsidium nur auf die kern-serbische Verlass war, während die Vertreter aus Kosovo und der Vojvodina immer öfter mit den Sezessionisten Kroatiens und Sloweniens votierten.

Subtil, aber für die Zuhörerschaft verständlich, vollzog Milosevic mit seiner historischen Rede auf dem Amselfeld jene nationale Wende, die sich in anderen jugoslawischen Republiken wie auch in der kosovo-albanischen Elite längst und viel radikaler durchgesetzt hatte. Aber anders als etwa die Nationalisten in Kroatien beharrte der Sozialist Milosevic auf einem staatsbürgerlichen Begriff von Serbien und wies eine ethnische Interpretation zurück: »Heute leben in diesem Lande (Serbien – HH) mehr als jemals zuvor Bürger anderer Völker und Nationalitäten. Und das ist natürlich kein Nachteil für Serbien. Im Gegenteil: Es ist ein Vorteil Serbiens.«

Das war zwar alles andere als die Verkündung eines »ethnisch reinen Großserbien«, die der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping Milosevic zehn Jahre später unterstellte. Mit dem Hinweis auf die Gleichberechtigung aller im Lande lebenden Nationen erteilte der Mann aus Belgrad zugleich jedoch Forderungen nach einer eigenständigen kosovo-albanischen Republik vor der jubelnden Menge eine Abfuhr, die damals endgültig schien.

Milosevic' fulminante Rede schloss mit den Worten: »Die Erinnerung an die Tapferkeit der Kosovo- Helden soll ewig leben! Hoch lebe Serbien! Hoch lebe Jugoslawien! Hoch lebe der Friede, hoch lebe die Brüderlichkeit zwischen den Völkern!« Die westlichen Medien zitierten davon nur die ersten beiden Sätze. Jugoslawien, Frieden und Brüderlichkeit schienen ihnen Begriffe aus längst vergangenen Zeiten. Sie sollten damit Recht behalten.

Mit der gegenüber dem vorherigen Zustand beträchtlichen Einschränkung der Autonomie Kosovos war die Macht Belgrads gegenüber Zagreb und Ljubljana, wo in Regierungskreisen bereits offen über eine Auflösung Jugoslawiens gesprochen wurde, gestärkt worden. Die knappe Million Menschen, die Milosevic auf dem Amselfeld einen enthusiastischen Empfang bereitet hatte, zeigte der Welt ein geeintes Serbien, dem sich die Albaner nicht anzuschließen bereit waren. Mit westlicher Unterstützung konnte die Führung der oppositionellen Kosovo-Albaner unter Ibrahim Rugova indes Ende der 80er Jahre nicht rechnen – noch nicht. Der Westen, allen voran die deutsche und die österreichische Außenpolitik mit ihren Ministern Hans Dietrich Genscher und Alois Mock, konzentrierte seine Kraft vielmehr darauf, die sezessionswilligen jugoslawischen Republiken Kroatien und Slowenien in die Unabhängigkeit zu führen.

Zum »Teufel auf dem Balkan« erklärt

Seit seiner Amselfeldrede und mehr noch seit dem serbischen Alleingang in der Finanz- und Wirtschaftspolitik Ende 1990, war Slobodan Milosevic für Medien und Politiker in weiten Teilen des Westens zum Gottseibeiuns auf dem Balkan geworden. Der finanzpolitische Alleingang Belgrads torpedierte die vom Internationalen Währungsfonds gemeinsam mit dem letzten gesamtjugoslawischen Ministerpräsidenten Ante Markovic eingeleitete Schocktherapie, die das Terrain für ausländische Investitionen absichern sollte. Milosevic ließ damals für 1,6 Milliarden USDollar Dinar drucken, um die eigenen Militärs, Lehrer und Krankenschwestern bezahlen zu können. Jeffrey Sachs, der Architekt des von Washington verordneten Sparpakets, schloss daraufhin empört sein Büro in Belgrad und übersiedelte nach Ljubljana, später nach Warschau.

Während der Bürgerkriege in Kroatien und Bosnien kämpfte Milosevic, der sich bis zuletzt als serbischer Jugoslawe verstand, innenpolitisch mit immer stärker werdenden nationalen Kräften, die sich um Rechte wie Vojislav Seselj oder Monarchisten wie Vuk Draskovic scharten. Dass Milosevic schließlich im November 1995 im US-amerikanischen Dayton den von den USA ausgearbeiteten Plan einer Föderalisierung Bosnien und Herzegowinas durch Bildung zweier »Entitäten« unterzeichnete, brachte ihm auf internationaler Tribüne nur verhaltene Anerkennung. Zu Hause allerdings schäumte die nationale Opposition, hatte es Milosevic doch verstanden, die Vertreter der bosnischen Serben, allen voran Radovan Karadzic, auszubooten und damit in den Augen der Radikalen Verrat an der serbischen Sache begangen.

Im Oktober 1998 kam mit der »Activation order« aus dem Pentagon die erste direkte Kriegsdrohung an die Adresse Belgrads. Erst kurz zuvor hatte die US-Regierung unter William Clinton die Nützlichkeit der albanischen Frage als Interventionsgrund erkannt. Die terroristisch agierende UCK wurde zu einer Befreiungsarmee – als die sie sich selbst sah – umdefiniert. Anfang 1999 legte Washingtons Außenministerin Madeleine Albright dann in Paris einen Plan zur angeblichen »Lösung der Kosovo-Frage« vor, der ganz Restjugoslawien zum Aufmarschgebiet der NATO gemacht hätte. Milosevic lehnte ab, worauf am 12. März 1999 die NATO ohne UN-Mandat mit ihren Bombardements auf Jugoslawien begann. Nach 78 Tagen Krieg kam es im mazedonischen Kumanovo zum Friedensschluss. UNO und NATO übernahmen die Macht in Kosovo, die UN-Resolution 1244 definierte die Provinz jedoch als Teil Serbiens, was völkerrechtlich bis heute gilt.

Das jugoslawisch-serbische Militär hatte den Krieg relativ unbeschadet überstanden, Slobodan Milosevic jedoch ist letztlich am NATO-Krieg politisch gescheitert. Die selbst vom Zaun gebrochene Vorverlegung der Präsidentenwahl am 24. September 2000 verlor er gegen den von Washington finanziell und logistisch massiv unterstützten bürgerlich-nationalen Vojislav Kostunica. Bis zum Eingeständnis der Niederlage vergingen mehrere Tage, während derer in der so genannten Bulldozerrevolution das Parlament in Belgrad gestürmt wurde.

Anfang 2001 erhöhte sich der Druck aus Washington, das jegliche Vergabe von IWF-Krediten an die Bedingung knüpfte, dass Milosevic an das Haager Jugoslawientribunal ausgeliefert wird. Das Tribunal hatte mitten im Bombenhagel der NATO am 22. Mai 1999 einen Haftbefehl gegen den Präsidenten des angegriffenen Staates ausgestellt.

Die wahren Machthaber über Jugoslawien saßen nach dem Oktober 2000 jenseits des Atlantik, wie folgende Erklärung von Präsident Vojislav Kostunica deutlich macht: »Niemals wird Milosevic an Den Haag ausgeliefert«, diktierte der ohnmächtige neue Staatschef am 2. April 2001 einem Reporter der »New York Times« ins Mikrofon. Er hatte längst jegliche Kontrolle über das Land verloren.

Gefordert war ein Schuldspruch

Auf den Tag genau zwölf Jahre nach seiner Amselfeldrede war es erneut der Veitstag – Vidovdan –, der das Schicksal des Slobodan Milosevic bestimmen sollte. In der Nacht jenes 28. Juni 2001 landete ein Hubschrauber mit dem mittlerweile abgewählten ehemaligen Präsidenten Serbiens und Jugoslawiens an Bord im Hof des Sondertribunals für Jugoslawien im holländischen Scheveningen/Den Haag. Slobodan Milosevic war gegen die Einsprüche des obersten Gerichts in Belgrad von einer Sondereinsatzgruppe des frisch gekürten Ministerpräsidenten Zoran Djindjic verschleppt worden.

Fünf Jahre lang stand Slobodan Milosevic vor seinen Richtern. Die USA und ihre NATOVerbündeten wünschten sich offen einen Schuldspruch. Als der immer unwahrscheinlicher wurde, verweigerte das Tribunal dem Häftling die gewünschte medizinische Behandlung in einem Moskauer Spital. Die Umstände seines Todes am 11. März 2006 sind bis heute nicht abschließend geklärt.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juni 2009


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